Cortisol als hormonelle Gegenmaßnahme bei Stress
Die Zutaten der Drinks sollen, so wird es jedenfalls in sozialen Medien propagiert, die Funktion der Nebennieren unterstützen. Tatsächlich spielen die kleinen Drüsen oberhalb der Nieren eine Rolle bei der Reaktion des Körpers auf Stress und produzieren das Stresshormon Cortisol, weiß Christine Tretter, Fachärztin für Psychiatrie und Ernährungsmedizin. "Es kommt zu einer Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Achse, die die Hormonfreisetzung in den Endorganen steuert. Cortisol ist also eine Art hormonelle Gegenmaßnahme bei Stress. Es kommt zu einer Aktivierung", schildert Tretter.
Unmittelbar hat Cortisol eine dämpfende Wirkung, "man wird ruhiger", erklärt Tretter. Mündet eine vorübergehende Belastungssituation in chronischen Stress, kommt es aber zu einer übermäßigen Ausschüttung des Hormons. Mit vielfältigen Konsequenzen, weiß Tretter: "Während Cortisol dabei hilft, akute Entzündungen im Körper in Schach zu halten, wird man bei einem Zuviel an Cortisol anfälliger für Infekte. Auch der Stoffwechsel wird gehemmt, es kann zu einer Gewichtszunahme kommen."
Hinweise auf förderliche Wirkungen
Dass Cortisol Drinks tatsächlich relevante stressreduzierende Wirkungen haben, bezweifelt die Psychiaterin: "Es mag ein paar Indizien für positive Wirkung einzelner Substanzen geben. Wir kennen zum Beispiel Hinweise, dass sich Vitamin C bei erhöhtem Stress positiv auswirkt, ein Mangel kann die Stressresistenz beeinträchtigen, ähnlich ist es bei Magnesium."
Apfelessig könne die Verdauung unterstützen. "Eine positive Wirkung auf die Psyche wäre mir nicht bekannt." Bei Kollagen bzw. dessen Hauptbestandteil Glycin stehe die Forschung noch am Anfang: "Glycin ist eine einfache Aminosäure, die einigen Studien zufolge beruhigende und entspannenden Effekte haben kann." Untersuchungen legen auch wünschenswerte Effekte auf die Schaltqualität nahe, was wiederum der Psyche Auftrieb geben kann.
Kokoswasser liefert in erster Linie Kalium. Unter Anspannung wird durch die Cortisolausschüttung vermehrt Kalium ausgeschieden. Ein Mangel an diesem Mineralstoff kann Herzrhythmusstörungen begünstigen. "Allerdings sollte man Kalium auch nicht wahllos zu sich nehmen, weil dann ähnliche Nebenwirkungen drohen", sagt Tretter.
Manche Fachleute führen die stresshemmenden Wirkungen auf den Placebo-Effekt zurück: Demnach könne allein die Erwartungshaltung zu Veränderungen führen. "Echte Stressreduktion", so fasst es Tretter zusammen, "kann mit diesen Getränken sicherlich nicht funktionieren".
Komplexe Ursachen verlangen komplexe Lösungen
Der Grund liegt im Entstehungsmechanismus: "Stress ist ein multifaktorielles Geschehen, hat nicht eine isolierte Ursache, sondern wird durch diverse Außeneinflüsse, Arbeitsdruck, anhaltende psychische Belastungen, einschneidende Lebensereignisse oder auch schlechten Schlaf und Erkrankungen, in Kombination mit mangelnden Ressourcen und Bewältigungsstrategien ausgelöst und aufrechterhalten werden."
Erhöhte Cortisolspiegel im Blut seien nur eine biochemisch messbare Randerscheinung. "Insofern kann eine Einflussnahme darauf keine Lösung für ein komplexes Problem des Gesamtorganismus sein."
Allerdings unterstreicht Tretter sehr wohl die Bedeutung einer ausgewogenen Ernährung für das psychische Wohlbefinden: "Wenn man sich gesund, mit vielen Ballaststoffen und guten Fetten ernährt, nimmt sich der Körper automatisch, was er braucht – auch bei vorübergehendem Stress."
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