70 Meter tief tauchen: Forscher lüften das Geheimnis der Bajau

Bajau beim Tauchen.
Offenbar liefert eine vergrößerte Milz den Seenomaden Sauerstoff für extreme Tauchgänge.

Sie können minutenlang unter Wasser bleiben, bis zu 70 Meter tief tauchen und verbringen rund 60 Prozent ihres Lebens im Meer: Beim Tauchen macht den Bajau so schnell niemand etwas vor. Nicht ohne Grund: Das Sammeln von Schalentieren am Meeresboden sichert den "Jägern der Meere", wie die südostasiatischen Seenomaden auch genannt werden, das Überleben. Dabei tragen sie nicht mehr als ein paar Gewichte und eine Holzmaske. Forscher haben sich nun angesehen, was hinter der Tauchbegabung der Bajau steckt.

Die Biologin und Doktorandin Melissa Ilardo von der Universität Kopenhagen verbrachte 2015 einige Monate bei einer Bajau-Gruppe in Indonesien. Die Bajau leben in unterschiedlichen Teilen Südostasiens, unter anderem auf den Philippinen, in Indonesien und Malaysia. Bei 59 von ihnen untersuchte Ilardo die inneren Organe mittels Ultraschall. Dies tat sie auch bei 34 Angehörigen der in der Nähe lebenden Saluan, einer ethnischen Minderheit, die vorwiegend aus Landbewohnern besteht.

"Für Tausende von Jahren, haben die Bajau auf Hausbooten gelebt, sind in den Wassern Südostasiens von Ort zu Ort gereist und haben nur gelegentlich Land besucht. Also bekommen sie alles was sie brauchen aus dem Meer", erklärt Ilardo im Gespräch mit der BBC. Die Wasseraffinität der Bajau war der Grund dafür, warum bei der Untersuchung der inneren Organe das Hauptaugenmerk auf die Milz gelegt wurde, schildert Ilardo, die ihre Studie im Fachblatt Cell publizierte.

Milz im Fokus

"Es gibt eine menschliche Reaktion auf das Tauchen, die durch das Anhalten der Luft und das Untertauchen im Wasser ausgelöst wird. (…) Die Herzrate verlangsamt sich, es kommt zu einer peripheren Vasokonstriktion, wodurch die Blutgefäße in den Extremitäten sich zusammenziehen, um das mit Sauerstoff angereicherte Blut für die lebenswichtigen Organe zu speichern und zu guter Letzt zieht sich die Milz zusammen." Die Milz sei ein Reservoir für mit Sauerstoff angereicherte rote Blutkörperchen, "und wenn sie sich zusammenzieht, bekommt man einen Sauerstoff-Boost". Das erhöhe die Tauchzeit um bis zu zehn Prozent.

Erste Ergebnisse von Ilardos Studie belegten tatsächlich, dass die Bajau im Vergleich zu den Saluan im Schnitt über doppelt so große Milzen verfügen. Ein Vergleich zwischen am Wasser lebenden und an Land sesshaften Bajau zeigte hingegen, dass die Seenomaden unabhängig von ihrem Lebensstil größere Milzen haben. Inzwischen haben viele Bajau das reine Leben auf dem Meer ganz oder teilweise aufgegeben. Sie pflegen aber nach wie vor einen dem Meer verbundenen Lebensstil.

Anpassung an extreme Tauchgänge

Die Erkenntnisse veranlassten Ilardo zu dem Schluss, dass die "Supermilz" nicht nur wie ein trainierter Muskel gewachsen ist, sondern eine Veränderung des Erbgutes stattgefunden hat. Bestätigt wurde die Annahme durch DNA-Tests. Die Bajau sind demnach Träger eines speziellen Gens in ihrem Erbgut (PDE10A), das mit ihrer vergrößerten Milz in Verbindung steht. In Mäusestudien hat sich gezeigt, dass PDE10A ein Schilddrüsenhormon reguliert, das wiederum die Milzgröße bestimmt. Naheliegend sei Ilardo zufolge also, dass die Bajau größere Milzen entwickelt hätten, um langes, häufiges Tauchen besser zu meistern.

In welchem Zeitraum sich die genetische Adaption ereignet hat, sei laut der Studienleiterin schwierig nachzuvollziehen. "Basierend auf unseren Daten ist nicht klar, wie lange die Bajau diesen Lebensstil schon pflegen, oder wann die Adaption genau stattgefunden hat", so Ilardo. Belegt sei nur, dass sich die Bajau vor rund 15.000 Jahren von den Saluan abgespalten hätten. Das sei jedenfalls genug Zeit für eine Veränderung des Erbgutes.

Hypoxie verstehen

Rasmus Nielsen, Evolutionsbiologe von der University of Berkeley und Betreuer von Ilardo, zeigt sich von den neuen Erkenntnissen begeistert: "Es ist ein wundervolles Beispiel dafür, wie Menschen sich an örtliche Umgebungen anpassen", so der Forscher, der 2014 untersuchte, wie Bewohner des Hochlands von Tibet mit Höhenlage und Sauerstoffmangel umgehen und dabei ebenfalls Genmutationen feststellte. Nielsen zufolge seien die Ergebnisse auch von medizinischer Bedeutung. Sie könnten helfen Hypoxie, die Mangelversorgung von körpereigenem Gewebe mit Sauerstoff, und die Anpassungsreaktion des Menschen daran zu verstehen.

Kommentare