Gerichtspsychiaterin warnt vor Verharmlosung von Cannabis
"Cannabis und Schizophrenie gehen bei vielen unserer Patienten eine unheilige Allianz ein: Cannabis begünstigt nicht nur den Erkrankungsausbruch, sondern beeinflusst auch den Erkrankungsverlauf negativ." Das sagte die renommierte Psychiaterin Adelheid Kastner Mitwochabend bei einem Online-Vortrag für die Gesellschaft der Ärzte im Wiener Billrothhaus. Kastner ist Vorstand der Klinik für Psychiatrie mit Forensischem Schwerpunkt am Kepler Universitätsklinikum in Linz.
Die Schizophrenie ist eine psychische Erkrankung, bei der die Betroffenen ihre Umwelt und auch sich selbst anders wahrnehmen als sonst. "Wir betreuen zu 90 Prozent Schizophrenie-Patienten und uns ist schon seit Jahren aufgefallen, dass unsere Patienten immer früher an dieser schweren und lebensbegleitenden Erkrankung zu leiden beginnen." In den vergangenen 10 bis 15 Jahren "haben wir keinen einzigen Patienten mehr bei uns gehabt, der nicht, so weit erfragbar, vor dem Erkrankungsausbruch Cannabis konsumiert hätte."
Der Titel ihres Vortrags "Cannabis ist harmlos, das nimmt doch heute jeder - ?" sei das Zitat eines 17-jährigen Patienten, der seit dem 13. Lebensjahr Cannabis konsumiere und seit dem 15. Lebensjahr unter schizophrenen Symptomen leide: "Was uns noch unrunder macht ist, dass alle Patienten dem Cannabis-Konsum vollkommen unkritisch gegenüberstehen", diese "unheilige Allianz" sei "nicht vermittelbar". Die Aussage, Cannabis sei nicht harmlos, werde für einen "völligen Blödsinn" gehalten.
"Mit Zucker gleichgesetzt"
Doch diese Ansicht der Harmlosigkeit würden ihre Patienten mit einem Großteil der Österreicher teilen: "Es gibt Untersuchungen, wonach die österreichische Bevölkerung die Gefährlichkeit von Cannabis weit abgeschlagen nach Alkohol und Nikotin ungefähr mit Zucker gleichsetzt."
Doch Kastner betonte, dass diese öffentliche Wahrnehmung "nicht der klinischen Erfahrung" entspricht. "Die Entwicklung, die wir in Deutschland in wenigen Tagen beobachten werden (die Teil-Legalisierung, Anm.), beruht wahrscheinlich zu einem Teil auch auf dieser angenommenen Nicht-Schädlichkeit, die man gerade aus psychiatrischer Sicht in dieser Form bei Gott nicht nachvollziehen oder auch bestätigen kann."
Im öffentlichen Raum soll der Besitz von 25 Gramm getrocknetem Cannabis durch das Gesetz künftig straffrei bleiben. Anbau und Abgabe der Droge soll über Anbauvereine ermöglicht werden. Im Eigenanbau zuhause sind bis zu 50 Gramm sowie drei Pflanzen erlaubt.
Anders als das Gesetz insgesamt gelten die Vorschriften für die Anbauvereinigungen erst ab dem 1. Juli. Dies soll Ländern und Kommunen ausreichend Zeit für die Vorbereitungen geben.
Vor 40 Jahren "durfte ich noch Patienten kennenlernen, die aufgrund irgendwelcher Belastungen oder Lebensereignisse mit 20 Jahren die erste psychotische Episode hatten, aber nie Cannabis konsumiert haben. Die gibt es nicht mehr."
Laut Drogenbericht 2022 haben bis zu 40 Prozent aller 15- bis 24-Jährigen - "zu beachten ist der 15-Jährige" - mindestens einmal Cannabis konsumiert. "Vor allem in Anbetracht der Gehirnentwicklung, die bis ins 24. Lebensjahr noch fortschreitet, ist dieser Konsumbeginn, der auf ein noch nicht ausgereiftes Gehirn einwirkt, besonders problematisch zu sehen."
Kastner zitierte in ihrem Vortrag aus einer Reihe von Studien, die sich mit dem Anteil von Cannabis am Entstehen psychotischer Erkrankungen befassen. Laut einer im Fachmagazin Lancet Psychiatry bedeutet ein täglicher Cannabiskonsum ein erhöhtes Risiko für das erstmalige Auftreten von psychotischen Erkrankungen, "und zwar unabhängig vom Alter beim Erstkonsum und vom Cannabistyp, es ist generell ein erhöhtes Risiko damit verbunden."
Sehr problematisch sei, dass der THC-Gehalt des im Straßenverkauf erhältlichen Cannabis mittlerweile zwischen 10 bis 20 Prozent liege, "und damit deutlich über den zirka drei Prozent, die das Cannabis aus dem Straßenverkauf vor 10 bis 15 Jahren noch hatte." Werde derart hochpotentes Cannabis (ab zirka zehn Prozent THC-Gehalt) täglich konsumiert, erhöhe sich das Risiko für psychotische Erkrankungen um das Fünffache, bei einem deutlich weniger potenten Cannabis um das 3,2-Fache. Wird hochpotentes Cannabis nicht täglich, aber doch regelmäßig konsumiert, steigt das Risiko um das 1,6-Fache.
Viele Erkrankungen vermeidbar
"Beginnt dieser Missbrauch vor dem 15. Lebensjahr, dann verdoppelt sich das Erkrankungsrisiko." Wäre hingegen hochpotentes Cannabis nicht mehr verfügbar, dann wären bis zu 20 Prozent der neu auftretenden psychotischen Erkrankungen vermeidbar.
"Wir wissen, dass schizophrene Erkrankungen, wenn sie einmal ausgebrochen sind, ein Leben lang bestehen bleiben und zu erheblichen Defiziten bei den Betroffenen führen", betonte Kastner. Und: "Es ist immer wieder erschreckend und auch entsetzlich, wie - wenn man dieses umgangssprachliche Wort verwenden möchte - 'zuagricht' diese Leute dann sind. Da sitzen dann 25-, 26-, 27-Jährige, wo man weiß, das ist gelaufen. Die sind für nichts mehr zu haben, an nichts mehr interessiert, außer daran, regelmäßig zu rauchen."
Laut Kastner gebe es auch immer die Debatte, ob der Cannabis-Konsum dem Beginn einer Psychose vorangehe, oder ob er eine Art fehlgeleitete Selbstbehandlung für schon bestehende und als belastend empfundene Symptome darstelle. "Es wird wahrscheinlich beides sein, aber man geht schon davon aus, dass der Cannabis-Konsum dem Auftreten psychotischer Symptome vorangeht und dass ein bereits bestehender Konsum mit häufigeren psychotischen Episoden assoziiert ist."
Bei Cannabis-Konsumenten treten Psychosen auch im Schnitt 2,7 Jahre früher auf als bei Nicht-Konsumenten: "Das ist nicht nur wegen der Gehirnentwicklung ungünstig, sondern auch wegen des Erlangens von Alltagskompetenzen."
Junge Männer besonders gefährdet
Laut einer weiteren Studie seien junge Männer wesentlich vulnerabler für die Effekte von Cannabis und die Entwicklung einer Schizophrenie als Frauen. "Diese Studie kommt zu dem Schluss, dass ein Fünftel aller Schizophrenie-Fälle junger Männer durch die Vermeidung von Cannabis-Konsum verhindert werden könnte."
In Dänemark haben zwischen 2000 und 2012 die Häufigkeit von Schizophrenie kontinuierlich zugenommen, so Kastner. "Im selben Zeitraum hat sich der Cannabis-Missbrauch verdreifacht bis vervierfacht und auch die THC-Konzentration in der missbrauchten Substanz zugenommen."
Kastner zitierte auch Daten, wonach die international zunehmende Legalisierung von Cannabis dazu geführt habe, dass es zu der am häufigsten konsumierten psychoaktiven Substanzen weltweit geworden ist, während gleichzeitig die öffentliche Wahrnehmung der Schädlichkeit von Cannabis abgenommen habe.
Ein Argument von Befürwortern einer Teil-Legalisierung ist, dass dann nur mehr legal ein weniger problematisches Cannabis mit niedrigerem THC-Gehalt konsumiert würde. Dazu Kastner: "Wenn man den THC-Gehalt auf eine ungefährlichere Menge senken möchte, dann müsste man den aktuell verfügbaren THC-Gehalt von auf der Straße erhältlichen Substanzen um mehr als 50 Prozent reduzieren." Es bleibe aber die Frage, "wie sehr dieses 'Cannabis light' für die Konsumenten attraktiv wäre und wie sehr sie dann nicht doch wieder versuchen würden, sich das hochpotente Zeug, das bei ihnen so gut wirkt, sich eben dann auch illegal zu beschaffen."
Man könne nicht annehmen, dass die Freigabe von Cannabis mit definierter THC-Konzentration den gesamten Schwarzmarkt zum Erliegen bringen würde: "Es würde zu Steuereinnahmen führen, aber ob das dazu führen würde, dass dieses hochkonzentrierte und von den Konsumenten ja deshalb geschätzte Cannabis nicht mehr illegal gehandelt würde, da bin ich mir nicht sicher, dass das so funktionieren würde."
"Prävention schon in Volksschulen"
„Wir brauchen mehr Information und Prävention zum Thema Suchterkrankungen, bereits in den Volksschulen, nicht eingeengt auf eine Substanz, sondern ganz generell und auch wiederholend.“ Das forderte in der Gesellschaft der Ärzte Gabriele Fischer, Leiterin des Bereichs Suchtforschung und Therapie an der Uni-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der MedUni Wien.
„Und in der Sekundärprävention, wenn es bereits ein Problem gibt, benötigt es niederschwellige, aber qualifizierte und gemeindenahe Anlaufstellen.“ Hier müsse Geld in die Hand genommen werden für Beratungs- und Behandlungszentren mit qualifiziertem Personal: „Gibt es ein wirkliches Problem wie eine Angststörung, ein Trauma oder eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung, ADHS, dann braucht es einen psychiatrischen Befund.“ Derzeit gebe es aber einen Mangel an qualifiziertem Personal wie etwa Kinder- und Jugendpsychiatern oder klinischen Psychologinnen und Psychologen.
So entwickeln 50 Prozent der Personen mit ADHS einen problematischen Cannabis-Konsum: „Sie beginnen besonders früh und besonders intensiv zu rauchen, weil sie sich in ihrem Körper nicht wohlfühlen.“ Deshalb versuchen sie, sich selbst zu behandeln – „und die am besten verfügbare Substanz ist Cannabis“. Hier sei eine frühzeitige Diagnose und Therapie notwendig, um einen schweren Verlauf einer Suchterkrankung zu verhindern.
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