Hype um stressreduzierende Getränke: Funktionieren Cortisol-Drinks wirklich?

Seitenansicht einer schönen jungen Frau, die frischen Saft in der Küche genießt.
Mixturen aus Orangensaft, Kokoswasser und Meersalz werden in sozialen Netzwerken als Wunderwaffen gegen Stress gepriesen. Fachleute sind skeptisch.

Fruchtsaft, etwas Kokoswasser, ein Löffel Kollagenpulver – dazu ein Schuss Apfelessig, Magnesium und eine Prise Meersalz: Was nach einer geschmacklich einigermaßen wilden Mischung klingt, wird auf TikTok und Instagram seit einiger Zeit als potentes Rezept gegen Stress beschrieben. Konkret sollen sogenannte "Cortisol Drinks" förderliche Effekte auf das gleichnamige Stresshormon Cortisol im Körper entfalten – sprich, Stress abbauen. 

Sucht man in sozialen Netzwerken nach dem Schlagwort, wird eine ganze Lawine an Videos ausgespielt, mit teils Hunderttausenden oder gar Millionen Aufrufen und Likes. In den Kurzvideos berichten Userinnen und User, wie sie Gefühle des Ausgebranntseins oder der Überforderung mit dem morgendlichen Konsum der Mixturen in den Griff bekommen hätten. 

Klingt verlockend. Insbesondere in Zeiten globaler, multipler Krisen, die Stressgefühle befeuern. Erst kürzlich ergab eine Studie: Die Österreicherinnen und Österreicher hatten 2024 durchschnittlich 55 Tage Stress. Das stressbedingte Belastungslevel ist damit im Vergleich zu 2020 stark angestiegen.

Doch taugen Anti-Stress-Getränke wirklich zur natürlichen Stressbewältigung? 

Cortisol als hormonelle Gegenmaßnahme bei Stress

Die Zutaten der Drinks sollen, so wird es jedenfalls in sozialen Medien propagiert, die Funktion der Nebennieren unterstützen. Tatsächlich spielen die kleinen Drüsen oberhalb der Nieren eine Rolle bei der Reaktion des Körpers auf Stress und produzieren das Stresshormon Cortisol, weiß Christine Tretter, Fachärztin für Psychiatrie und Ernährungsmedizin. "Es kommt zu einer Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Achse, die die Hormonfreisetzung in den Endorganen steuert. Cortisol ist also eine Art hormonelle Gegenmaßnahme bei Stress. Es kommt zu einer Aktivierung", schildert Tretter. 

Unmittelbar hat Cortisol eine dämpfende Wirkung, "man wird ruhiger", erklärt Tretter. Mündet eine vorübergehende Belastungssituation in chronischen Stress, kommt es aber zu einer übermäßigen Ausschüttung des Hormons. Mit vielfältigen Konsequenzen, weiß Tretter: "Während Cortisol dabei hilft, akute Entzündungen im Körper in Schach zu halten, wird man bei einem Zuviel an Cortisol anfälliger für Infekte. Auch der Stoffwechsel wird gehemmt, es kann zu einer Gewichtszunahme kommen."

Hinweise auf förderliche Wirkungen

Dass Cortisol Drinks tatsächlich relevante stressreduzierende Wirkungen haben, bezweifelt die Psychiaterin: "Es mag ein paar Indizien für positive Wirkung einzelner Substanzen geben. Wir kennen zum Beispiel Hinweise, dass sich Vitamin C bei erhöhtem Stress positiv auswirkt, ein Mangel kann die Stressresistenz beeinträchtigen, ähnlich ist es bei Magnesium."

Apfelessig könne die Verdauung unterstützen. "Eine positive Wirkung auf die Psyche wäre mir nicht bekannt." Bei Kollagen bzw. dessen Hauptbestandteil Glycin stehe die Forschung noch am Anfang: "Glycin ist eine einfache Aminosäure, die einigen Studien zufolge beruhigende und entspannenden Effekte haben kann." Untersuchungen legen auch wünschenswerte Effekte auf die Schaltqualität nahe, was wiederum der Psyche Auftrieb geben kann. 

Kokoswasser liefert in erster Linie Kalium. Unter Anspannung wird durch die Cortisolausschüttung vermehrt Kalium ausgeschieden. Ein Mangel an diesem Mineralstoff kann Herzrhythmusstörungen begünstigen. "Allerdings sollte man Kalium auch nicht wahllos zu sich nehmen, weil dann ähnliche Nebenwirkungen drohen", sagt Tretter. 

Manche Fachleute führen die stresshemmenden Wirkungen auf den Placebo-Effekt zurück: Demnach könne allein die Erwartungshaltung zu Veränderungen führen. "Echte Stressreduktion", so fasst es Tretter zusammen, "kann mit diesen Getränken sicherlich nicht funktionieren".

Komplexe Ursachen verlangen komplexe Lösungen

Der Grund liegt im Entstehungsmechanismus: "Stress ist ein multifaktorielles Geschehen, hat nicht eine isolierte Ursache, sondern wird durch diverse Außeneinflüsse, Arbeitsdruck, anhaltende psychische Belastungen, einschneidende Lebensereignisse oder auch schlechten Schlaf und Erkrankungen, in Kombination mit mangelnden Ressourcen und Bewältigungsstrategien ausgelöst und aufrechterhalten werden."

Erhöhte Cortisolspiegel im Blut seien nur eine biochemisch messbare Randerscheinung. "Insofern kann eine Einflussnahme darauf keine Lösung für ein komplexes Problem des Gesamtorganismus sein."

Allerdings unterstreicht Tretter sehr wohl die Bedeutung einer ausgewogenen Ernährung für das psychische Wohlbefinden: "Wenn man sich gesund, mit vielen Ballaststoffen und guten Fetten ernährt, nimmt sich der Körper automatisch, was er braucht – auch bei vorübergehendem Stress."

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