Mein Jahr in der Mars-WG: Trockenkost und Psycho-Stress
Das Gefühl, wenn der Wind durch die Finger fährt und die Sonnenstrahlen wieder die Haut berühren, wird Christiane Heinicke nie wieder vergessen. Ein Jahr lang lebte die Geophysikerin isoliert von der Außenwelt auf einem Hang des Vulkans Mauna Loa auf Hawaii. Dort, auf 2500 Meter Höhe, simulierten sie und fünf andere Wissenschaftler aus Europa und Amerika das Leben auf dem Mars. Verlassen durften sie ihr "Habitat", eine 100-Quadtratmeter-Zeltkuppel, nur für Außeneinsätze: wenn sie Höhlen untersuchten oder mit Versuchen Wasser aus Lavagestein gewinnen wollten. Dafür mussten sie einen 30-Kilogramm-Raumanzug und einen Helm tragen, der ihnen über einen Ventilator Luft zum Atmen gab.
Aneinandergeraten
Kleine Zimmer, wenig Wasser, jeder durfte pro Woche nur acht Minuten duschen. Kameras in der Küche – das klingt mehr nach "Big Brother" als nach Forschungsmission. Statt den Zusehener gab es aber eine Ethikkomission, die alles überwachte. Das Zusammenleben auf engstem Raum ließ die sechs immer wieder aneinandergeraten, berichtet Heinicke.
Bereits zuvor haben Gruppen beim Mars-Simulationsprogramm "HI-SEAS" der NASA und der Universität von Hawaii teilgenommen. Dabei soll getestet werden, wie sich das Zusammenleben über längere Zeit auswirkt. Neben technischen Details ist vor allem die körperliche Verfassung der Astronauten eine Herausforderung für eine mögliche Mars-Mission. Für Heinicke verständlich, denn "ob die Rakete explodiert oder die Crew sich an die Gurgel geht: die Mission scheitert. Insofern ist es sehr wichtig. Die Forscher sollen physisch heil bleiben, produktiv arbeiten und sich nicht mit Kleinkriegen die Zeit stehlen."
Konflikte gab es auch in der Mars-WG auf Hawaii. Wie Christiane Heinicke in ihrem jetzt erschienenen Buch "Leben auf dem Mars. Mein Jahr in einer außerirdischen Wohngemeinschaft" (Verlag Droemer Knaur) beschreibt. Hauptproblem war, dass alle andere Vorstellungen davon hatten, wie eine Mars-Mission ablaufen soll. Während die Geophysikerin etwa Außeneinsätze machen wollte, sahen dies andere als Risiko. "Aber ohne Außeneinsatz brauchen wir nicht zum Mars fliegen – das ist, als würde ich im Urlaub nur im Hotel bleiben", sagt Heinicke.
Abreagieren
Den Debatten entkam niemand. Man konnte einander auch nicht einfach aus dem Weg gehen. "Einige von uns sind zum Abreagieren eine Stunde aufs Laufband. Andere haben sich in ihre Forschungsarbeit gestürzt, das war auch meine Strategie." Manchmal half es einfach, sich den Frust von der Seele zu reden. Gespräche mit Familie und Freunden waren aber nicht möglich. Sie konnte ihnen eMails schreiben, doch die kamen erst nach 20 Minuten an – die Zeitverzögerung sollte die Entfernung zum Mars simulieren. "Phasenweise habe ich mich etwas einsam und vergessen gefühlt, aber das verging mit der Zeit wieder. Klar, für die Familie war es nichts Neues und Aufregendes mehr, der Kontakt wurde weniger. Dazu kam, dass sie die psychische Belastung nicht verstehen oder nachvollziehen konnte."
Aus den Konflikten hat sie viel gelernt: "Ich bin stressresistenter und wenn etwas nicht gut läuft, strecke ich die Fühler aus und versuche herauszufinden, woran es liegt." Verstimmtheiten erkennen und ansprechen – mit dieser Strategie gelang es auch der Crew, ihre Probleme zu lösen. Zum Beispiel, wenn der Mars-WG-Mitbewohner sein Kaffeehäferl im Habitat täglich woanders platzierte. Es waren teils banale Situationen, die aber auf engem Raum zu Streit führen konnten, erzählt die Geophysikerin.
Manchmal waren es andere Entbehrungen, die an den Nerven zerrten. Ernährt hat sich die Crew von gefriergetrockneter Kost. Mit der Zeit gewöhne man sich zwar an den Geschmack, aber die Lust nach Frischem blieb – Himbeeren habe Christiane Heinicke besonders vermisst. Ebenso die Freiheit, einfach nach draußen gehen zu können oder sich die Haare lila zu färben. "Das klingt alles banal, danach sehnte ich mich aber."
An den ersten Tag in Freiheit, ohne Raumanzug und Helm, kann sie sich gut erinnern. Als sie aus dem Zelt kam, hörte sie ihre eigenen Schritte. "Ich bin den Hügel hochgelaufen und hörte das Knirschen unter meinen Bergschuhen – ein völlig ungewohntes Geräusch."
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