Virologe Florian Krammer: "In den USA wird gerade viel zerstört"

Impfstoff- und Virenexperte Florian Krammer.
Wie es um Covid, Vogelgrippe und Impflücken steht und welche Pandemie sein Schreckensszenario ist, erzählt der Virus-Experte im Interview.

Viele kennen den österreichischen Forscher Florian Krammer als Experten der Covid-Pandemie. Nach wie vor ist es dem international renommierten Spezialisten für Impfstoffentwicklung ein Anliegen, Wissenschaft für alle verständlich zu vermitteln. Aktuell startete sein neuer Podcast „viroLOGISCH“, in dem er in 15-minütigen Episoden Einblicke in die Welt der Viren gibt sowie aktuelle Ausbrüche erklärt. Mit Anfang Juli nahm auch das Ludwig Boltzmann Institut für Wissenschaftskommunikation und Pandemievorsorge seine Arbeit auf, dessen Leiter er ist. 

Im Interview mit dem KURIER erzählt der Wissenschafter, der an der Medizinischen Universität Wien und der Icahn School of Medicine in New York tätig ist, warum ihm Wissenschaftsvermittlung so wichtig ist und welche Viren das Potenzial zur nächsten Pandemie haben.  

KURIER: Warum haben Sie den Podcast gestartet? Worum geht es?

Florian Krammer: Ich möchte Informationen über Viren teilen und zwar nicht nur in einer Notfallsituation wie in einer Pandemie. Ich rede im Podcast über unterschiedlichste Arten von Viren und ich glaube, das hilft, dass man besser einordnen kann, wenn man etwas darüber liest oder hört. Ein Beispiel sind Ausbrüche von Ebola – viele haben wahnsinnige Angst vor Ebola. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass es jemals zu einer Ebola-Pandemie kommen wird, weil sich das Virus schwer weiterverbreitet. Es geht aber auch um Viren wie das FSME-Virus und HPV, die in Österreich vorkommen und die jeden betreffen können. 

Warum ist Ihnen Wissenschaftskommunikation ein Anliegen? 

Es ist wichtig, dass sich die Leute zumindest ein bisschen auskennen und informiert an Dinge herangehen. Es geht nicht darum, dass jeder ein Spezialist sein muss. Meine Mutter ist Krankenschwester, mein Vater hat Installateur gelernt – ich komme aus einer Schicht, wo Bildung erstrebenswert ist, aber nicht jeder die Möglichkeit hatte zu maturieren oder an die Uni zu gehen. Was mir manchmal passiert, wenn ich Spezialisten zuhöre, ist, dass ich nicht mitkomme, wenn sie in einem hochgestochenen wissenschaftlichen Deutsch sprechen. Das ist nicht so, weil man zu blöd ist, sondern es geht darum, wie man die Sprache wählt. Außerdem ist mir, als ich angefangen habe zu studieren, von meinen Eltern immer vorgeworfen worden, dass ich ihnen nicht erklären kann, was ich eigentlich mache. Ich glaube, das ist auch eine Motivation. Es geht darum, Wissenschaft zu normalisieren. Das ist nichts, was im Elfenbeinturm gemacht wird, sondern das sind Dinge, die ganz normale Leute als Beruf machen wie jemand anderer, der Autos repariert zum Beispiel.

Für viele ist schwierig zu verstehen, dass sich wissenschaftliche Erkenntnisse weiterentwickeln können.

Wir möchten immer gerne wissen, was die absolute Wahrheit ist. Manchmal ist es aber so, dass man Dinge basierend auf der momentanen Faktenlage zwar einordnen und interpretieren kann, es kann aber sein, dass sich die Datenlage ändert und man schauen muss, ob noch stimmt, was man angenommen hat. Es geht nie um absolute Wahrheiten und das ist manchmal schwierig zu kommunizieren. Wir wissen, dass Schwerkraft existiert, dass die Erde um die Sonne kreist – bei neuen Erkenntnissen hat man aber zunächst eine Hypothese, warum das so ist und das kann sich ändern. Das ist sogar für Wissenschaftler selbst schwierig, weil sie vielleicht etwas zehn Jahre lang angenommen haben und dann stellt sich heraus, es ist anders. 

Stichwort Impfmüdigkeit: Weltweit gehen die Impfquoten zurück, insbesondere bei Kindern. Merkt man das bereits bei Erkrankungszahlen? 

Wir haben uns viele Jahre erspart, uns mit Erkrankungen wie Masern herumschlagen zu müssen, eben, weil es Impfungen gibt und es dadurch keine Fälle gab. Bis vor ein paar Jahren haben junge Ärzte keinen einzigen Masernfall erlebt. Jetzt ist es wieder aktuell und man wird die Konsequenzen leider spüren. Vielen ist nicht klar, dass zum Beispiel Masern eine schwere Erkrankung sind. Dass, wenn eine Schwangere an Röteln erkrankt, das Kind mit Behinderungen geboren werden kann. Das sind Dinge, die früher passiert sind, aber wir haben es lange nicht mehr erlebt, weil bisher viele geimpft waren. Wenn das nicht mehr der Fall ist, dann werden die Erkrankungen zurückkommen. Es braucht mehr Aufklärungsarbeit, denn Impflücken sind ein Riesenproblem. Wir erleben in den USA derzeit die höchste Anzahl an Masernfällen innerhalb eines Jahres – so hoch wie zuletzt vor 33 Jahren. Pandemiebedingt kam es zu einigen Impflücken, auch weil Impfen zu einem Reizthema geworden ist.

Auch Covid ist für viele ein Reizthema. Wie relevant sind die aktuellen Varianten?

Covid ist sehr relevant, gerade für Menschen, die ein schwaches Immunsystem haben oder älter sind. Die Varianten, die momentan zirkulieren, sind aber durch die Impfstoffe abgedeckt. Es tut sich gerade nicht viel – mit einer Ausnahme: der Omikron-Ableger BA 3, der damals vor allem in Südafrika verbreitet war, hat sich mit sehr vielen Mutationen zu BA 3.2 weiterentwickelt und ist nun wieder aufgetaucht. Bisher gab es erst ein paar Fälle in Südafrika, einen Fall in den Niederlanden, einen in Deutschland und einen in Kalifornien. Man nimmt an, dass die Variante nicht sehr fit ist, nicht weit verbreitet und daher auch nicht viele infiziert. Aber wenn sie sich ein bisschen verändert, könnte sie eine neue Variante werden, die fit ist und sich explosionsartig verbreitet und das wäre ein Problem. Es ist jedenfalls empfehlenswert, den Impfschutz im Herbst auffrischen zu lassen, insbesondere bei Menschen mit Vorerkrankungen. 

Immer wieder gibt es Fälle von Vogelgrippe (H5N1). Hat sie das Potenzial zur Pandemie?

Das Potenzial ist sicher da. Die Vogelgrippe kann beim Menschen schwere Erkrankungen auslösen und zum Tod führen, meist bei Kontakt mit infizierten Tieren. Was das Virus aber nicht kann, ist von Mensch zu Mensch übertragen zu werden. Das rettet die Situation, weil es unwahrscheinlich ist, dass das Virus in der jetzigen Form eine Pandemie auslösen kann. In den USA ist H5N1 aber auf Kühe übergesprungen, in Südamerika haben wir Infektionen von Meeressäugern gesehen, in Spanien und Finnland gab es Infektionen in Pelztierfarmen – und es kam zum Sprung von Säugetier zu Säugetier. Wenn das so weitergeht, kann es sein, dass das Virus mutiert und eine Übertragung von Mensch zu Mensch möglich wird. 

Welche weiteren Viren hätten das Potenzial zur Pandemie?

Man kann das schwer vorhersagen. Es gibt relativ viele Viren, die dieses Potenzial haben, insbesondere jene, die über die Atemwege übertragen werden. Da gibt es zum Beispiel das Nipah-Virus, das in Süd- und Südostasien von Flughunden auf Menschen übertragen wird. Das wäre mein Schreckensszenario, weil es momentan 50 bis 90 Prozent der Infizierten tötet. Es verursacht Gehirnhautentzündungen, ist aber über die Atemwege übertragbar, zwar sehr schlecht, aber es gab Fälle, wo es von Mensch zu Mensch gesprungen ist. Grundsätzlich ist bei Influenza- und Coronaviren Vorsicht geboten. Man weiß es nie, das kann wirklich aus dem Blauen kommen. Die Wahrscheinlichkeit ist aber hoch, dass die nächste Pandemie von einem Influenzavirus verursacht wird – wir hatten in den letzten etwa 100 Jahren sechs Pandemien, vier davon aufgrund von Influenzaviren. 

Sie forschen auch in den USA, wo derzeit unter der Regierung Trump viele Forschungsgelder gekürzt wurden. Wie erleben Sie die Situation?

Viele überlegen sich, wie es weitergehen soll. Es gibt viele problematische Aspekte, einerseits die Kürzung von Forschungsförderung, andererseits staatliche Institutionen, die so ausgehöhlt werden, dass sie nicht mehr arbeiten können, etwa im Bereich der Zulassung von Medikamenten und Impfstoffen. Das ist hochproblematisch und wird Langzeitfolgen haben. Es wird gerade viel zerstört, was später nicht schnell wiederaufgebaut werden kann. Das ist auch ein globales Problem, weil andere Länder nachziehen könnten und auch, weil viel von den Förderungen, die von den USA in andere Länder gehen, eingestellt wurden. 

Wie sehen Sie Österreich als Forschungsstandort?

Grundsätzlich gut. Österreich ist gut vernetzt, gut aufgestellt, liegt in der Mitte von Europa. Wir haben eine Regierung, die wissenschaftsfreundlich ist. Es geht darum, ob Stellen bereitgestellt werden können – es geht um Leute, die vielleicht mit ihrem ganzen Labor umsiedeln würden und da braucht es Platz. Und wenn dann mehr Wissenschaftler da sind, brauchen wir mehr Forschungsförderung – das muss man bedenken. Ich finde aber gut, dass viele europäische Länder sagen, ja, wir schaffen jetzt Stellen, wir wollen, dass Leute herkommen, wenn sie aus den USA wegmüssen. Gerade Europäer, die in den USA arbeiten, überlegen vielleicht doch zurückzugehen. Ich persönlich möchte in den USA und in Europa tätig bleiben. 

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