Dr. Leben antwortet:
Lieber Wolfgang,
es klingt, als stünden Sie vor einer schwierigen Entscheidung, die nicht leicht zu treffen ist. Der Verlust der sexuellen Nähe in einer langen Beziehung, wie Sie sie beschreiben, kann ein Anzeichen dafür sein, dass etwas Grundlegendes in der Dynamik zwischen Ihnen und Ihrer Frau nicht mehr stimmt. Aber das bedeutet nicht zwangsläufig das Ende der Beziehung.
Vertrauen ist eine der wichtigsten Säulen einer Partnerschaft. Es stützt sich auf Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Kompetenz, also auch die Bereitschaft, an gemeinsamen Herausforderungen zu wachsen. Wenn Sie Ihrer Frau unterstellen, dass sie möglicherweise einen anderen Mann hat, stellt sich die Frage: Ist dieses Misstrauen berechtigt oder eher Ausdruck eigener Unsicherheit?
Die Tatsache, dass Sie bereits einmal eine Krise überstanden haben, zeigt, dass Ihre Beziehung eine starke Basis hat, die meist auf einen sogenannten sicheren Bindungsstil hinweist. Oftmals sind solche Gefühle ein Hinweis darauf, dass wichtige Themen in der Beziehung oder in der ersten Paartherapie nicht ausreichend besprochen worden sind – sei es in Bezug auf emotionale Nähe, körperliche Anziehung oder gemeinsame Ziele. Ein Paarcoaching könnte hier hilfreich sein, um diesen Punkt erneut aufzugreifen und miteinander zu besprechen.
Dabei geht es nicht nur darum, die eigenen Bedürfnisse zu formulieren. Wichtig ist auch, dass Sie in der Therapie Ihre Rolle als Ehepartner stärken, die sich durch „Erwartungen an die Erwartungen“ definiert. Das bedeutet, dass Sie in einer Therapie Ihrer Partnerin erläutern, was Sie von ihr erwarten, und was sie von Ihnen erwarten kann, darf oder sogar soll. Damit stärken Paare Ihre Resonanzfähigkeit, und die Wünsche des Partners bekommen den gleichen Wert wie die eigenen. In der Kommunikation geht es dabei um ein gegenseitiges Erleben und die Aufrechterhaltung von Nähe und Verbindung.
In langen Beziehungen spielen sowohl Sicherheit als auch Vitalität eine große Rolle: Viele Paare drücken ihre Vitalität durch Sex aus, aber es gibt zahlreiche andere gemeinsame Aktivitäten, die die Wünsche und das „Wollen“ beider Partner stärken. Daher tun Langzeitpaare gut daran, Sex neu zu definieren. Innige Umarmungen oder Massagen können genauso intim und verbindend sein wie Penetrationssex. Wichtig ist, dass die Partner in Resonanz miteinander bleiben: „Ich will (nur) dann, wenn/das, was/so, wie die Partnerin/der Partner (mich) will.“
Bedürfnisse und Gefühle sollten generell – aber gerade auch in der Ehe – zunächst an sich selbst adressiert und bewusst wahrgenommen werden, anstatt sie ungefiltert dem Partner mitzuteilen oder auf die Partnerin zu spiegeln. Vor allem ein reaktives Verhalten auf eigene nicht bewusst empfundene Gefühle kann eine negative emotionale Eskalation nach sich ziehen.
Dabei sollte Sex nicht zu Stress werden („ich muss“), sondern immer ein „ich will“ bleiben. Dazu kann ein Stufenplan hilfreich sein: Man beginnt mit einer Annäherung, die von beiden Partnern als angenehm und gewollt empfunden wird. Erst dann geht man auf die nächste Stufe, die mindestens genauso angenehm ist, und so weiter.
Ich würde Ihnen empfehlen, dass Sie sich gemeinsam einen erfahrenen Paarcoach suchen, um Ihre Werte neu zu ordnen und Ihrer Beziehung damit eine Zukunft zu geben.
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