Das sei langfristig nicht nur ein Problem für die Betroffenen, sondern auch für die Volkswirtschaft. Wie hoch diese Kosten sind, habe der Vorarlberger Rechnungshof errechnet: 2 Millionen Euro pro Kind im Laufe seines Lebens. Und internationale Berechnungen zeigen, dass sich jeder Euro, der für frühere Hilfen investiert wird, 16-fach lohnt.
Doch in Österreich ist man weit davon entfernt, Kindern flächendeckend die medizinische und therapeutische Versorgung zu gewährleisten, die nötig ist. „Es zeigt sich ein regelrechter Fleckerlteppich mit regional sehr unterschiedlich verteilten Versorgungsangeboten“, sagte Caroline Culen bei einer Pressekonferenz der Kinderliga am Donnerstag. Sie und ihr Team haben eine Umfrage und eine Datenerhebung zur Versorgungssituation in Bezug auf die Kinder- und Jugendgesundheit in Österreich durchgeführt. Ihr Resümee: „Das Angebot scheint sich nicht am Bedarf zu orientieren, sondern ist historisch je nach den Vertrags- und Verrechnungsmöglichkeiten gewachsen.“
In ganz Österreich gebe es z. B. nicht einmal 300 Kinder- und Jugendärzte (Pädiater) mit Kassenvertrag, das bedeutet, im Durchschnitt einen Fachmediziner für 5.000 Kinder. Ihre Verteilung ist zudem ungleich. Während es in der Wiener Innenstadt dreimal mehr als im Durchschnitt sind, gibt es in 15 politischen Bezirken keinen einzigen. In sämtlichen Bundesländern herrsche entgegen des „Österreichischen Strukturplans für Gesundheit 2017“ eine Unterversorgung an kassenfinanzierten Kinderärzten, bemängelt Culen.
Diese Unterversorgung spüren Kinder aus sozial schwachen Familien besonders: „25 Prozent haben deshalb nur eingeschränkte Entwicklungsmöglichkeiten. Ihre Talente werden zu wenig gefördert, sie werden emotional und materiell vernachlässigt“, warnt Hackspiel. Und die Tendenz sei steigend: „Durch die vielen Krisen nehmen Essstörungen, Depressionen oder Aggressionen zu.“ Und das in allen sozialen Schichten.
Wer Hilfe braucht, wartet lang. Vier Monate sind es im Schnitt bei Psychotherapeuten, bei Logopäden, Physiotherapeuten und Ergotherapeuten sind es drei Monate. Die Liga fordert daher den Ausbau von Primärversorgungseinrichtungen für Kinder.
Hedwig Wölfl von der Kinderschutzorganisation Möwe sieht eine Lösung darin, Abrechnungen von psychotherapeutischen Behandlungen unbürokratischer zu machen. Für Kinder könnte man den Zugang zu Psychotherapie erleichtern, indem es zum Beispiel in den Schulen ein besseres Angebot an Anlaufstellen gibt. „Und man kann Aufmerksamkeit im digitalen Bereich, etwa über Apps, schaffen.“
Helfen würde der Aufbau eines multiprofessionellen Netzwerks mit unterschiedlichen Therapeuten: „Ich wünsche mir eine Überweisungsstruktur, die zeigt, wer wann wofür zuständig ist. “
Wölf bedauert, dass es immer noch als soziales Stigma betrachtet wird, wenn man sich Hilfe holt. Dass der Eltern-Kinder-Pass jetzt psychosoziale Gespräche beinhalten soll, sei ein Fortschritt, denn so können diese als hilfreich erlebt werden. Wenn es später zu Problemen kommt, holen Eltern schneller Hilfe.
Liga-Präsident Hackspiel fordert ein eigenes Kinderministerium: „Denn für 25 Prozent der Bevölkerung – Kinder und Jugendliche – gibt es derzeit keine repräsentative Vertretung in der Politik.“
Mehr Infos unter kinderjugendgesundheit
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