Das Massensterben der Insekten findet auch in Österreich statt
Ob Falter oder Fliege, Käfer oder Zikade – die Rote Liste der gefährdeten Tiere Österreichs liest sich wie das Who-is-Who der heimischen Insekten. Zwischen Boden- und Neusiedler See spiegelt sich wider, was rund um den Globus zu beobachten ist: Bei der artenreichsten Klasse aller Lebewesen findet ein Massensterben statt. Das sechste nach dem Aus der Dinos vor 66 Millionen Jahren. Jetzt geht es um die Existenz der Winzlinge.
Innerhalb der nächsten Jahrzehnte werden 40 Prozent aller Insektenarten für immer vom blauen Planeten verschwinden. Zu diesem Ergebnis kommt eine australische Studie, veröffentlicht im Fachmagazin Biological Conservation. Wissenschafter haben dafür 73 Artikel über Insektenrückgänge aus der ganzen Welt bewertet, nun schreiben sie von einem „katastrophalen Einbruch der natürlichen Ökosysteme“. Francisco Sánchez-Bayoa von der Uni Sydney und Kris A.G. Wyckhuysb von der Uni Queensland machen vor allem den Verlust an Lebensraum für die „dramatische“ Entwicklung verantwortlich. Die Intensivierung der Land- und Forstwirtschaft sowie die Verbauung von Grünflächen setzen Schmetterlingen, Bienen und Ameisen zu. Zudem tragen Umweltverschmutzung, Bioinvasoren und der Klimawandel zum Exitus der Sechsfüßer bei.
„Das Roden der Urwälder, das derzeit am Amazonas zum Artensterben führt, haben wir schon vor Jahrtausenden gemacht“, sagt Johannes Gepp. Sonst sieht der Vizepräsident des Naturschutzbundes Österreich die selben Ursachen für die Vernichtung der heimischen Tierchen, wie sie sich auch andernorts auswirken; der Mensch trägt die Verantwortung. „Wir übernutzen drei Viertel der landwirtschaftlichen Flächen“, sagt der Biologe. Auf Monokulturen, ohne Wildwiesen, Moore oder Heiden bleiben zunächst Spezialisten auf der Strecke.
Mittlerweile sind – wie die australische Studie nachweist – auch robuste Generalisten betroffen. Nicht zuletzt erwischt es gegenwärtig insbesondere die Grenzgänger zwischen Wasser, Land und Luft: Wasserinsekten leiden nicht nur unter Flussbegradigungen und Stauung, ihre Zahl geht auch wegen der Verschmutzung der Gewässer durch Sediment, ausgeschwemmten Dünger, Pestizide und Medikamente (aus der Veterinär- und der Humanmedizin) zurück.
„Es sind Mixturen vieler Stressoren, die der Biodiversität schaden“, sagt Simon Vitecek vom WasserCluster Lunz. Insekten sind schlechte Wanderer, je kleiner ihr angestammter Lebensraum, desto kleiner der Genpool, desto schwerer die rettende Evolution.
„Manche Arten gehen sofort ein, manche passen sich an. Sie nehmen aber die schädlichen Stoffe auf und bringen sie in den Kreislauf ein“, sagt der Hydrobiologe. Libellenlarven etwa speichern Mikropartikel aus dem Wasser in ihrem Körper. Werden sie später als Fluginsekt von einem Vogel oder einer Fledermaus gefressen, gelangen die Schadstoffe in die Nahrungskette – ein fataler Lawineneffekt, der klassenfremde Tiere mitreißt. Diesen droht schließlich auch Selektion durch Futtermangel.
„Die aktuellen Ergebnisse kommen nicht überraschend, sie zeigen aber das enorme Ausmaß des Insektensterbens“, sind die heimischen Experten einig. Und: „Es muss etwas getan werden.“ Die Politik ist noch mehr gefordert als Bauern, Gartenbesitzer und Konsumenten. Vitecek schließt: „In der Zivilisation, in der wir leben, wird es schwierig sein, die Menschheit zu retten.“
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