Coronavirus: Schlaglicht auf das österreichische Gesundheitswesen

Coronavirus: Schlaglicht auf das österreichische Gesundheitswesen
In dem Buch "Wir denken Gesundheit neu" werden Stärken und Schwächen des Gesundheitswesens sichtbar gemacht.

Covid-19 hat den Zustand der Gesellschaft in jedem Land unter das "Brennglas" gestellt. Es zeigen sich Stärken und Schwächen - mit deutlich mehr Kontrast als sonst. Dies gilt auch für das Gesundheitswesen. Der Gesundheitsjournalist Martin Rümmele und der Grazer Public Health-Experte Martin Sprenger haben jetzt als Herausgeber das Buch "Wir denken Gesundheit neu!" (Ampuls Verlag) vorgelegt.

Bedrohung von allen Seiten

"Die Bewältigung der Corona-Pandemie stellte die politischen Entscheidungsträger weltweit vor außergewöhnliche Herausforderungen, und es zeigte sich in kurzer Zeit, wie wichtig ein gut funktionierendes öffentliches, nicht-privatisiertes und soziales Gesundheitswesen ist. Doch das System ist im Umbruch und Klimawandel, Demografie, Fachkräftemangel, Digitalisierung aber auch mögliche neue Krankheitserreger bedrohen es von allen Seiten. Die Corona-Krise hat neue Fragen aufgeworfen, Stärken und Schwächen im Gesundheitssystem gezeigt. Die Folgen werden uns noch lange beschäftigen. Es zeigten sich aber auch neue Wege und das Faktum, dass sich die eigene Gesundheit nicht schützen lässt, wenn man nur auf sich alleine achtet", heißt es vonseiten der Herausgeber, die mit Beiträgen von 35 heimischen und internationalen Experten Performance, Status und Zukunft des Gesundheitswesens auf 184 Seiten analysieren.

Es geht thematisch um die Krankenhäuser, Pflegekräfte in der niedergelassenen Praxis, Pflege, Pharmabranche, E-Health und Telemedizin, Public Health, Gesundheitskompetenz, Armut und soziale Ungleichheit, Klimakrise, Finanzierung und internationale Erfahrungen. Politisch ernüchternd nach der Regierung von Schwarz-Blau und der von ihr realisierten Krankenkassenreform mit der Zusammenlegung zahlreicher Kassen: "Welche Ergebnisse die Fusionen bringen, ist offen. Die versprochene Patientenmilliarde wird es wohl nie geben. Darin sind sich fast alle einig."

Österreich scheint in der Coronakrise jedenfalls gerade noch einigermaßen gut davongekommen zu sein, wenn man sich die Entwicklung im Gesundheitswesen ansieht. Rümmele und Sprenger, ehemals auch im Covid-19-Beirat des Gesundheitsministeriums: "Die Sorge um Intensivkapazitäten war deshalb so groß, weil diese in den Jahren davor massiv abgebaut worden sind. Gerade in jenen Staaten, wo das besonders der Fall war, gab es die meisten Todesfälle."

Österreich schrammte da offenbar an einer Katastrophe vorbei. Die Experten: "Die Deckelung der Gesundheitsausgaben in den vergangenen Jahren hat auch in Österreich tiefe Spuren im System hinterlassen: Von 2009 bis 2018 sank die Gesamtzahl der Spitalsbetten um knapp fünf Prozent je Einwohner, die Zahl der Akutbetten sogar um 14 Prozent. Die Zahl der Ärztinnen und Ärzte mit Kassenvertrag ist im vergangenen Jahrzehnt um 300 gesunken, obwohl die Bevölkerung seither deutlich gestiegen ist. Kamen 2009 rund 980 Menschen auf einen Kassenarzt, so waren es 2018 bereits 1.079."

"Spitalslastiges" Gesundheitswesen

Niemand bezweifelt, dass das österreichische Gesundheitswesen im internationalen Vergleich extrem "spitalslastig" ist. Die Frage ist nur, ob bei Abbau von "Akutbetten" gleichzeitig eine Aufwertung der restlichen Krankenhäuser eben für Patienten mit komplexen und den ernstesten Krankheitsbildern erfolgt und (überproportional) auch genügend Intensivbetten vorgehalten werden.

Für die Primärversorgung setzen die Fachleute jedenfalls eher auf Primärversorgungszentren bzw. Netzwerke samt Einbindung vieler Berufsgruppen. Entscheidend seien attraktive Rahmenbedingungen. Nicht zuletzt habe sich auch in der Krise rund um SARS-CoV-2 herausgestellt, dass die herkömmlichen Einzelpraxen von Hausärzten mit den neuen Anforderungen - auch in Sachen Telemedizin - schlicht und einfach überfordert gewesen seien.

Die Zeit drängt auf diesem Gebiet. Sprenger und Co-Autor Stefan Korsatko in einem Beitrag zur wohnortnahen Versorgung: "In den OECD-Ländern fiel der Anteil der Allgemeinmediziner an allen Ärzten von 32 Prozent auf 29 Prozent. In Österreich lag der Anteil von Hausärzten 1960 noch bei 34 Prozent und fiel bis 2018 auf neun Prozent. Das ist im internationalen Vergleich ein Negativrekord."

Komplexe Gemengelage

Krankenhäuser, AUVA, die Einbindung von spezialisierten Angehörigen von Pflegeberufen in die Patientenversorgung (auch in der niedergelassenen Praxis), Pflege, soziale Fragen und Pharma - das Buch dokumentiert sehr gut die extrem komplexe Gemengelage im Gesundheitswesen. Ökonomie ist ein Aspekt, Patientenversorgung und Menschlichkeit sind andere, bedeutendere. Und Covid-19 beleuchtet den umfassenden Reformbedarf in Österreich und anderswo nur umso schärfer.

Info zum Buch: Martin Sprenger, Martin Rümmele (Hg.): "Wir denken Gesundheit neu! Corona als Chance für eine Zeitenwende im Gesundheitswesen". 184 Seiten, Ampuls Verlag 24,90 Euro

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