Essen fürs Erbgut: Die Ernährung auf die eigene Gen-Aktivität abstimmen?
120 Jahre: So alt möchte Lydia Fillbach werden. Die 61-Jährige ist überzeugt, dass sie den Alterungsprozess bremsen kann. Vor allem mit einer Ernährung, die auf ihre genetische Grundausstattung maßgeschneidert ist. Die also bestimmte Gene „anknipst“ und andere ausschaltet.
Damit folgt sie einem Gesundheitstrend, der laut Zukunftsinstitut wichtiger denn je ist und – unter anderem – epigenetische Erkenntnisse aus der Medizin zu einem „neuen Umsatztreiber auf den Gesundheitsmärkten rund um gesunde Lebensmittel, Getränke sowie Nahrungsergänzungsmittel macht“. Fillbach nippt an ihrem grünen Smoothie: „Egal, wie meine genetische Grundausstattung aussieht, ich kann trotzdem gesund alt werden.“ Sie gibt ihr Wissen weiter, hat sich zum Epigenetik-Coach ausbilden und ihre Gene analysieren lassen.
Kommerzielle DNA-Tests boomen. Mit Blick auf bestimmte Gen-Variationen geben sie etwa Aufschluss darüber, wie der eigene Stoffwechsel funktioniert oder wie man sich ernähren soll. Das Versprechen: Mit Hilfe von Nutrigenomik und Epigenetik (siehe Info-Box unten) ist es möglich, sein genetisches Schicksal zu verändern.
Multifaktoriell
Die Vorgangsweise ist simpel: Mit einem Wattestäbchen wird eine Speichelprobe entnommen, per Post verschickt und im Speziallabor analysiert. Danach erhalten die Kunden ein umfassendes Kompendium über ihre gesundheitlichen Prädispositionen und Möglichkeiten, vorzubeugen. Ebenso, welche Lebensmittel „genetisch optimal“ sind, um das Gewicht zu halten bzw. zu reduzieren.
Epigenetik. Der Mensch wird mit etwa 22.000 Genen geboren, die DNA bleibt mehr oder weniger unverändert. Im Laufe des Lebens können aber manche Gene ein- und ausgeschaltet werden. Dafür ist die Epigenetik zuständig.
Der Genetiker Markus Hengstschläger bezeichnet sie als soziobiologische Brücke zwischen der menschlichen Biologie – der DNA – und zum Beispiel dem, wie ein Mensch lebt: Epigenetische Veränderungen verändern die Art und Weise, wie Gene aktiviert, abgelesen, oder abgeschaltet werden. „Ernährung, Lebensweise und Fitness können einen gewissen Einfluss darauf haben, welche Gene aktiv sind und welche nicht.“
Aber wie seriös sind solche – oft kostspieligen – Tests? „Sie werden zwar richtig durchgeführt, die meisten Antworten, die daraus resultieren, betreffen allerdings multifaktorielle Aspekte – heißt: Ja, die Gene spielen dabei eine Rolle, die Umwelt aber ebenso, es handelt sich um ein komplexes Zusammenspiel von Genen mit Lebensgewohnheiten und Umwelteinflüssen. Man bekommt als Ergebnis viele Wahrscheinlichkeitsangaben, was verwirrend sein kann. Deshalb wäre es wichtig, jemanden beratend zur Seite zu haben, der diese Angaben interpretieren und erklären kann. Sonst entsteht vielleicht sogar mehr Sorge als Nutzen“, sagt Univ.-Prof. Markus Hengstschläger, Leiter des Instituts für Medizinische Genetik, Medizinische Universität Wien.
Nutrigenetik und Nutrigenomik seien dennoch wichtige Gebiete der Genetik. Da geht es etwa darum, welche genetischen Voraussetzungen jemand betreffend Verstoffwechselung oder Nahrungsmittelverträglichkeit mitbringt. „Dass Nahrung unterschiedlich verstoffwechselt und vertragen wird, ist nichts Neues, mehr darüber zu wissen, kann aber nicht schaden. Trotzdem sollte die Interpretation solcher Tests nicht Laien überlassen werden“, so der Genetiker. Wie wichtig Beratung ist, betont auch Fillbach: „Die Testergebnisse sind komplex, es muss jemand daraus umsetzbare Schlüsse ziehen können.“
Beschränkte Aussagen
Zunehmend fließen in die Tests auch epigenetische Faktoren ein – etwa, um das biologische Alter zu bestimmen, das vom kalendarischen meist – plus/minus – einige Jahre abweicht und zeigt, wie fit die Zellen sind. Oder welche Gene ein-, bzw. abgeschaltet sind, abhängig vom Lebensstil und von Umweltfaktoren.
Die Empfehlungen, die sich daraus ergeben, sieht Hengstschläger aber kritisch: „Die Aussagekraft ist oft eher beschränkt. Die Tipps sind in der Regel sehr allgemein und sowieso solche, die in der Medizin längst etabliert sind: gesunde Ernährung, kein Nikotin, wenig Alkohol, viel Bewegung.“ Die Epigenetik sei ein komplexes Gebiet, das intensiv beforscht wird: „Da verstehen wir zwar vieles schon besser, aber noch lange nicht zur Gänze.“ Eine bedeutende Rolle spielt sie zum Beispiel in der Krebsforschung: „Hier wissen wir, dass das falsche Aktivieren oder Abschalten von Genen bei der Krebsentwicklung eine Rolle spielen kann.“
„Die Interpretation solcher Tests sollte nicht Laien überlassen werden ... Die Aussagekraft ist oft eher beschränkt.“
Für Lydia Fillbach hat sich vieles zum Positiven verändert, seit sie sich dieses Wissen angeeignet hat, um ihren Lebensstil entsprechend anzupassen: „Mit 40 war ich die Hälfte der Frau, die ich heute bin – chronisch krank, müde, oft erkältet. Jetzt bin ich so fit wie nie zuvor.“
Der Blick in ihre Gene hat bestätigt, was sie schon vorher wusste und dass sie den richtigen Weg für sich eingeschlagen hat. Mit gesunder, veganer Ernährung, grünem Gemüse, wenigen Kohlehydraten, guten Fetten, viel Protein. „Der Test hat mir gezeigt, dass ich meinem Bauchgefühl trauen kann.“
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