„Die Stimmung war extrem schlecht“, sagt Luca Paolini, Chefstratege bei Pictet Asset Management. Doch dann seien in den USA die Immobilienpreise nicht kollabiert und es habe auch keine Rezession gegeben. „Das führte zu einer Gegenreaktion.“ Hinzu sei eine Euphorie bezüglich künstlicher Intelligenz gekommen.
Weitere Gründe: Zum einen hatte die Inflation (in den USA) ihren Höhepunkt erreicht. Zum anderen stellte sich heraus, dass die Gasspeicher in Europa gut gefüllt waren, die Großhandelspreise gingen zurück. In China wurde Corona für beendet erklärt. Und nicht zuletzt wiesen viele Unternehmen trotz schwieriger Lage hohe Gewinne und Auftragsbestände aus.
Die Herausforderungen
Für Frank Engels, im Vorstand von Union Investment verantwortlich fürs Portfoliomanagement von Wertpapieren, bleiben Aktien für langfristig orientierte Investoren „alternativlos“. In den kommenden sechs Monaten rechnet er aber mit Herausforderungen. „Die Aktienmärkte haben sich seit Herbst 2022 bereits spürbar erholt. Für weitere, nachhaltige Anstiege braucht es mehr Erwartungssicherheit bei den Schlüsselthemen, vor allem bei der Konjunktur.“
Insbesondere die Margen- und Gewinnentwicklung der Unternehmen dürfte dabei eine entscheidende Rolle einnehmen. „Bei weiterhin robustem Lohndruck und der abnehmenden Inflation wird das allerdings schwieriger.“ Engels rechnet damit, dass Investoren vermehrt ein Fragezeichen hinter dem Aktienmarkt machen und prognostiziert einen Gewinnrückgang auf globaler Ebene von 5 Prozent im Jahr 2023.
Aber mit der Stabilisierung der Konjunktur in Richtung Jahreswechsel erwartet der Experte eine Gegenbewegung: „Im Jahr 2024 sind zweistellige Gewinnzuwächse drin. Das sollte den Aktienmärkten Auftrieb verleihen.“
Für Paolini sind die Investoren im Gegensatz zum Vorjahr viel optimistischer und weiterhin „unglaublich entspannt“. Sie würden aktuell Wachstumstitel bevorzugen, was die sehr gute Performance der Techbörse Nasdaq zeige. Der Kurs des Chipherstellers Nvidia etwa kletterte heuer bereits um 186 Prozent nach oben. Aber auch Paolini warnt: „Die Inflation ist zu hoch, das Wachstum zu niedrig. Wir sind am Anfang einer Rezession. Die Investoren sind dafür nicht positioniert.“
Zwar nähere sich das Ende der geldpolitischen Straffung, aber das sei eben nicht zwingend positiv. Und die hohe Inflation habe den Gewinnen der Unternehmen geholfen – Stichwort Gierflation. Heuer würden die Gewinne wohl geringer ausfallen. Außerdem sei der Hype um die KI überzogen. „Auch wenn viele der Tech-Werte durch den KI-Hype bereits teuer bewertet sind, sollten sie den Markt weiter stützen“, ergänzt Engels.
Paolinis Conclusio: „In den nächsten 6 Monaten gehen die Aktien eher nach unten.“ Erst Mitte nächsten Jahres werde es wieder leichter. Zinssenkungen könnten dann helfen, deuten aber auch auf anhaltende konjunkturelle Probleme hin.
Defensiver aufstellen
Union Investment bevorzugt bis auf Weiteres defensivere Sektoren und Regionen gegenüber zyklischeren, also etwa Health Care oder Basiskonsumgüter aus den USA und der Schweiz. „Je weiter sich das konjunkturelle Umfeld Richtung Herbst aufhellt, desto stärker bauen wir zyklische Bereiche auf“, sagt Engels. Dann dürften Industriewerte oder rohstoffnahe Sektoren, unter anderen aus Europa und Japan, wieder besser abschneiden.
Besonders interessant bleiben seiner Einschätzung nach Unternehmensanleihen. „Die Renditeniveaus sind attraktiv. In der aktuellen Marktlage weisen diese Anlagen das beste Chance-Risiko-Profil auf.“ Investoren empfiehlt Engels vor allem europäische Emittenten mit gutem Rating.
Für Paolini sind Aktien, vor allem in den USA, relativ teuer bei steigendem Risiko. „Es ist der richtige Zeitpunkt, um wieder in Schwellenländer zu investieren, sowohl in Aktien als auch Anleihen.“
Die weitere Aktienmarktentwicklung schätzt Raiffeisen Research in Europa und in den USA moderat positiv ein. Sollte die USA nur in eine moderate Rezession rutschen, könnte das sogar für Erleichterung am Kapitalmarkt sorgen. Kurzfristig muss aber mit einer volatilen Seitwärtsbewegung gerechnet werden, bis mehr Sicherheit in Bezug auf die Wirtschaftsentwicklung in den USA sowie die weitere Zins- und Geldpolitik der Notenbanken herrscht. „Wir sehen aber keinen Börsencrash“, heißt es.
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