Schwingenschuh ist Spezialistin für Bewegungsstörungen. Als solche behandelt sie etwa Patientinnen und Patienten, die an Parkinson, Tremor-Syndromen oder Tics leiden. Auch Menschen mit dem Stiff-Person-Syndrom sind ihr im ärztlichen Alltag bereits begegnet: "Allerdings kommt es nicht allzu häufig vor – etwa einmal im Jahr im Schnitt –, weil die Erkrankung extrem selten ist", berichtet sie. Man geht von etwa einem Betroffenen unter einer Million Menschen aus. "Es gibt Hinweise, dass die Zahl etwas unterschätzt wird." Früher habe man nur die klassischen Ausprägungen diagnostiziert. "Seit man die Erkrankung über spezifische Antikörper nachweisen kann, wird der Krankheitsbegriff als Stiff-Person-Syndrom-Spektrum weiter gefasst."
Steife Muskeln und schmerzhafte Krämpfe
Nach besagten Antikörpern sucht man im Blut und Liquor (Körperflüssigkeit in Hirn und Rückenmark, Anm.). Bevor es so weit kommt, "gilt es das klinische Bild der Krankheit zu erkennen". Die Krankheit zeigt sich durch eine Versteifung der Muskulatur, die besonders die Muskeln neben der Wirbelsäule und an Hüfte und Oberschenkeln betrifft. "Zusätzlich haben Patienten oft ruckartig einschießende, sehr schmerzhafte Muskelkrämpfe", erklärt die Expertin. Auslöser können Berührungen sein, oder wenn Betroffene sich erschrecken oder überrascht werden. "Das führt dazu, dass Patienten eine bizarre Angst davor entwickeln, frei zu stehen oder zu gehen, weil sie Stürze und daraus resultierende Frakturen fürchten." Weil die Muskeln krankhaft überaktiv sind, entwickeln Betroffene ein Hohlkreuz und einen stark hölzernen Gang.
Elektrophysiologische Befunde komplettieren die Diagnostik. "Hier geht es darum, den Zustand der Muskeln zu untersuchen." Beim Stiff-Person-Syndrom sind sie auch in entspanntem Zustand aktiv. "Das führt in Summe zur Versteifung des Körpers."
Frauen – insbesondere zwischen 30 und 50 Jahren – sind doppelt so oft betroffen wie Männer. Warum dem so ist, ist noch ungeklärt. "Da das Syndrom zur Gruppe der Autoimmunerkrankungen gehört, ist es nicht allzu überraschend, bei den allmeisten überwiegt das weibliche Geschlecht." Das Immunsystem erkennt Teile des Nervensystems fälschlicherweise als Feind, greift sie an und schädigt sie. Oft geht das Stiff-Person-Syndrom mit Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse oder Typ-1-Diabetes einher. In sehr seltenen Fällen kann die fehlgeleitete Immunreaktion durch einen Tumor ausgelöst werden. "Etwa im Bereich des Thymus, einem wichtigen Teil der menschlichen Immunabwehr."
Moderne Therapien und ihre Tücken
Heilbar ist das Syndrom derzeit nicht. Betroffenen kann dennoch geholfen werden: "Einerseits ist es wichtig, die Symptome zu lindern, durch Medikamente, die zur Lockerung der Muskulatur beitragen, zum Beispiel mit – leider nebenwirkungsreichen – Benzodiazepinen."
Gegen die schmerzhaften Muskelkrämpfe kommen auch anfallsunterdrückende Arzneien aus dem Bereich der Epilepsie zur Anwendung. "Lokale Spasmen, beispielsweise an einem Bein oder im Gesicht, lassen sich mit Botulinumtoxin-Injektionen (besser bekannt als Botox, Anm.) abmildern", sagt Schwingenschuh. Führt das alleine nicht zum Erfolg, werden Immuntherapien eingeleitet. Sie sind nebenwirkungsbehaftet und teuer. "Der Goldstandard ist derzeit die intravenöse Gabe von Immunglobulinen, wenn unzureichend, wird häufig Rituximab aus der Gruppe der monoklonalen Antikörper verwendet. In Einzelfällen kann ein Plasma-Austausch oder eine Stammzell-Transplantation angedacht werden." Auch neuartige Behandlungen werden erprobt. Allen voran mit neuen monoklonalen Antikörpern. "Hier tut sich im Feld der Autoimmunerkrankungen insgesamt wahnsinnig viel."
Scheinbar allein mit einer seltenen Krankheit
Die Psyche spielt beim Stiff-Person-Syndrom eine große Rolle. "In zweierlei Hinsicht", präzisiert Schwingenschuh: "Stress verschlechtert die Symptomatik – auf der anderen Seite ist es oft nicht möglich, Medikamente gegen Depressionen zu verschreiben, weil sie sie Beschwerden triggern." Insgesamt sei "der Leidensdruck Betroffener immens, weil die Symptomatik enorm einschränkend ist". Oft sei der Leidensweg bis zur Diagnose ein langer. "Bei seltenen Erkrankungen kommt das Gefühl des Alleinseins dazu."
Um Patienten adäquat behandeln und eine rasche, nicht umkehrbare Verschlechterung des Zustandes zu verhindern, ist eine frühe Diagnose wesentlich. Hier schließt sich der Kreis zu Céline Dion: "Mehr Awareness, also mehr Aufmerksamkeit für die Krankheit, ist immer gut – in der Bevölkerung, aber auch bei Medizinerinnen und Medizinern", sagt Schwingenschuh. Nur so können nicht zuletzt auch großangelegte Studien zu möglichen Therapien durchgeführt und potenziell Forschungsgelder dafür aufgestellt werden.
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