Kinder sind keine Virusschleudern: Schulschließungen oft voreilig

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Die Übertragungsrate der Covid-19-Erreger beträgt in Schulen laut Experten nur 0,5 Prozent, in Kindergärten ein Prozent. Schnellere Tests gefordert.

Covid-19 wird natürlich das Hauptthema sein, wenn diese Woche (14. bis 16. Oktober) die österreichischen Lungenspezialisten und Thoraxchirurgen ihren virtuellen Jahreskongress haben. Vorab  stellt ÖGP-Präsident Ernst Eber (Universitäts-Kinderklinik Graz) schon fest:  "Nur etwa acht Prozent aller bestätigt Infizierten in Österreich gehörten der Altersgruppe von 0 bis 14 Jahren an. Nur 1,5 Prozent waren unter fünf Jahre alt. Von 4.000 Kindern und Jugendlichen mussten bisher nur knapp ein Prozent stationär behandelt werden." Nur eine kleine Minderheit davon kam auf die Intensivstation.

Weniger Rezeptoren

Die Gründe dafür könnten laut dem Experten darin liegen, dass Kinder und Jugendliche weniger ACE2-Rezeptoren im Gewebe aufweisen. Diese Rezeptoren an der Zelloberfläche werden von SARS-CoV-2 zum Andocken verwendet. Ein zweiter möglicher Faktor laut dem Pneumologen: ein trainiertes Immunsystem. "Kinder machen relativ viele virale Infekte durch. Es kann der Fall sein, dass dadurch ihr Immunsystem besonders trainiert wird. Außerdem erhalten Kinder viele Impfungen." So würden sie selbst seltener - und dann vor allem in der Familie durch Erwachsene - mit SARS-CoV-2 infiziert, andererseits verlaufe eine etwaige Erkrankung milder.

Voreilige Schließung

Die oft große Aufregung mit Infektionen in Kindergärten und Schulen samt schneller Schließung von Einrichtungen ist offenbar eher voreilig. Eber: "Grundsätzlich ist es so, dass die Übertragung von Kindern zu Anderen sehr, sehr gering ist. Die Schulinfektionsrate liegt bei 0,5 Prozent, in Kindergärten bei einem Prozent. Wichtig ist, dass man rasch dran ist. Wichtig ist, dass man Kontakte schnell identifiziert. Und das rasche Testen, um komplette Schulschließungen zu verhindern." Daten zur geringen Übertragungsrate von SARS-CoV-2 in Schulen und Kindergärten stammen vor allem aus Studien in Australien.

Die Gesellschaft wird sich jedenfalls auf längere Zeit mit SARS-CoV-2 und Covid-19 einstellen müssen. Tobias Welte (Medizinische Hochschule Hannover): "Die Erwartungshaltungen bezüglich der Impfstoffentwicklung waren deutlich zu optimistisch." Um endgültige Aussagen zu Wirksamkeit und Verträglichkeit treffen zu können, werde man Hunderttausende Probanden in die klinischen Studien einschließen müssen. "Wir werden erste Ergebnisse Ende dieses Jahres, Anfang nächsten Jahres haben." Ein breit anwendbarer Impfstoff werde aber erst deutlich später zur Verfügung stehen können.

Prognose: Bis Winter 2020/21

Welte: "Wir werden mit diesem neuen Virus und mit der Pandemie diesen Herbst, den Winter 2020/2021 und in das Jahre 2021 hinein leben müssen. Es bleibt nichts übrig, als 'auf Sicht zu fahren'. Die Bevölkerung muss verstehen, dass die kleinen Einschränkungen, wie Abstand zu halten, Mund-Nasen-Schutz etc. und Desinfektion gegenüber einem Lockdown eine Petitesse sind." Von einer möglichen Post-Covid-19-Zeit werde man wahrscheinlich erst frühestens im Sommer 2021 oder gar erst 2022 sprechen können.

Der Generalsekretär der ÖGP, Bernd Lamprecht (Kepler Universität Linz), betonte den Fortschritt im Wissen der Medizin über SARS-CoV-2 und Covid-19. Mit Remdesivir und Dexamethason habe man bereits in bestimmten Stadien der Erkrankung wirksame Medikamente. Die Sterblichkeit bei Schwerkranken Covid-19-Patienten sei um zehn bis 15 Prozent reduziert worden. Auch in der künstlichen Beatmung der Patienten habe man dazugelernt. Fragen eines Post-Covid-Syndroms mit potenziell bleibenden Schäden seien aber noch ungeklärt.

"Keine bleibende Schäden"

Eine positive Beobachtung, wie der Experte erklärte: "Erfreulicherweise haben wir in der Nachbeobachtung von Patienten nach drei und sechs Monaten eine nahezu vollständige Erholung der Lungenfunktion gesehen." Es sei kein Anlass, Covid-19 im Regelfall mit chronischen und bleibenden Schäden in Verbindung zu bringen. In Einzelfällen könne es aber - wie auch nach schweren Lungenentzündungen anderer Ursache - zu anhaltenden fibrotischen Veränderungen des Lungengewebes ("Vernarbung"; Anm.) kommen.

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