Rot-Weiß-Rot-Karte in der Kritik: Wie viele Arbeitsmigranten braucht Österreich?

Ein Mann mit Kappe spült ein großes Backblech in einer Spüle in einer Großküche.
Gewerkschafter Hebenstreit will wegen hoher Arbeitslosigkeit Rot-Weiß-Rot-Karte aussetzen. Wirtschaftsvertreter sehen das ganz anders.

Die zuletzt wieder stark gestiegene Arbeitslosigkeit – insbesondere bei ausländischen Staatsbürgern – lässt bei der Dienstleistungsgewerkschaft Vida die Alarmglocken schrillen. Deren Vorsitzender Roman Hebenstreit will mit Blick auf den Herbst der Arbeitsmigration aus Drittstaaten einen Riegel vorschieben. „Die AMS-Zahlen bestätigen unsere Befürchtungen. Schwächelnde Konjunktur und bevorstehende Kündigungswelle sind klare Indikatoren dafür, dass dringend Handlungsbedarf besteht“, sagt Hebenstreit. Es sei jetzt „definitiv nicht die Zeit, zusätzliche Arbeitskräfte ins Land zu holen“.

Inländer zuerst

Konkret fordert der Gewerkschafter, dass Arbeitsmigrationsmaßnahmen wie die Rot-Weiß-Rot-Karte sofort zurückgenommen werden sollten. „Unser oberstes Ziel muss sein, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und zuallererst die hier lebenden Menschen in Beschäftigung zu bringen“, so Hebenstreit. Aus Sicht der Vida wird durch steigende Ausländerbeschäftigung Lohn- und Sozialdumping befeuert, vor allem im Tourismus.

Ein Mann mit Brille und Sakko sitzt an einem Tisch.

Roman Hebenstreit

Unterstützung erhält Hebenstreit von Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl, die zunächst die Inländerbeschäftigung forcieren möchte, bevor die Schranken für Nicht-EU-Länder weiter aufgemacht werden. So werde das Potenzial von Älteren, Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Frauen zu wenig genutzt. Laut Anderl sollten rund 140.000 unfreiwillige Teilzeitbeschäftigte und bis zu 310.000 Menschen in der „stillen Reserve“ zusätzlich für den Arbeitsmarkt gewonnen werden. Als „stille Reserve“ bezeichnen Ökonomen Personen, die unter bestimmten Bedingungen gerne arbeiten würden, aber derzeit keine Arbeit suchen (können).

WKO: Angebot und Nachfrage passen nicht zusammen

Bei Wirtschaftsvertretern stößt die Forderung der Gewerkschaft auf Unverständnis. „Wir haben aktuell die Situation, dass auf der einen Seite die Arbeitslosigkeit steigt, auf der anderen Seite aber in vielen Branchen Stellen nach wie vor nicht besetzt werden können“, heißt es bei der Wirtschaftskammer (WKO). Die Zahl der offenen Stellen sei nach wie vor auf einem Höchststand, zudem würden Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt immer seltener zusammenpassen. „Gerade für jene gesuchten Berufe, für die es einen Mangel an inländischen Arbeitssuchenden gibt, ist es daher notwendig, mittels Rot-Weiß-Rot-Karte Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen“.

Der Salzburger Wirtschaftskammerpräsident Peter Buchmüller forderte kürzlich sogar die Ausweitung der Rot-Weiß-Rot-Karte: „Wir müssen rasch mehr Rot-Weiß-Rot-Karten nicht nur für Fachkräfte, sondern auch für Arbeitskräfte bekommen“. Auch Touristiker wollen mehr Arbeitsmigranten anlocken.

Die Zahl ist freilich überschaubar. Im ersten Halbjahr wurden rund 4.500 Rot-Weiß-Rot-Karten ausgestellt, dank Lockerungen etwas mehr als 2023. Arbeitsminister Martin Kocher rechnet mit 10.000 Bewilligungen bis Jahresende. Rund ein Drittel davon entfällt auf Beschäftigte im Tourismus. Laut AMS-Vorstand Johannes Kopf ist es aufgrund der Demografie und dem sich dadurch weiter verschärfenden Arbeitskräftemangel nötig, Fachkräfte aus Drittstaaten nach Österreich zu holen.

Eine Reaktion auf die Debatte gab es am Freitag auch vom Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband Wien (SWV Wien). „Die Idee, Arbeitslosigkeit und Zuwanderung gegeneinander auszuspielen, ist schlichtweg falsch" sagt Marko Fischer, Präsident des SWVWien. "Wir müssen uns darum bemühen, sowohl heimische als auch internationale Fachkräfte in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Qualifizierte Zuwanderung ist keine Bedrohung, sondern ein notwendiger Bestandteil unserer Wirtschaftsstrategie". Auch er plädiert dafür, die Rot-Weiß-Rot-Karte nicht abzuschaffen, sondern zu erweitern, um den aktuellen Herausforderungen gerecht zu werden.

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