Covid-19: Was man bereits über Spätfolgen weiß
Nicht jeder, der nach einer Covid-19-Erkrankung als genesen gilt, ist wirklich fit: In einer Studie des Londoner King’s College litten zehn Prozent der Genesenen bis zu zwei Monate später noch an Symptomen wie Erschöpfung, Atembeschwerden, Schwindel oder Kopfschmerzen.
Die tatsächlichen Spätfolgen sind aber in vielen Bereichen noch unklar. „Etwas Endgültiges kann man derzeit noch nicht sagen. Was bisher beschrieben wird, sind Fallserien und Momentaufnahmen“, gibt Thomas Berger, Neurologe an der MedUni Wien zu bedenken. Viele davon beziehen sich nur auf diejenigen Patienten, die im Spital oder auf Intensivstationen behandelt wurden. Er warnt vor Panik. „Das ergibt auch eine gewisse Verzerrung. Gleichzeitig weiß man aber nicht, wie es bei den 80 Prozent an leichten Fällen ausschaut.“
Spuren im Körper
Bei leichteren Verläufen scheint es im Normalfall keine dauerhaften Folgen zu geben, zeigen die bisherigen Erfahrungen. Längerfristige Spuren hinterlassen vor allem schwerere Krankheitsverläufe im Körper: „Oft werden mehrere Organsysteme in Mitleidenschaft gezogen“, sagt Michael Muntean, Leiter des Humanomed Rehabilitationszentrums in Althofen. „Wir wissen noch nicht, ob diese Patienten langfristig besonderer Therapie und Behandlung bedürfen.“
Die Atmungsorgane sind bei einer Infektion zuerst mit dem Virus konfrontiert – SARS-CoV-2 greift auch die Lunge an. Ein weiterer Aspekt ist künstliche Beatmung: „Sie sichert dem Patienten in dieser Phase das Überleben. Was schädigt, ist nicht die Intubation an sich, sondern die absolute Null-Aktivität.“ Das schwächt die Lungenmuskulatur enorm und damit die Versorgung mit Sauerstoff. „Diese muskulären körperlichen Defizite müssen wieder kompensiert werden“, erklärt der Lungen-Reha-Experte.
Eine durch Covid-19 ausgelöste Entzündung in den Lungenzellen schwelt vermutlich lange dahin: „Die infiltrativen Veränderungen im Röntgen oder CT sind oft wochen- oder monatelang zu sehen.“ Auch das könnte zu einer beeinträchtigten Sauerstoffaufnahme führen.
Neurologische Folgen
Ein Bereich, in dem sich ebenfalls einiges Wissen über Spätfolgen abzeichnet, ist das neurologische Spektrum. „Aufgrund der bisherigen Erkenntnisse kann man festhalten, dass bis zu 60 Prozent der Hospitalisierten und Intensivpatienten ein neurologisches Problem hatten“, weiß Neurologe Thomas Berger. „Je systemischer eine Infektion ist – dazu zählt auch jene mit SARS-CoV-2 – desto mehr sind Gehirn und Nervensystem involviert. Treten zum Beispiel Blutgerinnungsstörungen auf, ist die Gefahr für Schlaganfälle höher.“
Geruchssinn
Bei jeder Infektion kann das Gehirn aber auch direkt betroffen sein – man spricht von einer Entzündung des Organs (Enzephalitis). „Sie ist extrem selten, darüber gibt es nur eine Handvoll Berichte.“ Wesentlich häufiger – nämlich bei 80 Prozent – tritt eine Störung des Geruchs- und Geschmackssinns auf. „Hier ist von einer direkten Infektion der Riech- und Geschmacksbahnen auszugehen. Es zeugt davon, dass das Virus das Potenzial hat, Nerven auch direkt zu befallen.“
Spätfolgen, die von anderen Infektionen her bekannt ist, betreffen neurologische Erkrankungen, die mit einer Verzögerung von vier bis sechs Wochen nach der ursprünglichen Infektion auftreten. „Es kommt zu einer immunologischen Reaktion, die verzögert eine Erkrankung des Gehirns oder Rückenmarks oder auch des peripheren Nervensystems auslöst.“ Wenn das periphere Nervensystem betroffen ist, dann spricht man von einem Guillain-Barré-Syndrom. „Das ist etwas, das wir von anderen Infektionen kennen, daher haben wir auch damit gerechnet, dass es bei Covid-19 auftritt – wenn auch in Österreich insgesamt bisher selten“, sagt Berger.
Welche Symptome stehen noch in Zusammenhang mit einer Erkrankung? Welche sind Spätfolgen? Neurologe Thomas Berger: „Es gibt eine Zeitmarke von sechs bis acht Wochen, dass bei Symptomen oder einer Erkrankung eine Reaktion noch in Zusammenhang mit einer vorausgegangenen Erkrankung bzw. Infektion bestehen könnte.“ Diese Einordnung hat man ursprünglich bei sehr seltenen Komplikationen nach Impfungen aufgestellt.
Als Spätfolge könne man dann „alles, das später auftritt“, ansehen. Etwa, wenn ein Symptom mehrere Monate nach Abklingen einer Erkrankung auftritt. „Wenn jemand auf der Intensivstation behandelt wurde und Monate später etwa an Schlafstörungen leidet, kann das eine Spätfolge von Covid-19 sein.“
Zusammenhänge herzustellen bei etwas, das Jahre später auftritt, „da tun wir uns alle schwer mit einer tatsächlichen Verbindung.“ Dem kann durch eine exakte Dokumentation der Erkrankung und ihrer möglichen Früh- und Spätkomplikationen Abhilfe geschaffen werden, betont Berger. Das werde derzeit mit dem Neuro-Covid-19 Register der European Academy of Neurology unter österreichischer Federführung gemacht.
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