Geschichte der Erdölindustrie: Das Kalifornien des Kaisers

Oil refinery at twilight
Heute macht man es für den Klimawandel verantwortlich, vor 150 Jahren war Erdöl Motor der industriellen Revolution – und die K.-u.-k.-Monarchie eine der wichtigsten Produzenten

Durch die unbefestigten Straßen floss schwarze, schlierige Brühe. Es stank nach Öl und Paraffin. Die Lacken, die sich in jeder schlammigen Mulde mitten im Ort bildeten, gingen ständig in Flammen auf, die sich rasch durch die dicht gedrängten Holzhäuser fraßen. Szenen aus einem der wichtigsten Schauplätze des Erdölbooms am Ende des 19. Jahrhunderts.

Historiker wie Alison Frank von der amerikanischen Harvarduniversität haben sich diesem Schauplatz gewidmet, das wilde Gemisch aus ehrgeizigen Träumen, Geldgier, Verbrechen und bitterer Armut beschrieben. Das eigentlich überraschende daran sind nicht diese sozialen Dramen, sondern der Ort, an dem sie sich abspielen: Boryslav am Fuß des Karpatengebirges, heute im Westen der Ukraine, damals aber Kronland der K.-u.-k.-Monarchie, regiert von Kaiser Franz Joseph.

Am Wiener Hof, hoffte man, dass das Erdöl aus dem Armenhaus der Monarchie eine prosperierende Region machen könnte. Schon die Namen, die man der entlegenen Gegend gab, erzählen von diesem Widerspruch aus verzweifelter Armut und großen Hoffnungen. Von „galizischer Hölle“ bis „galizischem Sodom“ nannte man sie, aber auch „polnisches Baku“, „österreichisches Eldorado“ oder „galizisches Kalifornien“ – und das nicht zu Unrecht. Immerhin förderte das Kronland um 1900 jährlich zwei Millionen Tonnen Öl und machte die Monarchie zum drittgrößten Erdölförderer hinter den USA und Russland. Doch der Aufschwung und Wohlstand, den das Öl an den rückständigen Nordabhang der Karpaten bringen sollte, kam nie an. Von dem Boom sollten – wie in vielen erdölreichen Regionen – nur einige Glücksritter profitieren.

Das Erdöl eines Tages die Motorisierung der Welt antreiben sollte, war noch ferne Zukunftsmusik, als die ersten Ölpioniere auf der Suche nach schnellem Reichtum nach Boryslav strömten. In dem galizischen Dorf, das 1860 gerade einmal 500 Einwohner hatte, lebten 3 Jahre später schon 12.000 Menschen. Boryslav war, wie so viele Dörfer in Galizien um diese Zeit, jüdisch dominiert, also ein typisches Schtetl. Auch die Zuwanderer, die Arbeit in der Erdölindustrie suchten, waren zu einem Gutteil Juden.

Auf eigene Faust

In den Anfangsjahren des galizischen Ölbooms versuchten Tausende mit bescheidenen Mitteln auf eigene Faust ihr Glück, bohrten Löcher, um anfangs vor allem Wachs zu fördern. Doch allmählich übernahmen Unternehmer die Ölförderung, brachten mit ihren Geldmitteln die Förderstätten unter ihre Kontrolle. Die jüdischen Zuwanderer wurden Taglöhner, die ohne jede soziale Absicherung oder Schutz ihrer Gesundheit schuften mussten. Wer dabei umkam, wurde oft gleich in einem Bohrloch beerdigt.

Weil die Monarchie daran scheiterte, in ihrer entlegenen Provinz für einigermaßen geregelte Produktionsverhältnisse zu sorgen, wuchs das Chaos so rasch wie die Öl-Fördermenge. Die Folgen: Armut, Kriminalität, Überproduktion und Preisverfall. „Die Öl-Industrie brachte keinen dauerhaften Wohlstand und keine signifikante Verbesserung der Lebenssituation für den Großteil der Bevölkerung“, so das Urteil von Historikerin Alison Frank. Als Erdöl im Ersten Weltkrieg zum entscheidenden Rohstoff wurde, war der Ölboom in Österreichs Kronland schon wieder vorbei.

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