So gaben im April insgesamt zwei Drittel an, das Berühren von „fremden“ Oberflächen zu vermeiden, im September nur noch die Hälfte der Befragten – ähnlich gestaltet sich die Entwicklung beim Händewaschen, Social Distancing und Einhalten der Quarantäne. Zwar wird Österreich in der Studie nicht extra aufgelistet, aber „bei uns ist das ganz ähnlich“, sagt Miranda Suchomel vom Institut für Hygiene und Angewandte Immunologie der MedUni Wien. „Im März hatten wir eine unheimliche Ehrfurcht und Angst vor dem Coronavirus, dem großen unbekannten Feind. Niemand wusste, was der Hauptübertragungsweg ist. Als die Empfehlungen ausgesprochen wurden, war man fast dankbar.“
Sinkt die Angst vor dem Virus, nimmt auch die Akzeptanz für die Anti-Corona-Maßnahmen ab und das Gefühl der Menschen, ihrer Freiheit beraubt zu sein, wächst, fand der Sozialwissenschafter Philipp Sischka von der Universität Luxemburg im Rahmen seiner Forschung zu Gesundheitskampagnen heraus.
"Am Anfang gab es die Schreckensbilder aus anderen Ländern, die dazu führten, sich und einander zu schützen. Jetzt flaubt die Angst ab, weil man sich an die Tatsache, dass weltweit eine Pandemie herrscht, gewöhnt hat", sagt die Psychologin Natalia Ölsböck. "Weil die Ansteckungsrate dazwischen erheblich gesunken ist, ist das Gefühl aufgetaucht, 'es kontrollieren zu können"." Die Unsicherung über zwischenzeitlich gesetzte Maßnahmen seitens der Politik, die für viele nicht nachvollziehbar waren, führte bei vielen zu Rebellion, erklärt Ölsböck.
Über SARS-CoV-2 weiß man inzwischen viel mehr als im März, etwa, dass es nicht über Oberflächen übertragen wird, sondern über Tröpfchen – also körperliche Nähe. „Das Problem ist, dass die wichtigsten Maßnahmen keinen sichtbaren Effekt zeigen. Das macht es so schwierig, die Regeln in den Köpfen zu halten“, sagt Suchomel. „Wären Viren bunt, würden sich mehr Menschen regelmäßig desinfizieren.“
Empfehlungen zum Händewaschen und Abstandhalten basieren auf Selbstverantwortung, ob sich jemand daran hält, lässt sich kaum kontrollieren. Beim Tragen des Mund-Nasen-Schutzes ist das anders, erläutert die Hygienikerin: „Die Maske lässt sich leichter nachvollziehen – wenn einer in der U-Bahn keine Maske trägt, fällt er auf und wird vielleicht sogar bestraft.“
Auch aus der YouGov-Umfrage geht hervor, dass in puncto Mund-Nasen-Schutz breite Zustimmung herrscht: In Westeuropa und Nordamerika, wo das Tragen einer Maske vor Corona kein großes Thema war, stieg die Bereitschaft seit April von 27 auf 75 Prozent. In Österreich hatten sich Ende September im Rahmen einer Studie der MedUni Wien 81 Prozent für eine Maskenpflicht in Geschäften und Öffis ausgesprochen, so viele wie am Höhepunkt des Lockdowns.
Eine Einstellung, die sich Suchomel auch beim Thema Händehygiene wünscht. „80 Prozent der ansteckenden Krankheiten werden über die Hände übertragen. Händewaschen sollte uns endlich in Fleisch und Blut übergehen – unabhängig von Corona. Dass es dafür erst eine Pandemie braucht, ist bitter.“
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