Zuversicht bei Autozulieferer: "Mobilität wird immer gebraucht"
Der Automobilzulieferer Fertinger aus Wolkersdorf (NÖ) hat schwere Zeiten hinter sich. Im Mai 2019 wurde ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eingeleitet. Seither hält Andreas Zwerger 51 Prozent der Firmenanteile, der Rest ging an eine Investorengruppe, der auch der ehemalige Mehrheitseigentümer Veit Schmid-Schmidsfelden (mit 3,25 Prozent) samt Familie angehört. Das Unternehmen produziert etwa Kondensatorkomponenten und Batterieklemmen. Die Gruppe beschäftigt 280 Mitarbeiter.
KURIER: Über Fertinger wurde 2019 ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung abgewickelt. Sie waren also de facto pleite. Wie geht es dem Unternehmen heute?
Veit Schmid-Schmidsfelden: Fertinger ist stabil aufgestellt. Das Unternehmen ist in den vergangenen Jahren durch eine große Maßnahmenwelle gegangen, das war auch eine Fokussierung auf die Kernprogramme. Diese Entscheidungen waren richtig. Aber insgesamt war die Belastung zu groß. Deshalb war diese Restrukturierung notwendig.
Wenn Sie sagen, die Entscheidungen waren richtig, dann meinen Sie auch die Entscheidung zum Standort Polen, der ja zu Beginn nicht so gelaufen ist wie geplant?
Schmid-Schmidsfelden: Der Standort Polen hat uns Kosten verursacht, die umfangreich gewesen sind, ja. Neben der Schließung von zwei Werken in Österreich haben wir uns von dem früheren Kernprogramm Sanitärtechnik getrennt. Die Kombination Automobilentwicklungskompetenz und Sanitärtechnik hat nicht mehr zusammengepasst. Alle diese Schritte waren richtig.
Andreas Zwerger: In jeder Krise wohnt ja eine Chance. In unserem Fall lag sie darin, dass es großes Potenzial für die Gruppe im Automotive-Bereich gibt. Deswegen war unser Zugang im Thermalmanagement und Komponentenbereich, in dem wir tätig sind, aus der Krise weiter wachsen zu können.
Wie schmerzhaft waren die Einschnitte durch die Pandemie für Ihr Unternehmen?
Schmid-Schmidsfelden: Im März und April sehr. Wir sind jetzt noch nicht bei 100 Prozent, aber wir sind dankbar, dass wir bei 80 Prozent der Normalauslastung von vor Corona stehen.
Zwerger: Wir haben täglich mehrere 10.000 Teile zu produzieren. Und von einem Tag auf den anderen war die Produktion auf Null, weil unsere Kunden zugemacht haben.
Wie lang ist die Produktion gestanden?
Zwerger: Im April war es tatsächlich einige Wochen so. Im Mai dümpelte die Auslastung bei zehn bis 15 Prozent dahin.
Der Automotive-Bereich war schon vor der Pandemie ein schwieriger. Was macht Sie sicher, bestehen zu können?
Schmid-Schmidsfelden: Mobilität wird immer gebraucht. Und: kein Golf in Europa ohne Fertinger. Fertinger hat eine Marktstellung. Wir haben jetzt, ohne den Sanitärbereich, nur 25 Kunden. Hier gibt es viele Herausforderungen wie die Digitalisierung in der Entwicklungstätigkeit, Stichwort 3-D-Druck. Die haben wir gut im Griff. Daher glauben wir, dass wir nach der Krise in den Jahren 2021 und 2022 weiter wachsen werden.
Zwerger: Im Umbruch ist die Automotive-Industrie seit ihrem Bestehen. Damit hat sie umzugehen gelernt. Das ist ja auch, was die Industrie so innovationsstark macht.
Sie haben in diesem Umfeld gerade die Hydro Precision Tubing im deutschen Remscheid übernommen. Was versprechen Sie sich davon?
Zwerger: Marktpotenzialerweiterung. Unsere Kunden sind teilweise deckungsgleich. Dadurch haben wir verstärkte Chancen. Und wir erweitern damit unser Technologiespektrum stark.
Herr Schmid-Schmidsfelden, Sie haben sich schon im Rahmen des Forums Alpbach im Jahr 2013 für Reformen im Pensionssystem ausgesprochen, Stichwort Teilpension. Passiert ist seither wenig. Sind Sie alarmiert?
Schmid-Schmidsfelden: Ja. Wenn man die Innovationskraft der Jugend mit den Erfahrungen der Älteren zusammenbringt, ist das für die Industrie eine riesige Chance. Die Vorstellung, dass jemand mit einem jugendlichen Alter von 60 Jahren in Pension geht und seine Erfahrung nicht weitergibt, macht mich traurig.
Wie zufrieden sind Sie noch mit dem Status quo, was die Arbeitszeitflexibilisierung angeht?
Schmid-Schmidsfelden: Das Flexibilisierungsmodell, das wir vor drei Jahren mit der Gewerkschaft vereinbart haben, wirkt sich bis heute positiv aus. Man wird natürlich beim Thema „new work“ zusätzliche Modelle finden müssen. Ich glaube, wir müssen zu weiteren Flexibilisierungslösungen kommen.
Also kürzere Ruhezeiten für das Homeoffice?
Schmid-Schmidsfelden: Jetzt mit starren Regelungen auch in das Homeoffice hineinzugehen, wäre sehr schade.
Die Mehrheit der österreichischen Industriebetriebe wird von Männern geführt, auch hier ist das so. Was braucht es, um mehr Frauen in die Industrie zu bekommen?
Zwerger: Es braucht einen bunten Strauß an Maßnahmen. Eine Quote kann hilfreich sein, um einen Ruck zu erzeugen, auch wenn ich Ihren Erfolg bisher noch nicht gesehen habe. Der Schlüssel ist, allen die gleichen Berufseinstiegsmöglichkeiten zu geben.
Schmid-Schmidsfelden: Zur Veranschaulichung: Wenn wir nach Frankreich zu einem Kunden fahren, sind mindestens 50 Prozent der Gesprächspartner aus der Technik Frauen. In Österreich sind bei solchen Gespräche keine Frauen dabei. Betreuungsplätze für kleinere Kinder sind dringend notwendig.
Was den Fachkräftemangel angeht, gibt es bei Unternehmern zwei Denkweisen. Eine ist, wer keine Fachkräfte findet, ist wegen mangelnder Bemühungen selbst schuld. Die andere, es ist unmöglich, gute Leute zu finden, weil es zu wenige gibt. Was stimmt?
Schmid-Schmidsfelden: Wir gehören eher zur ersten Gruppe, auch wenn wir damit nicht schlecht über andere reden wollen. Wir haben eine Reihe von Ausbildungsinitiativen in der Region. Wir haben im eigenen Unternehmen immer zehn bis 15 Lehrlinge. Es gibt bei uns auch keinen Mitarbeiter, der keine berufsbegleitende Ausbildungsziele verfolgt. In Summe ist so das spezifische Wissen gegeben.
Wer keine findet, ist also tatsächlich selber Schuld?
Schmid-Schmidsfelden: Nein, ich glaube nur, dass man als Unternehmer auch am Zielkatalog zur Frage, welches Wissen im Unternehmen gebraucht wird, arbeiten muss. Und wie man zu diesem Wissen gelangen kann.
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