Wut und Frust auf Kuba: „Wir sind müde von Hunger und Lügen“
Nein, Dana hat heute Morgen keine Zeit, um zu protestieren. Wenn um vier Uhr früh ihr Wecker in einem der schäbigen Winkel von Havanna läutet, gilt es keine Zeit zu verlieren. In vier Stunden sperrt das Lebensmittelgeschäft auf, und bis dahin reicht die Menschenschlange an diesem Montag um den ganzen Block. Huhn gibt es nur montags und donnerstags zu kaufen. Wer da zu spät aufsteht, dem passiert, was Dana in der Vorwoche passiert ist, wie sie der spanischen Zeitung El Mundo erzählt: „Wir sind fünf Stunden gestanden, und dann gab es nur noch Limonade.“
Die Familie hat Angst
Klar hat Dana die Demonstrationen vom Wochenende verfolgt, einige aus der Verwandtschaft hatten Videos davon aus dem Internet. Heiße Ware in diesen Tagen. Schließlich haben die Behörden den Zugang fast ständig blockiert. Dass die 24-Jährige dann doch nicht selbst dabei war, lag nicht nur am Huhn, sondern an der Familie: „Die hätten sich zu viele Sorgen gemacht, wenn ich gehe.“ Denn die Augen des Regimes sind auf Kuba überall. Als Dana neulich im Supermarkt die leeren Regale mit dem Handy fotografierte, sei aus dem Nichts ein Polizist in Zivil aufgetaucht. Sie solle die Fotos sofort löschen, „sonst gibt es Probleme“.
„Bis zum Ende“
Von ihrer Angst vor den Sanktionen des Regimes erzählen auch jene, die seit Tagen auf die Straße gehen. So wie Roberto, den der regierungskritische Blog 14ymedio zu den Protesten in Santiago begleitet:„Ich gebe zu, dass ich am Anfang ein wenig Angst hatte, aber seit ich die Entschlossenheit der Menschen gesehen habe, habe ich entschieden, das bis zum Ende durchzustehen.“
"Hör auf zu lügen"
Wie dieses Ende aussehen soll, daran lassen viele der Demonstranten keinen Zweifel. „Freiheit“, skandieren sie und „Schluss mit der Tyrannei“. Miquel Diaz-Canel, Kubas neuer mächtiger Mann , bekommt die ganze Wut der Menschen ab. „Hör auf zu lügen, du Verbrecher“, rufen sie: „Wir sind müde von Hunger und von Lügen.“
Solche Töne hört man auf Kuba sonst nicht einmal hinter verschlossenen Türen. Proteste gegen die Regierung gibt es kaum, und wenn, dann sind es Schweigemärsche, oft im Umfeld von Kirchen. Viel mehr lassen die Behörden nicht zu. Die erfahren schnell, wenn irgendwo der Unmut wächst. In jedem Wohnblock, aber auch in jeder Gasse in der Altstadt von Havanna sitzt ein verlässliches Parteimitglied.
Schlagstöcke
Wenn Regimegegner tatsächlich einmal auf die Straße gehen, lässt das Regime gerne diese Parteimitglieder aufmarschieren. Auch bei den jüngsten Demonstrationen waren die rasch zur Stelle. Mit Autobussen wurden sie in die Vorstädte gebracht, wo die Wut der Menschen gerade hochgekocht war: Mit Bildern von Fidel Castro, den alten Parolen wie „Revolution oder Tod“ und Schlagstöcken. Staatschef Diaz-Canel hatte schließlich in seiner ersten Reaktion öffentlich dazu aufgerufen, „die Revolution zu verteidigen“.
Doch nur mit Parolen und Schlagstöcken lässt sich das Problem diesmal wohl nicht aus der Welt schaffen, sind erfahrene Kuba-Beobachter überzeugt. „Die wirtschaftliche Situation auf Kuba ist so kritisch, dass sie zum wichtigsten Auslöser dieser Proteste geworden ist“, erklärt ein Carmelo Mesa-Lago von der Universität Pittsburgh der spanischen Tageszeitung El Pais.
Touristen bleiben aus
Es sind viele Faktoren, die die Krise in Kuba gerade jetzt eskalieren lassen. Die Corona-Pandemie hat den Tourismus, eine der wichtigsten Quellen für bitter benötigte Devisen, gänzlich zusammenbrechen lassen. Venezuela, bis zuletzt der wichtigste Verbündete in Lateinamerika und vor allem der Hauptlieferant von billigem Erdöl, ist politisch und wirtschaftlich im Chaos versunken. Außerdem haben die USA unter Donald Trump ihre ohnehin eisernen wirtschaftlichen Sanktionen weiter verschärft. Doch dass die der einzige Grund für Kubas Probleme sind, wie das Castro-Regime seit Jahrzehnten unermüdlich seinen Landsleuten weismacht, lässt der Experte nicht gelten: „Kuba hält an der strikten Planwirtschaft fest – und die ist ineffizient und in der ganzen Welt gescheitert.“
Prostitution
Wer wie für ihren tristen Alltag verantwortlich ist, kümmert Dana kaum. Sie muss überleben, Schlange stehen, einen neuen Job finden. Arbeitslosigkeit, im sozialistischen Kuba lange undenkbar, gibt es inzwischen: Eine Folge der vielen, meist halbherzigen wirtschaftlichen Reformversuche. Die Folge für viele junge Frauen, die das Regime gerne totschweigen würde, spricht Dana offen aus: „Dann muss ich mich eben auf die Strandpromenade von Havanna stellen und Kunden suchen.“
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