Gleich gefährlich wie Alkohol
Schätzungen zufolge sind weltweit zwischen zehn und 20 Prozent aller Verkehrsunfälle auf Müdigkeit zurückzuführen. Neue Erkenntnisse deuten daraufhin, dass Autofahren nach weniger als fünf Stunden Schlaf genauso gefährlich ist wie Alkohol am Steuer. "Es muss ein System geben, mit dem überprüft werden kann, ob jemand ausreichend geschlafen hat, denn er könnte das Leben anderer Menschen gefährden", fordert Steven Lockley, Schlafexperte an der Harvard Medical School, in der britischen Tageszeitung The Guardian.
Clare Anderson von der Monash University in Melbourne, Australien, die bei der Entwicklung des Bluttests federführend beteiligt ist, fügt hinzu: "Obwohl die Lösung für Müdigkeit recht einfach ist, nämlich mehr Schlaf zu bekommen, ist unsere Fähigkeit, damit umzugehen, beeinträchtigt, weil wir keine Instrumente haben, um sie zu überwachen, wie wir es bei Alkohol tun."
Blutmarker
Andersons Forschungsteam hat fünf Biomarker im Blut identifiziert, mit denen sich mit einer Genauigkeit von über 99 Prozent feststellen lässt, ob jemand 24 Stunden oder länger wach gewesen ist. Diese Biomarker seien bei allen Menschen gleich, erklärt Anderson. Einige seien Lipide, andere würden im Darm produziert und stammen damit aus verschiedenen Teilen des Körpers, "was interessant ist, weil Schlaf mit einer Reihe von Gesundheitsproblemen in Verbindung gebracht wird. Es handelt sich jedoch nicht um Stoffwechselprodukte, die mit Dingen wie Koffein oder Angstzuständen oder Adrenalin in Verbindung gebracht werden, was bei einem Autounfall der Fall sein könnte."
Auch Folgestudien unter realitätsnäheren Bedingungen hätten gezeigt, dass diese Biomarker mit einer Genauigkeit von fast 90 Prozent Schlafmangel erkennen können, so die Forscherin. Weitere Arbeiten seien jedoch erforderlich, um feststellen zu können, ob jemand z. B. fünf oder nur zwei Stunden geschlafen hat.
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In zwei Jahren fertig
Laut Anderson könne ein forensischer Bluttest für Schlafentzug, der neben bestehenden Drogen- und Alkoholtests durchgeführt werden könnte, bereits in zwei Jahren fertig entwickelt sein. Tragbare Tests, die auf den Straßen angewandt werden, werden jedoch noch länger auf sich warten lassen, da die Sensoren und Geräte zum Nachweis der Biomarker noch entwickelt werden müssen. Shantha Rajaratnam, ebenfalls von der Monash University, zeigt sich jedoch zuversichtlich, dass diese innerhalb von fünf Jahren zumindest in sicherheitskritischen Branchen wie dem Lkw-Verkehr oder in der Luftfahrt einsatzbereit sind.
Sollte Übermüdung am Steuer zukünftig tatsächlich strafrechtlich verfolgt werden, müsste neben Testmöglichkeiten allerdings auch ein gesetzlicher Schwellenwert für die Mindestschlafdauer festgelegt werden, die ein Autofahrer oder eine Autofahrerin benötigt, um sicher zu fahren - ähnlich dem Grenzwert von 0,5 Promille Alkoholgehalt im Blut in Österreich.
Eine vom britischen Office of Road Safety finanzierte Studie ist ein erster Schritt in diese Richtung. Die Forschenden fassten darin die Ergebnisse von 61 Labor- und Feldstudien zusammen, um einen Punkt zu bestimmen, ab dem festgemacht werden kann, dass eine Person aufgrund von Müdigkeit beeinträchtigt ist. Die Ergebnisse wurden im Fachblatt Nature and Science of Sleep veröffentlicht.
Umstritten
"Auf der Grundlage unserer Meta-Analyse scheint es, dass vier bis fünf Stunden Schlaf ein vernünftiger Wert sind, um diese Grenze zu ziehen", erklärt Madeline Sprajcer von der Central Queensland University, Australien. "In Australien und in vielen anderen Ländern gilt eine Blutalkoholkonzentration von 0,5 Promille als gesetzlicher Grenzwert für das Führen eines Fahrzeugs, bei dem sich das Risiko eines Verkehrsunfalls etwa verdoppelt. Bei einer Schlafdauer von weniger als fünf Stunden verdoppelt sich das Risiko im Vergleich zu ausgeruhten Personen ebenfalls."
Schlafforscherinnen und Schlafforscher sind sich zwar einig, dass mehr getan werden muss, um die Zahl der Toten und Verletzten zu verringern, die durch unaufmerksames Fahren verursacht werden. Ob die Bestrafung der Fahrerinnen und Fahrer die beste Lösung ist, bleibt jedoch umstritten.
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