Genetiker Josef Penninger: Wie er das Risiko für Brustkrebs senken will
Er hat gerade zwei neue, extrem herausfordernde Jobs übernommen – dennoch kommt Josef Penninger entspannt zum Interview vor dem Rektoratsgebäude der MedUni Wien in der Spitalgasse. Ob er sich vor dem Fotografieren noch in den Spiegel schauen wolle, fragt ihn der Fotograf. „Nein, ich weiß ja, wie ich aussehe."
KURIER: Herr Dr. Penninger, als Sie 2003 zum ersten Mal aus Kanada nach Österreich zurückkamen, haben Sie von einer Aufbruchsstimmung gesprochen, gegen Ende ihrer damaligen Zeit in Wien 2018 aber immer öfter davon, dass alles „so richtig eingeschlafen“ sei. Wie sehen Sie das heute?
Sommergespräch Josef Penninger
Josef Penninger: Wie ich damals, 2003, zurückgekommen bin, wurde von der Regierung wahnsinnig viel Geld in die Forschung eingebracht. Dann hat sich das gedreht, es wurde da und dort ein bisschen nachjustiert, aber in Deutschland hat mit Angela Merkel jemand die Sache in die Hand genommen, der wirklich viel Geld ins System gesteckt hat, und in Österreich sind wir ein bisschen eingeschlafen. Aber es hat sich viel getan in den vergangenen 20 Jahren, die Qualität der Wissenschaft in Österreich hat sich relativ gut weiterentwickelt. Was wir jetzt noch brauchen, ist, den letzten Schritt an die Weltspitze zu gehen.
Welche Schwerpunkte werden Sie beim Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig setzen?
Helmholtz ist mit 19 Instituten und einem Budget von ungefähr 3,9 Milliarden Euro die größte Forschungsinstitution in Deutschland – von Forschungsstationen in der Antarktis bis zum Deutschen Krebsforschungszentrum. Unser Ziel ist, dass wir das beste Zentrum für Infektionsforschung der Welt werden. Wir haben zum Beispiel 300 Leute, die an neuen Antibiotika arbeiten. Wir wollen eine Roadmap (eine Strategie, Anm.) für Europa erstellen: Was können wir tun, wenn die nächste Pandemie kommt? Wie schnell können wir reagieren?
Gründer des IMBA
2003 kehrte der aus Oberösterreich stammende Genetiker Josef Penninger nach 13 Jahren Forschung in Kanada das erste Mal nach Österreich zurück. Er gründete und leitete das Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Braunschweig und Wien
2018 ging er neuerlich nach Kanada und leitete das größte Institut des Landes für Lebenswissenschaften. Seit Juli ist er wissenschaftlicher Direktor des deutschen Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig. Gleichzeitig hat er eine Professur für Personalisierte Medizin an der MedUni Wien.
Gleichzeitig wollen wir von Viren und Bakterien – die in vier Milliarden Jahren Evolution die Überlebenskünstler dieses Planeten geworden sind – lernen und Lösungen finden. Denn die können wirklich Chemie. Dass wir also Bakterien etwa so verändern, dass sie Plastik auffressen und unseren Planeten wieder reinigen können. Oder dass in Zukunft jeder einen Bakterientank im Keller hat, der Energie produziert.
An der MedUni Wien werden Sie eine „25-Prozent-Professur“ für Personalisierte Medizin übernehmen, am Eric-Kandel-Institut für Präzisionsmedizin, das gerade gebaut wird. Kandel wurde von den Nazis aus Wien vertrieben und musste 1939 in die USA emigrieren, 2000 erhielt er den Nobelpreis für Medizin. Sie sind mit ihm befreundet: Welche Pläne haben Sie?
Eric ist einer meiner Mentoren und Heroen, jemand, zu dem ich aufschaue und von dem ich wahnsinnig viel gelernt habe. Ich habe mir immer vorgestellt, wie Österreich heute aussehen würde, wenn Eric Kandel, Carl Djerassi (entwickelte die erste Antibabypille, Anm.) und viele viele andere, die vertrieben wurden, in den 50-er und 60-er Jahren das Sagen gehabt hätten. Ich glaube, das Land wäre fundamental anders. Dass wir seinen Namen benützen dürfen, ist eine wahnsinnige Ehre für Österreich und die MedUni.
Im Jänner war ich zuletzt bei ihm in New York auf einen Kaffee, und da wir uns relativ gut kennen, hat mich Eric gebeten, mitzuhelfen, das Institut aufzubauen. Und natürlich nicht nur ich, sondern viele andere auch. In Wien sind viele junge Talente, und wir haben die Gelegenheit, aus dem Eric-Kandel-Institut für Präzisionsmedizin ein Weltklasse-Institut zu machen.
Was bedeutet eigentlich Präzisionsmedizin genau?
Wir leben heute in der Renaissance der genetischen Forschung. Diese hat nicht nur gelernt, Gene zu lesen, sondern auch Anfälligkeiten herauszulesen: Wer könnte einen Herzinfarkt bekommen, wer nicht? Wer bekommt Long Covid, wer nicht? Welche Frau mit Brustkrebs ist zehn Jahre nach der Diagnose anfällig für eine Metastase? Und dann entwickelt man selektiv Behandlungen – nicht solche, die für alle funktionieren. Sondern solche, die bei Ihnen besser funktionieren und andere, die für mich besser funktionieren. Aber hier verstehen wir derzeit nur die Oberfläche des Ozeans.
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Sie haben in den 90-er Jahren ein Medikament gegen Osteoporose entwickelt. Jetzt wollen Sie damit auch das Brustkrebsrisiko senken.
Wir haben uns diese häretische Frage gestellt: Warum tritt Knochenschwund bei Frauen häufiger und früher auf als bei Männern? Und warum regulieren Sexualhormone, wie viel Knochen wir haben? Weil Frauen in der Schwangerschaft dieses System anschalten, um Kalzium aus ihren Knochen herauszuholen, damit die Knochen ihrer Babys stark werden. Und das hat uns zum Brustkrebs gebracht, weil dieser auch von Sexualhormonen angetrieben wird. Deshalb wollen wir jetzt mit dem gegen Knochenschwund zugelassenen Medikament versuchen, Brustkrebs zu verhindern. Und zwar bei Frauen mit einem erblich erhöhten Risiko.
Eine Phase-3-Studie läuft bereits, auch hier an der MedUni Wien. Man wird Brustkrebs nie zur Gänze verhindern können, aber die Häufigkeit zu reduzieren, das wäre schon fantastisch. Vor Kurzem hat auch eine Studie gezeigt: Bei Frauen, die bereits Brustkrebs hatten, überleben mit dieser Behandlung mehr Frauen als ohne. Eine von acht Frauen in Europa erhält die Diagnose Brustkrebs. Es ist höchste Zeit, hier total neue Ideen zu entwickeln.
In der Pandemie sorgte ein von Ihnen mitentwickeltes Molekül für Aufsehen, das bei Infizierten verhindern soll, dass das Coronavirus Zellen infiziert. Was wurde daraus?
Wir hatten bereits nach der SARS-Pandemie 2002/2003 gezeigt, welchen Rezeptor, welche Tür, diese SARS-Coronaviren benötigen, um in Zellen eindringen zu können. Wir entwickelten eine künstliche Tür, die genauso aussieht wie die richtige – und machen es damit dem Virus schwer, die richtige Tür zu finden. Und das funktioniert bei allen Virusvarianten, weil sich diese Tür nicht ändert. Es gibt mindestens 20 andere Coronaviren, die auch diesen Rezeptor verwenden und die auch auf uns Menschen springen könnten. Wir haben das bereits getestet, auch als Medikament zum Inhalieren.
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Dann sind die Impfstoffe entwickelt worden, die fantastisch gut funktionieren, und unsere Entwicklung ist leider stecken geblieben. Wenn ich heute zu Investoren gehe, will keiner mehr etwas mit Covid-19 zu tun haben. Aber wir dürfen in der Forschung, im Gesundheitswesen und in der Politik nicht vergessen, dass es Covid weiterhin gibt.
Sie werden künftig zirka eine Woche pro Monat in Österreich sein. Worauf freuen Sie sich besonders?
Wir motschkern oft über Österreich, und das gehört zu unserem Charakter und unserer Kultur. Aber es gibt viele Dinge, für die wir dankbar sein müssen – für die Gelegenheiten, die das Land uns bietet, etwa, dass wir tolle Krankenhäuser haben, oder Universitäten, wo die Studenten gratis hingehen und nicht 100.000 US-Dollar zahlen müssen für ein Jahr, wie es in Nordamerika oft der Fall ist. Ich freue mich, dass ich wieder hier sein darf. Österreich ist der mystische Platz, wo ich hingehöre. Das fehlt einem, wenn man viel in der Welt ist.
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