Masern: Warum es so viele Fälle in den USA und auch in Österreich gibt

Das Bild zeigt den Eingang zu einem kindermedizinischen Zentrum in New York mit einem Warnschild vor Masernsymptomen
Im Jahr 2000 waren die Masern in den USA bereits ausgerottet, jetzt gibt es Rekordzahlen. Ein Virologe über die Gründe hinter den hohen Infektionszahlen.

Es ist die höchste Infektionszahl in den USA seit 25 Jahren: Nahezu 1.300 Masernfälle in 38 US-Bundesstaaten sind heuer bereits gemeldet, die tatsächliche Zahl dürfte weit höher sein. 92 Prozent der Betroffenen waren nicht geimpft oder ihr Impfstatus war unbekannt, so neue Daten der US Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Zwei ungeimpfte Kinder in Texas und ein Mann im Bundesstaat New Mexico sind infolge einer Maserninfektion gestorben. Aber nicht nur in den USA, auch in Österreich ist die Situation besorgniserregend. Welche Gründe es dafür gibt.

„Die USA waren im Zurückdrängen der Masern immer ein Musterschüler“, sagt der Virologe Lukas Weseslindtner vom Zentrum für Virologie der MedUni Wien und Leiter der Referenzzentrale für Masern-Mumps-Röteln-Viren. Im Jahr 2000 wurden in den USA die Masern für ausgerottet erklärt, „in den Jahren danach gab es nur mehr kleinere Ausbrüche durch importierte Fälle“.  Jetzt aber zeige sich, was passiere, wenn die Impfrate zurückgehe: „Dann kann sich das Virus unfassbar schnell verbreiten und hohe Fallzahlen verursachen.“ 

Impflücken bei Masern: Kritik an US-Minister Kennedy

Viele US-Mediziner werfen US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. vor, die Gefahr durch Masern lange heruntergespielt und früher falsche Behauptungen über Impfungen verbreitet zu haben. Nach Hunderten Masern-Fällen sprach sich Kennedy für die Impfung aus.

Auch Österreich verzeichnete nach der Pandemie einen starken Anstieg der Masernzahlen: Mit 542 Fällen im Vorjahr hatte Österreich die zweithöchste Infektionszahl pro Million Einwohner in der EU, den höchsten Wert verzeichnete Rumänien.  Heuer sind es bis zwei 2. Juli 123 Erkrankungen.

"Wir sind leider wieder ein Masernland geworden", sagt Weseslindtner. "Das Ziel der WHO lautet, weniger als ein Fall pro eine Million Einwohner - demnach müssten wir weniger als acht Fälle haben, aber davon sind wir sehr weit entfernt."

Die Forschungsgruppe um Weseslindtner untersuchte mehr als 56.000 Blutproben von fast 51.000 Personen auf Antikörper gegen Masernviren (als Reaktion auf eine Impfung oder eine Infektion). 

Fehlende Immunität: 30- bis 40-Jährige besonders betroffen

Das Ergebnis: "Bis 1975 haben die meisten Menschen die Masern auf natürlichem Weg durchgemacht und sind damit ein Leben lang immun". Doch ab dem Geburtsjahrgang 1990 geht die Immunität deutlich zurück: "In manchen Jahrgängen sind zwischen 10 und 20 Prozent ungeschützt, das betrifft vor allem die 30- bis 40-Jährigen." Von diesen haben viele nur eine Impfung - was keinen ausreichenden Impfschutz garantiert - oder gar keine. Fazit: "Masern sind keine reine Kinderkrankheit mehr, das mittlere Alter der Infizierten wandert mehr und mehr nach oben."

Hinzu kommt, dass es zwischen vielen osteuropäischen Ländern und Österreich eine hohe Reisetätigkeit gibt: "Dadurch kommt es immer wieder zu Virusimporten. Bei großen Impflücken kann sich das Virus rasch ausbreiten - haben 100 Ungeimpfte mit dem Virus Kontakt, erkranken 98 davon.

Um Infektionsketten rasch zu unterbrechen, gilt eine Immunität von mehr als 95 Prozent in der Bevölkerung als Voraussetzung. "Die Berechnung der Durchimpfungsraten für Masern für das Jahr 2024 zeigt, dass das Ziel einer Durchimpfungsrate von 95 Prozent mit zwei Impfungen für die meisten Altersgruppen immer noch nicht erreicht wurde", heißt es in einem Bericht des Gesundheitsministeriums. 

Bei rund 20 Prozent der Erkrankten kommt es zu Komplikationen wie einer Lungen- oder Mittelohrentzündung, Bei ein bis zwei pro 1.000 Maserninfektionen kommt es zu einer Gehirnentzündung (Masernenzephalitis), davon verlaufen bis zu 25 Prozent tödlich, etwa ein Drittel der Überlebenden leidet an bleibenden schweren Folgeschäden.

"Durch zahlreiche Studien ist auch bewiesen, dass Masern das Immunsystem nachhaltig schädigen", betont Weseslindtner. "Das Virus killt die Gedächtniszellen des Immunsystems. Deshalb kommt es nach Masernwellen immer zu höheren Erkrankungs- und auch Todesraten durch andere Infektionskrankheiten." Diese Schwächung des Immunsystems könne mehrere Jahre anhalten.

US-HEALTH-POLITICS-VACCINES-VIRUS

US-Gesundheitsminister Kennedy hat in Interviews auch auf Vitamin A und Lebertran auch als Prophylaxe und Heilmittel verwiesen. Dazu Weseslindtner: "Es ist nicht falsch zu sagen, dass eine ausgewogene Ernährung und Vitamine wichtig für die Immunabwehr sind. Aber das ist kein Ersatz für die Impfung. Es gibt genug Menschen, die schwer an Masern erkranken und keinen Vitaminmangel haben."

Die Faktoren, die zu einer Erkrankung führen, seien so komplex, dass man sie nicht an einer Sache festmachen könne. "Vitamine sind auch keine wirksame Therapie gegen Masern. Eine spezifische Therapie zur Behandlung einer Maserninfektion gibt es nicht, es können lediglich die Symptome gelindert werden."

"Die Impfung selbst ist sehr sicher", betont Weseslindtner. "Die Wahrscheinlichkeit, durch eine Impfung eine Gehirnentzündung zu bekommen, ist verschwindend gering im Vergleich zu der Wahrscheinlichkeit, eine Gehirnentzündung durch eine Infektion zu erleiden."

Immer wieder kursiere die Behauptung, dass mehr Menschen durch die Impfung an Masern gestorben seien als durch eine Infektion: "Das ist eine grob verzerrte Darstellung. Es gibt aus Deutschland Einzelberichte von Todesfällen, aber das waren immunsupprimierte Personen, deren Immunsystem medikamentös niedergedrückt wurde und die nie die Impfung bekommen hätten dürfen. Tatsächlich verdanken wir der Impfung, dass es in Österreich in den vergangenen Jahren keinen Todesfall durch Masern gegeben hat."

Laut Gesundheitsministerium wurden in Österreich seit 1998 mehr als drei Millionen Dosen Masern-Mumps-Röteln-Impfstoff verabreicht, "die Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs ist eindeutig belegt". Ab dem vollendeten 9. Lebensmonat sind insgesamt zwei Impfdosen allgemein empfohlen (siehe Infokasten).

Rund 95 Prozent der Geimpften sind nach den zwei Teilimpfungen ihr Leben lang vor einer Maserninfektion geschützt, bei fünf Prozent kann es zu einem langsamen Abfall der Antikörper kommen, so dass der Impfschutz vor einer Infektion nicht mehr ausreicht. "Aber wahrscheinlich verläuft bei diesen Personen die Infektion zumindest milder und auch kürzer."

Ganz besonders gefährdet durch eine Maserninfektion sind Kinder vor dem vollendeten 9. Lebensmonat, also vor der im Normalfall frühesten Möglichkeit zur ersten Impfung: "Auch wenn die Mutter geimpft war, bedeutet das keinen Schutz bis zum 9. Lebensmonat, denn zu diesem Zeitpunkt sind die mütterlichen Antikörper in der Regel nicht mehr vorhanden", unterstreicht Weseslindtner. Die Kinder "sind nur durch die konsequente Impfung der älteren Kinder und der nicht-immunen Erwachsenen (Gemeinschaftsschutz) zu schützen", heißt es deshalb im Österreichischen Impfplan. 

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