Antibiotika sind niemals "mild"

Antibiotika sind niemals "mild"
Viele Ärzte schätzen etliche Präparate falsch ein. Expertenhalten zumindest ein Drittel ihres Einsatzes für völlig unnötig.

Noch sind die Daten nicht in einem Fachjournal veröffentlicht - für Diskussionsstoff sorgen sie aber schon jetzt: Infektionsspezialist Univ.-Prof. Florian Thalhammer von der MedUni Wien hat rund 300 Ärzten bei verschiedenen Veranstaltungen fünf Antibiotika-Gruppen genannt - und sie dann gefragt, welche davon sie als "mild" einstufen würden. 49 Prozent bezeichneten zumindest jeweils eine Gruppe als "mild".
"Das ist aber falsch. Es gibt keine milden Antibiotika, und es gibt auch nicht ,ein bisschen' Antibiotika. Dafür fehlt aber immer noch das Bewusstsein."

90 Prozent der akuten Bronchitis-Erkrankungen seien Virusinfektionen, betont Thalhammer: "Drei Viertel der Antibiotika werden aber gegen Atemwegsinfekte wie Bronchitis eingesetzt." Das Problem: Gegen Viren wirken die Medikamente nicht, nur gegen Bakterien. Er gehe davon aus, dass zumindest ein Drittel der Antibiotika falsch verordnet werde. "Es fehlt das Bewusstsein."

Vielfach werde auch unterschätzt, wie stark Antibiotika in den Organismus eingreifen: "Die Darmflora kann sechs, nach manchen Studien sogar zwölf Monate lang beeinflusst werden. In meiner Ärzteumfrage schätzen viele Kollegen diesen Zeitraum aber deutlich kürzer ein."

Eine Ursache des häufigen Antibiotika-Einsatzes ist auch der mittlerweile geringe Preis vieler Produkte, sagt Thalhammer. Er schlägt die Einführung einer Art "Antibiotika-Steuer" vor: "Macht man die Mittel teurer, würde sich der unnötige Gebrauch reduzieren." Am Wiener AKH sei dies bereits gelungen: Dort müssen spezielle Präparate von einem eigenen Infektionsdienst freigegeben werden: "Dadurch ist ihr Einsatz
- und auch die Kosten - dramatisch zurückgegangen."

Sanfte Alternativen

Antibiotika sind niemals "mild"

"Es hat zwar eine Trendwende begonnen, aber es werden bei Atemwegsinfekten immer noch zu rasch Antibiotika gegeben", sagt Prim. Univ.-Prof. Karl Zwiauer, Leiter der Kinderheilkunde im Landesklinikum St. Pölten. Dies liege einerseits am Sicherheitsdenken der Ärzte, andererseits auch am Anspruch der Eltern nach einer derartigen Behandlung und am Glauben an "weniger Aufwand".

Bei akuten Atemwegsinfekten sollten vor der Gabe von Antibiotika Haus- und pflanzliche Mittel genützt werden: "Es gibt gute wissenschaftliche Belege dafür, dass etwa Hühnersuppe Infekte der oberen Atemwege hemmen und Gliederschmerzen lindern kann."

Bei Thymian und Efeu wiederum sei unter anderem eine antibakterielle, antivirale und eine hustenlindernde Wirkung belegt. Topfen- und Kartoffelwickel können Schmerzen lindern und Entzündungen hemmen. Fazit: "All diese Mittel haben einen Stellenwert, der über einen reinen Aktionismus hinausgeht", betont Kinderarzt Zwiauer.

Impfungen

Eine erfolgreiche Möglichkeit, den Antibiotika-Einsatz zu verringern, seien auch Impfungen, betont Wolfgang Maurer vom Zentrum für Public Health der MedUni Wien: So sei es in den USA gelungen, durch die flächendeckende Pneumokokken-Impfung bei Kleinkindern die Verschreibung von Antibiotika in den ersten zwei Lebensjahren um 41,9 Prozent zu senken: "Dadurch konnte gleichzeitig aber auch die Häufigkeit resistenter Bakterienstämme gesenkt werden."

Resistenzen: Wie häufig sie sind

Definition Unter Antibiotikaresistenz versteht man die erworbene Widerstandsfähigkeit von Bakterienstämmen gegen ein Antibiotikum, gegen das sie normalerweise empfindlich wären.

Häufigkeit Die Häufigkeit z. B. spezieller resistenter Staphylokokken (MRSA) ist 2008/2009 von 7,5 auf 5,9 % (aller Staphylokokken) zurückgegangen. Auf der anderen Seite nahm in den vergangenen Jahren der Anteil bestimmter E.-coli-Bakterien (Darmkeime), die gegen mehrere Antibiotika-Klassen resistent sind, zu. Er ist derzeit auf hohem Niveau (20 bis 25 %) stabil.

Mehr zum Thema

  • Hauptartikel

  • Hintergrund

Kommentare