Dänischer Samenspender: "Illusion, dass Spender völlig gesund sind"

Eine Hand hält einen leeren, durchsichtigen Kunststoffbehälter mit gelbem Deckel.
Mit den Spermien eines dänischen Spenders wurden fast 200 Kinder gezeugt. Der Mann hat eine seltene Erbkrankheit an seine Nachkommen weitergegeben. Der Fall regt eine Debatte über Defizite in der Regulierung an.

Mindestens 197 Kinder wurden in den vergangenen Jahrzehnten in verschiedenen Ländern mit den Samenzellen eines dänischen Samenspenders gezeugt (der KURIER berichtete). Aufgedeckt wurde der Fall durch europaweite Recherchen des "EBU Investigative Journalism Network", dem auch der ORF angehört. 

Der Fall erregt nicht nur wegen der Anzahl der gezeugten Kinder Aufsehen. Aufgrund einer seltenen Genmutation des Mannes haben die Kinder ein deutlich höheres Krebsrisiko. Etliche haben bereits Krebserkrankungen entwickelt, einige sind daran verstorben. Der Spender hatte der European Sperm Bank (ESB) seine Samenzellen gespendet. Inzwischen wurde sein Samen von der ESB vom Markt genommen.

Der Fall wirft Fragen auf: Muss die Nutzung von Spendersamen in Europa strenger reguliert werden? Warum wurde der Gendefekt nicht vor der Weitergabe erkannt? 

Der KURIER hat dazu mit Andreas Obruca, Präsident der Österreichischen IVF-Gesellschaft und Leiter des Kinderwunschzentrums an der Wien, gesprochen.

KURIER: Ist davon auszugehen, dass auch Kinder in Österreich betroffen sind?

Andreas Obruca: Das dürfte eher nicht der Fall sein. Es gab keine Meldung der European Sperm Bank an die AGES, die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, die in solchen Fällen die Kinderwunschzentren in Österreich informiert, dass ein gewisser Spender gesperrt ist.

Mit den Samenzellen des besagten Spenders sind fast 200 Kinder gezeugt worden. Die Anzahl erscheint sehr hoch.

Das ist in der Tat eine sehr hohe Anzahl an Kindern. Nicht alle Länder beschränken die Nutzung von Samenspenden eines Mannes. In Österreich ist die Zahl der Paare, die mit der Spende eines Mannes behandelt werden dürfen, auf drei begrenzt. Das bedeutet, dass eine Spende – egal ob aus dem In- oder Ausland –, die in Österreich eingesetzt wird, in drei Partnerschaften Schwangerschaften auslösen darf. Innerhalb einer Familie kann beliebig oft auf die Spende zurückgegriffen werden.

Aber der Spendersamen kann in anderen Ländern noch mehrfach eingesetzt werden?

Natürlich, die Spende kann in anderen Ländern genauso oft, oder eben je nach Gesetzeslage noch viel öfter eingesetzt werden. Die European Sperm Bank hat ihre Proben weltweit im Einsatz. Das macht die Sache ein bisschen unkontrollierbar, weil man nicht weiß, wie viele Geschwisterkinder es in anderen Ländern gibt und wie sie regional verteilt sind.

Besteht die Sorge, dass zwei Kinder mit demselben biologischen Vater sich treffen und Kinder zeugen könnten?

Ja natürlich ist das ein Risiko, das noch dazu verstärkt sein kann, wenn eine kleine Gruppe, wie z. B. lesbische Paare, auf denselben Spender zugreifen will.

In Dänemark kann man eine Samenspende auch für sehr viel Geld, mehrere Zehntausend Euro, exklusiv nutzen. 

Natürlich haben Samenbanken auch wirtschaftliche Ambitionen und verfolgen ein Geschäftsmodell. Das heißt auch: Je öfter eine Samenspende eingesetzt wird, desto rentabler. 

Ist es problematisch, dass einige wenige Samenbanken aus Dänemark den europäischen Markt dominieren?

Ich sehe das schon als Problem, weil hier gewisse Monopole geschaffen werden. Allerdings muss man sagen, dass insbesondere die angesprochenen dänischen Anbieter von Paaren, die in heimischen Kinderwunschkliniken behandelt werden, oft aktiv angefordert werden. Auch wir in der Kinderwunschklinik an der Wien kooperieren auf Wunsch mit der European Sperm Bank, obwohl wir eine eigene Samenbank haben.

Warum?

Zum einen verfolgen diese Unternehmen ein intensives Marketing – insbesondere in bestimmten Zielgruppen, etwa lesbische Paare oder alleinstehende Frauen (lesbischen Paaren stehen Kinderwunschbehandlungen seit 2015 offen, alleinstehende Frauen sind nach wie vor davon ausgeschlossen, Anm.). Zum anderen werden die Informationen über den Spender für die Paare auf andere Art vermittelt als bei uns. Man kann auf der Homepage Stimm- und Schriftproben oder Kinderfotos des Spenders ansehen. In Wien und anderorts in Österreich ist der Spenderkreis so klein und überschaubar, dass wir die Identität nicht in dieser Form preisgeben können.

Braucht es einheitliche Samenspenderegelungen auf EU-Ebene?

Ja, allerdings wird das schwierig umsetzbar sein, weil die Reproduktionsmedizin rechtlich gesehen EU-Ländersache ist. Was es jedenfalls braucht, ist mehr Transparenz. Hier gibt es Ansätze in Form von zentralen Spenderregistern, deren Umsetzung ich für realistisch halte. 

Dann könnten Paare leichter an Informationen gelangen, wenn zum Beispiel gesundheitliche Probleme beim Kind auftauchen?

Derzeit ist es so, dass ein Paar oder ein Kind, das über eine Samenspende entstanden ist, sich nicht ohne Weiteres über den biologischen Vater informieren kann. Wir bekommen beispielsweise von der European Sperm Bank, die auf Datenschutz bedacht ist, nichts außer einem Code und einem Alias-Namen. Auch wir können die Eltern und Nachkommen nur weiterverweisen. Wenn ein ausländisches Unternehmen in Konkurs gegangen ist, ist fraglich, ob man noch zu den Daten gelangen kann. 

Wie ist das, wenn man aus einer österreichischen Samenbank eine Samenspende bezieht?

Wir kennen jeden Spender persönlich. Von Gesetzes wegen darf ein Spender auch nur in einem Institut spenden. Das muss er unterschreiben. Ob sich die Person daran hält, ist natürlich kaum abschließend kontrollierbar. Es gibt in Österreich aber nur wenige, spezialisierte Samenbanken, die direkt von den Kinderwunschkliniken betrieben werden – ein überschaubares Feld. Wenn eine heimische Samenbank zusperrt, müssen die Spenderdaten zudem gesichert werden.

Welche Obergrenze für eine Mehrfachnutzung von Spendersperma halten Sie für sinnvoll?

Ich erachte den Einsatz in drei Partnerschaften, den wir in Österreich festgelegt haben, für sinnvoll. 

Wie kann es passieren, dass, wie im aktuellen Fall, eine seltene Genmutation in den Analysen im Zuge einer Samenspende nicht entdeckt wird?

Wenn eine so große Gruppe von Kindern betroffen ist, macht es die Situation natürlich besonders schlimm. Aber man muss sagen, dass es eine Illusion ist, zu glauben, dass ein Spender aufgrund der durchgeführten Tests vollkommen gesund ist. Grundsätzlich wird – auch in Österreich – auf die häufigsten Erbkrankheiten getestet, spannenderweise reicht in Österreich theoretisch eine genetische Stammbaumanalyse zur Risikoabschätzung aus. Auch die beste Untersuchung kann nicht zu 100 Prozent garantieren, dass keine seltene Erkrankung vorliegt, die vererbt werden kann. 

Man muss aber auch betonen, dass der Bezug einer Spende über eine Samenbank deutlich sicherer ist, als wenn man sich privat eine Spende organisiert. Es gibt Personen, die sich über Social Media als Spender anbieten und wo über die Becher-Methode eine Befruchtung anvisiert wird. Diese Proben sind komplett ungetestet, was Infektionskrankheiten und Erbkrankheiten betrifft.

Der Fall rückt auch den Fertilitätstourismus in den Fokus. In Frankreich sind 18 Kinder betroffen, obwohl der Samen dort nie verkauft wurde. Alle Mütter waren Fertilitätstouristinnen, die wegen der strengen Regelung im Heimatland ins Ausland gereist waren. Auch aus Österreich reisen alleinstehende Frauen aufgrund der heimischen Gesetzeslage des Öfteren ins Ausland, um dort reproduktionsmedizinische Angebote in Anspruch zu nehmen. Social Freezing wird nach einer jüngsten Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes in Österreich in absehbarer Zeit erlaubt werden. Werden im Zuge dessen Kinderwunschbehandlungen auch für alleinstehende Frauen geöffnet? 

Ich bin davon überzeugt, dass die österreichische Gesetzeslage in absehbarer Zeit an Nachbarländer wie Deutschland angepasst werden wird. Damit wird auch der Tourismus eingeschränkt. 

Kommentare