Eine Reha wie im Flug

Eine Reha  wie im Flug
Virtual Reality-Brillen sind für die meisten wohl reine Spielerei, aber die Technologie kann weitaus mehr: Phobien therapieren oder Schlaganfall-Patienten helfen – möglich dank neuer VR-Sichtweisen. Und das ist erst der Anfang.

Von Nicola Afchar-Negad

Der linke Arm ist gelähmt, aber plötzlich greift die Patientin wieder zum Kaffeehäferl. Zumindest scheint es so – für sie, denn sie trägt eine Virtual Reality-Brille. Selbst minimale Bewegungen werden verstärkt, das Gehirn ausgetrickst. Für die Schlaganfall-Patientin vor allem eine unglaubliche Motivation, ein bestärkendes Erfolgserlebnis.

Rund 33.000 Menschen erhalten pro Jahr in Österreich die Diagnose Schlaganfall. Die Rückkehr ins selbstständige – und möglichst uneingeschränkte – Leben ist ein langwieriger Prozess, bei dem die vom Computer erzeugte Realität helfen kann. Das Besondere daran: sie ist interaktiv, der Brillenträger ist also mittendrin. Die Technologie gibt es nicht erst seit gestern, bisher assoziierte man damit aber junge Erwachsene und immersive Ausstellungen, in denen man von Dinosauriern gejagt wird oder auf Schatzsuche im alten Ägypten geht. Von der breiten Öffentlichkeit fast gänzlich unbemerkt, hat sich Virtual Reality aber längst im Gesundheitsbereich etabliert. In der Ausbildung des medizinischen Personals, der Holomedizin (sprich: Mixed-Reality im OP), aber eben auch im Patientensegment. Schon seit Jahren machen immer wieder Start-Ups von sich reden, mittlerweile hat sich die Frequenz deutlich erhöht, wobei einige auch wieder vom Markt verschwinden, aber das gehört dazu.

Effekte in der Therapie

Um noch bei der Schlaganfall-Therapie zu bleiben: 2023 zeigte eine klinische Studie, dass sich bei Patienten, die mit Virtual Reality arbeiten, die kognitiven Fähigkeiten wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Problemlösung stärker verbessert hatten als bei jenen der Kontrollgruppe mit Standardtherapie. Auch im Bereich Schmerztherapie tut sich hier einiges: Virtual Reality kann in den Stellen im Gehirn ansetzen, an denen die Schmerzverarbeitung passiert. Hierbei geht es weniger um akute, kurzzeitig auftretende Beschwerden, sondern eher um den chronischen Schmerz – und auch den Phantomschmerz nach Amputationen.

Wer schon mal ein Virtual Reality Headset auf und eventuell einen Controller in der Hand hatte, weiß, dass es eine durchaus emotionale Sache sein kann – im therapeutischen Bereich kommt da noch einmal ein Schäuferl drauf. „Ich bin einfach wie ein Vogel durchs Engadin geflogen“, erzählt etwa ein Patient in einem Video des Geräteherstellers „Icaros“. Und weiter: „Ich habe mich (Anm.: nach dem Schlaganfall) nicht mehr in meinem Körper eingesperrt gefühlt.“ Er strahlt, wie er da sitzt und sich erinnert. Man sei in seiner eigenen Welt und werde nicht abgelenkt.

Das deutsche Unternehmen „Icaros“ stellt an Fitnessgeräte erinnernde Geräte her, die in der Krankengymnastik zum Einsatz kommen. Die Perspektiven-Wechsler liegen auf dem Gerät – und fliegen. Oder sie stehen auf einer Art Balanceboard und trainieren mittels eines Spiels ihre Stabilität. Das Ganze nennt sich gamifiziertes Training (auch Exergaming) und ist im Kommen. Insbesondere niedergelassene Ordinationen (Physio, Ergo) und Tageskliniken wagen sich immer häufiger an die Investition heran, von einem halbwegs flächendeckenden Angebot sind wir aber noch weit entfernt. In den Kliniken des Landes geht es vornehmlich um Forschung.

Tool für die PsychotherapieGenau dazu hat Prof. Oswald Kothgassner von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni Wien viel zu sagen. Es gibt auf der MedUni gleich mehrere VR-Labore, Kothgassner konzentriert sich in seiner Arbeit auf die wichtige Säule der psychischen Erkrankungen. Diese sind – da sind sich Forschende einig – zumindest in Teilen prädestiniert für den Einsatz der Brillen. „Es gibt hier weit zurückreichende Erfahrungen und gut abgesicherte Erkenntnisse zu Wirksamkeit und Methodik“, schickt Kothgassner gleich vorweg. Der Grund ist, dass man davon immer mehr mitkriegt: „Die Technik wird besser und zwar nicht nur die Hardware, sondern vor allem die Software.“

Wer unter Spinnen- oder zum Beispiel Höhenangst leidet – also sehr spezifischen Phobien – profitiert derzeit am meisten. Die Szenarien können leichter programmiert werden, die Brille dient der sogenannten Exposition, also dem Damit-konfrontiert-werden. „Soziale Phobien sind komplexer. Da kann man erste Einheiten der Therapie dazu verwenden, sich der Angstsituation auszusetzen, es sollte aber immer einen Abschluss in einem realen Szenario geben.“ Wichtig: Der VR-Ansatz ist keine „Stand Alone-Therapie“, das heißt: sie muss begleitet, vor- und nachbetreut, werden. Die Software wird daher auch nicht an Privatpersonen herausgegeben.

Kothgassner bringt auch Suchterkrankungen und die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ins Spiel, es gäbe hier „einiges an Literatur“. Bei den PTBS hat man sich bis dato in internationalen Studien auf Kriegsveteranen fokussiert, hier fehlt daher noch einiges, um groß zu frohlocken. Das VR-Labor in Wien arbeitet mit Simulationen zu Phobien und kognitiven Trainings für Jugendliche mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung). VR hilft dabei, das Thema Psycho- und psychologische Therapie zu enttabuisieren, Kon-traindikationen wie Schwindel und Kopfschmerzen verschwinden – so sie auftreten – schnell. Was er sich von der Zukunft erhoffe? „Ich erwarte mir viel im Bereich der Psychosen und Schizophrenien, da gibt es neben kognitiven Trainings auch Ansätze, die Symptomatik – wie etwa Stimmen im Kopf – zu behandeln, durch sogenannte Avatar-Therapie. Und die Diagnostik von Demenzen und Störungen wie ADHS, auch hier darf man gespannt sein.“ Die Frage des großen Durchbruchs von VR sei keine des „ob“, nur des „wann“.

Aufklärungsarbeit

Erste Tages- und Privatkliniken arbeiten mit VR in Sachen Patientenaufklärung – bis dato in den Fachbereichen Anästhesie und Orthopädie, wie auch Gastroskopie/Coloskopie. „XRS Medical“ (Wien) ist einer der Anbieter. Das Unternehmen wurde von Ärzten für Ärzte entwickelt, um effizienter arbeiten zu können – und zwar mit besser informierten Patienten. Gründerin Marie-Isabelle Batthyány: „Eine ältere Dame in der Anästhesie-Ambulanz hat einmal zu mir gesagt, sie habe das Gefühl, es habe endlich jemand mit ihr gesprochen. Das kann die Virtual Reality!“ Auch in puncto Beruhigung und Ablenkung kann VR funktionieren.

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