24-Stunden-Betreuung: So helfen die stillen Heldinnen

24-Stunden-Betreuung: So helfen die stillen Heldinnen
KURIER-Serie "Wege der Pflege": 80.000 Helferinnen, die meisten aus Osteuropa, schließen Versorgungslücken in Österreich.
Von Uwe Mauch

„Ich bin als Clown durch halb Europa getingelt, bis hinauf nach Skandinavien.“ Erzählt Erich Kastner. Dabei hört ihm seine Betreuerin aufmerksam zu. Sie hat gute Gründe dafür: Der 93-Jährige, den sie zu Hause betreut, kann aus einem ereignisreichen Leben erzählen, nebenbei verbessert Zdenka Fabova ihre Deutsch-Kenntnisse.

Zu Besuch in einem Ein-Familien-Haus in St. Andrä-Wördern an der Donau: Viel in diesem Haus hat sich Erich Kastner selbst gemacht. Bis vor drei, vier Jahren konnte er sich nicht vorstellen, dass einmal eine fremde Frau bei ihm ein- und ausgeht.

Hilfe von außen

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Doch im Jahr 2015 musste er gleich zwei Schicksalsschläge hinnehmen: „Zuerst ist meine Frau gestorben.“ Dann hat er einen Herzinfarkt erlitten – wohl als Folge mo natelanger Überanstrengung. „Ich habe sie bis zu ihrem Tod gepflegt.“ Seither benötigt er fremde Hilfe, rund um die Uhr.

Lieber erzählt Herr Kastner von früher. Und das sehr amüsant: „Ich bin mit meinem Vater auch in Finnland aufgetreten. Und wir haben immer einige finnische Wörter eingeworfen, obwohl wir kein einziges verstanden haben. Das war eine Hetz!“

Genau erinnert sich der Hilfebedürftige, wie er im Alter von vierzig Jahren vom Zirkus zu General Motors kam und wie er sich dort dank seines Hausverstands und seiner charmanten Art vom Chauffeur nach oben diente.

So schön er erzählen kann, so sehr ist er seit seinem Herzinfarkt auf die Hilfsdienste seiner 24-Stunden-Betreuerin angewiesen. Sie geht für ihn einkaufen. Sie kocht für ihn täglich. Sie reinigt seine Wäsche. Sie hält sein Haus bestens in Schuss. Und wenn er wieder einmal frische Luft schnappen will, schiebt sie ihn mit dem Rollstuhl nach draußen.

„Ich bin sehr zufrieden mit der Frau Zdenka“, freut sich Erich Kastner. Und er kann genau sagen, womit er zufrieden ist: „Mit ihrem Fleiß, ihrer Ruhe, Hilfsbereitschaft, Sparsamkeit und auch mit ihren Kochkünsten.“

14 Tage betreut sie ihn mit täglich zwei Stunden Pause. Dann wird sie von einer Landsfrau abgelöst, und sie fährt heim zu ihrer eigenen Familie – in Trenčín in der Westslowakei.

„Ein echter Gentleman“

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Herrn Kastner bezeichnet sie respektvoll als „einen echten Gentleman, der geistig noch sehr fit ist und dem ich gerne zuhöre“. In der Früh bereitet sie ihm sein Müsli mit Hirse, Leinsamen, Bananen und Milch zu. Zu Mittag begeistert sie ihn beispielsweise mit ihren „palacinky“ oder mit Grammelknödeln mit Rot kraut. Am Nachmittag serviert sie ihm noch einmal Kaffee und Kuchen. Daran anschließend lernt sie gemeinsam mit ihm Deutsch.

Zdenka Fabova ist eine von offiziell 40.000 Betreuerinnen aus der Slowakei. Mit einer klassischen Betreuerinnen-Biografie: Die Mutter von zwei erwachsenen Kindern verliert, nachdem sie 25 Jahre lang eine Boutique in ihrer Heimatstadt geführt hat, ihren Job. Weil sie keinen anderen findet, investiert sie 300 Euro in eine halbjährige Ausbildung zur Personenbetreuerin. Seit fünf Jahren arbeitet sie in Österreich. Die heute 52-Jährige hofft, „dass ich gesund bleibe und noch möglichst lange hier arbeiten kann“. Denn ihre staatliche Pension wird nicht weit über 300 Euro liegen. „Damit kann ich nur die Miete meiner Wohnung bezahlen.“

Nicht alle Betreuten sind in einem derart stabilen Zustand wie Erich Kastner. Vor allem jene, die an Demenz leiden, setzen den Betreuern zu. Glück hat Zdenka Fabova auch mit ihrer Vermittlungsagentur, die fair abrechnet. „Ich weiß von Kolleginnen, wie diese abgezockt werden.“

Dennoch plagen sie Sorgen: „Meine Mutter ist an Krebs erkrankt und musste operiert werden. Ich kann sie nicht besuchen, weil ich hier in Österreich arbeite.“

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80.000 Betreuerinnen - ein riesiger Markt

Insgesamt arbeiten derzeit bis zu 80.000 Personenbetreuer in der 24-Stunden-Personen-Betreuung. Die meisten kommen aus der Slowakei, viele aus Rumänien, Ungarn, Bulgarien, nur wenige aus Österreich. Die Nachfrage steigt – aufgrund der alternden österreichischen Gesellschaft.

„Sie springen dort ein, wo das bestehende Heimhilfe-Netz nicht mehr ausreicht“, erklärt Katarina Staronova, die gemeinsam mit Kolleginnen im Jahr 2016 das Institut für Personenbetreuung (ipb) gegründet hat. Ziel des ipb ist es, die in Österreich tätigen Personenpfleger zu vertreten und auch deren Kundschaft über ihre gesetzlich verbrieften Rechte genau zu informieren. Außerdem konnten Staronova und ihre Kolleginnen unzählige Missstände  in ihrer Branche aufdecken. Nähere Infos zum ipb telefonisch unter: 0699 /  17 17 65 01.

Hilfe dank der Internet-Plattform „Harmony and Care“

Am Anfang stand ein privates Versorgungsproblem: Der IT-Manager  Herwig Neumann hat seinen Job bei einer Hotelkette in den USA aufgegeben, um seine Eltern in Klagenfurt pflegen zu können. Dabei wollte er auch die Hilfe von 24-Stunden-Betreuern in Anspruch nehmen. Wollte. Denn seine Eltern kamen mit elf Betreuerinnen, einer nach der anderen, nicht auf einen grünen Zweig. „Weil die Chemie ganz einfach nicht gepasst hat.“

Genau an diesem Punkt setzt das Angebot der von Neumann im Jahr 2013 mitbegründeten Internet-Plattform Harmony & Care an. In Kooperation mit derzeit 18 Vermittlungsagenturen und Psychologen wurde ein eigener Check entwickelt. Und der funktioniert so: Zuerst befragen die Agenturen ihre Betreuungskräfte, um ihre Qualifikationen und Persönlichkeitsmerkmale herauszufiltern. Wenn sich dann Patienten bzw. Angehörige an die Agentur wenden, wird ihnen ein Fragebogen übermittelt. Aufgrund ihrer Antworten erstellt die Agentur ein Ranking der bestmöglich passenden Kräfte. Mehr über dieses Online-Service unter: harmonyandcare.com.

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