In-vitro-Maturation: Kommt jetzt die künstliche Befruchtung ohne Hormonspritzen?

Wissenschafterin gibt etwas in eine Petrischale in einem Labor.
Schon seit den Neunzigern wird zu dem Verfahren geforscht. Arbeiten eines US-Start-ups bringen die Methode der künstlichen Befruchtung wieder ins Gespräch. Wie viel Hoffnung dürfen sich ungewollt kinderlose Paare machen?

In etwa jedes achte Paar ist in Österreich ungewollt kinderlos. Dank der modernen Reproduktionsmedizin lässt sich der Traum vom eigenen Baby in vielen Fällen erfüllen.

Insbesondere für Frauen ist der Weg zum Wunschbaby allerdings mit Belastungen gepflastert. Neben emotionalen Strapazen können sich die im Zuge einer künstlichen Befruchtung, In-vitro-Fertilisation (IVF), verabreichten Hormone körperlich bemerkbar machen. In Form von Bauchschmerzen, Übelkeit, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schwindel oder Schweißausbrüchen etwa. Schwerwiegende Komplikationen sind selten, aber nicht ausgeschlossen.

Eine Kinderwunschbehandlung ohne Nebenwirkungen verspricht die sogenannte In-vitro-Maturation (IVM). Dabei wird der Eierstock nicht vollumfänglich hormonell stimuliert, bis eine reife Eizelle entnommen werden kann. "Stattdessen entnimmt man unreife Eizellen und lässt sie im Labor nachreifen", erklärt Andreas Obruca, Leiter des Kinderwunschzentrums an der Wien und Präsident der Österreichischen IVF-Gesellschaft.

Kinderwunschbehandlung ohne Nebenwirkungen?

An sich sei die In-vitro-Maturation nichts Neues, sagt der Experte. Schon in den Neunzigerjahren habe man mit dem Verfahren erfolgreich Schwangerschaften erzielen können, auch in Österreich. Seither ist es ruhig um die Methode geworden. 

"In Österreich wird die IVM derzeit kaum angewandt", weiß Julian Marschalek, stellvertretender Leiter der Klinischen Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an der MedUni Wien.

Das hat diverse Gründe. Zum einen sind die Erfolgsraten mit der IVM deutlich niedriger, schildert Obruca: "Wir haben zwar die Möglichkeit, Eizellen im Labor nachzureifen, allerdings erhalten wir dabei in der Regel weniger und auch qualitativ weniger hochwertige Eizellen." In der Folge stünden zum anderen auch die Chancen für eine erfolgreiche Befruchtung und anschließende Schwangerschaft schlechter. "Am Ende des Tages zählt für die Patientinnen immer die Schwangerschaftsrate", weiß Obruca. "Auch wenn das bedeutet, dass es Nebenwirkungen gibt." Wird die Eizellreifung ins Labor verlegt, entstehen auch zusätzliche Kosten, ein relevanter Faktor für Kinderwunsch-Paare. 

Laut Marschalek ergeben sich zudem technische Herausforderungen: "Weil die Medikamente zur Stimulation kürzer und in geringerer Dosierung angewandt werden, sind die Eibläschen (Eizelle und den sie umgebenden Hilfszellen, Anm.) bei der Entnahme kleiner. Man braucht bei der Punktion eine dünnere Nadel, um sie gut fassen zu können." Der Prozess der Eizellentnahme gestalte sich deutlich komplexer. Zudem seien unreife Eizellen schwieriger unter dem Mikroskop zu beurteilen.

Nicht nur im Zellkern der Eizelle finden Reifungsschritte statt, auch im Umfeld. "Hier weiß man inzwischen, dass durch die Entnahme der Zelle aus dem natürlichen Umfeld notwendige Signale fehlen, was die Reifung beeinträchtigen kann", erklärt Marschalek.

US-Start-up prescht mit speziellem Nährmedium vor

Um die Reifung unreifer Eizellen außerhalb des Körpers zu ermöglichen, sind spezielle Nährmedien erforderlich, die mit Hormonen und weiteren Wirkstoffen angereichert sind. An der Optimierung dieser arbeitet das US-amerikanische Start-up Gameto.

Mit dem Produkt "Fertilo" verfolgt das Unternehmen das Ziel, die Eizellen zuverlässiger außerhalb der Eierstöcke zur Reife zu bringen. Im Rahmen der Tests werden den Frauen die Eizellen bereits nach zwei bis drei Tagen hormoneller Stimulation entnommen – deutlich weniger als die herkömmlichen zehn bis fünfzehn Stimulationstagen. Statt die unreifen Eizellen einfach in einer Nährlösung zu kultivieren, kombiniert Gameto sie mit sogenannten Helferzellen, die aus Stammzellen gewonnen werden. Diese sollen die Eizellen ähnlich unterstützen wie die natürliche Umgebung im Eierstock. 

Einer firmeneigenen Studie zufolge führt dieses Verfahren zu einer Schwangerschaftsrate von 44 Prozent – damit leicht über dem Niveau herkömmlicher Methoden. Bisher wurde das Verfahren jedoch erst bei einer kleinen Gruppe von Frauen unter 37 Jahren angewandt.

Wann die IVM die Methode der Wahl ist

Das erste mit "Fertilo" gezeugte Kind kam im Dezember letzten Jahres in Peru zur Welt. Aktuell startet Gameto in den USA erste klinische Studien mit mehreren Hundert Teilnehmerinnen, um die Wirksamkeit seines Produkts weiter zu erforschen.

"Natürlich wird nach wie vor an optimierten Nährstofflösungen gearbeitet, die bessere Ergebnisse bringen sollen", sagt Obruca. Dass mit "Fertilo" ein Durchbruch geglückt ist, bezweifeln die heimischen Experten. Dass die IVM in naher Zukunft zum Routineverfahren werden oder gar die IVF ersetzen könnte, halten sie für ausgeschlossen.

Allerdings gebe es sehr wohl Fälle, wo eine IVM das Mittel der Wahl sei. So haben etwa Frauen mit bestimmten Hormonstörungen, etwa dem Polyzystisches Ovar-Syndrom (PCO-Syndrom), ein erhöhtes Risiko für eine Überstimulation im Zuge einer Fruchtbarkeitsbehandlung (siehe Infobox). Betroffen sind vor allem jüngere Frauen mit hoher Eizellreserve (Anzahl der Eizellen, die einer Frau in ihren Eierstöcken zur Verfügung stehen, Anm.).

Entlastung durch ärztliche Aufklärung

Um Frauen im Zuge einer Kinderwunschbehandlung allgemein zu entlasten, sei laut Marschalek Aufklärung wesentlich: "Ein Eibläschen mit einer reifen Eizelle darin hat einen Durchmesser von rund zwei Zentimetern. Wenn durch die Hormonbehandlung mehrere Eizellen zur Reife gebracht werden, versteht es sich, dass die Frau das deutlich spürt." Zudem könne man einem schweren Überstimulationssyndrom inzwischen medikamentös entgegenwirken. "Alternativ kann man die IVF auch teilen und nach der Entnahme der Eizellen einen Stopp machen, diese befruchten und die entstandenen Embryonen einfrieren und erst im nächsten Zyklus mit der Behandlung fortsetzen – dann hat die Patientin eine Pause und ein schweres Überstimulationssyndrom wird verhindert."

Wirklich interessant sei die IVM bei Patientinnen, "bei denen wir keine Zeit haben, um eine künstliche Befruchtung durchzuführen, etwa, wenn im Hintergrund eine Krebserkrankung besteht", sagt Marschalek. In solchen Fällen bleibe oft keine Zeit für eine vollständige hormonelle Stimulation. 

Bei Frauen im fortgeschrittenen Alter mit niedriger Eizellreserve könne die IVM zudem eine Option sein, "weil hier die hormonelle Stimulation komplexer ist, weil sich die Eibläschen oft nicht synchron entwickeln und eine externe Reifung der Eizellen daher durchaus Sinn macht".

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