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Goebbels Sekretärin: "Ich gehöre zu den Feigen"
Sie war sich selbst am nächsten. Was wir aus dem Film über Goebbels Sekretärin lernen können.
Ihr Gesicht, das mehr als hundert Jahre gesehen hat, ist faltig, die Augen aber sehen wach in die Kamera: "Ist es denn wirklich so schlimm, wenn man für sich selbst versucht, das Beste herauszuholen?" – Brunhilde Pomsel, die kürzlich mit 106 Jahren verstarb, richtet ihre Frage an die Zuseher. Um sich dann nicht zu entschuldigen, sondern weiter zu erklären: "Man konnte nicht Nein sagen, und wenn man es tat, musste man sein Leben dafür einsetzen."

Pomsel war eine der letzten Zeitzeuginnen, die ganz nahe dran waren. Sie selbst sah sich nur als Randfigur in der Geschichte, grenzt sich in der Doku durch ihre Wortwahl ab – analysiert Historiker Stephan Roth vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Etwa, wenn sie erzählt, sie habe "bei" Goebbels gearbeitet und nicht "für". Roth: "Sie ist im Vorzimmer der Macht gesessen. Das ist eine totale Involvierung." Über die Pomsel aber nicht viel Preis gibt. Nur, dass es ein bisschen Elite war. "Nett angezogene Menschen, freundliche Menschen." Der Propagandaminister war für sie ein guter Schauspieler: In der Arbeit war er vornehm, während der Rede im Sportpalast 1943 ein tobender Zwerg. "Das hat uns auch so erschüttert...aber weitergedacht haben wir wahrscheinlich auch nicht. Wir waren von diesem Augenblick umgeschmissen."
Verantwortung schmälern

Geschichstvermittlung
Generell plädiere er für ein sorgfältiges Auf- und Nachbereiten von Geschichtsvermittlung. "Wir fahren mit den Schülern nach Mauthausen und damit ist dann das Thema Zweiter Weltkrieg und Holocaust abgehandelt – so funktioniert das nicht, ebenso wenig bei den Zeitzeugengesprächen. Keine Quelle spricht für sich alleine, das muss man alles in einen Kontext setzen und erklären." Vor allem da der heutigen Schüler-Generation oft der Bezug fehlt. "Die Familie ist nicht mehr ein Ort der Geschichtsweitergabe und wenn, dann erfahren sie es nur mehr aus zweiter oder dritter Hand. Das ist wie, wenn wir jemand über den Urgroßvater im Ersten Weltkrieg erzählt."

Brunhilde Pomsel entschied sich dafür, ihr eigenes Fortkommen bestmöglich zu sichern: Vorsichtig sein und nicht hinsehen – das tat sie auch, als sie die Akte der Geschwister Scholl in Händen hielt. Sie wusste, was mit Regime-Gegnern geschah. Ebenso, dass ihre jüdische Freundin "verschwand". Aber Pomsel war eine, die nicht nachfragte, sogar stolz darauf war, die Akten ungesehen in den Schrank zu legen. Ihr Pflichtgefühl stand über allem. "Ich gehöre zu den Feigen", erklärt sie dem Zuseher. Für Roth klingt diese Aussage in der Gegenwart fast kokett. "1944 wäre das mutig gewesen, weil sie sich eingestehen würde, dass etwas falsch ist. Und es hätte Konsequenzen gehabt."
Zum Gehorsam erzogen

Parallelen zur Gegenwart
Ebenso wie demokratische Werte. Journalist und Schriftsteller Thore D. Hansen, der das Buch zum Film schrieb ("Ein deutsches Leben", Europaverlag), sieht sie gefährdet: "Demokratie ist kein Geschenk und wir gefährden sie im Moment durch unser Nichtstun. Sie lässt sie nicht mit einer Internet-Petition oder vor dem Fernseher aus retten. Das muss man auf der Straße austragen." Sorge bereiten ihm die autoritären und rechtspopulistischen Strömungen in Europa und das mangelende Polit-Interesse der jüngeren Generationen.

Und bevor sich autoritäre Regime wie in Ungarn, in eine faschistische Form entwickeln können, ist immer noch die Chance da, dass die Mehrheit aufsteht, ist der Schriftsteller überzeugt.

Sie sah bei sich selbst keine Schuld
KURIER: Wie kamen Sie mit Brunhilde Pomsel in Kontakt?
Florian Weigensamer: Wir (ein vierköpfiges Regieteam) recherchierten für eine Goebbels-Doku und stießen auf Brunhilde Pomsel. Sie wollte anfangs mit niemanden reden, da sie schlechte Erfahrungen mit einer Tageszeitung gemacht hat. Wir besuchten sie ein Jahr lang (Pomsel lebte bis 2012 alleine, starb 2017 im Seniorenheim) und bauten Vertrauen zu ihr auf.

Für ihr Nicht-Handeln?
Sie sah bei sich selbst keine Schuld. Sie sagt zwar, sie war selbstsüchtig, aber, das ist für sie keine Schuld. Den großen Zusammenhang hat sie bis zum Schluss nicht gesehen. Auch das Schicksal ihrer jüdischen Freundin sah sie als Teil des Systems – indem sie nur ein Rädchen war.
Brunhilde Pomsel bezeichnete sich als "unpolitisch".
Das hat sie ihr ganzes Leben lang so gehandhabt. Wenn es ungünstig wurde, wusste sie von nichts. Auf der anderen Seite war sie intelligent, hatte Charme. Man darf sie aber weder als "liebe Oma" sehen noch als Nationalsozialistin. Wir wollen die Zuseher damit konfrontieren, wie schnell man Entscheidungen trifft, in etwas hineingerät. Dabei stellt sich die Frage: "Wie viel Pomsel steckt in jedem von uns?" Das ist nicht leicht zu beantworten.
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