"Die ganz primitive Gier"

"Die ganz primitive Gier"
Der tiefe Fall des Steuersünders Uli Hoeneß. Wirtschaftspsychologe Erich Kirchler zeigt, wie die Steuermoral leidet, wenn die Vorbilder versagen.

KURIER: Was treibt reiche Menschen dazu, Steuern zu hinterziehen? Die könnten sich die Steuer doch locker leisten. Warum geht jemand wie Uli Hoeneß ein derartiges Risiko ein?

Erich Kirchler: Ich kenne die persönlichen Beweggründe von Herrn Hoeneß nicht, aber es gibt verschiedenste Motive. An erster Stelle natürlich die ganz primitive Gier. Oder man identifiziert sich nicht mit dem Staat und meint, die Steuergelder würden ohnehin nur verschwendet. Manche sind Spielernaturen, da geht’s um das Kribbeln, schlauer zu sein als die Prüfer. Und dann gibt’s auch jene, die glauben, sie könnten alles kontrollieren und ihnen passiere nichts.

Die Überheblichkeit jener Promis und Einflussreichen, die meinen, „mir kann eh nichts passieren“?

Ja, diese Menschen halten sich für besonders clever und unterliegen der Illusion, unangreifbar zu sein.

Was denken sich die braven Steuerzahler, wenn auch noch Uli Hoeneß, der als Vorbild für Fleiß und Anstand galt, als Steuersünder auffliegt?

Wenn solche Vorbilder in dieses Fahrwasser geraten, ist das besonders dramatisch. Oder wenn ein Finanzminister Wasser predigt und gegen die eigenen Werte verstößt. Werden diese Fälle nicht aufgeklärt, denkt sich der Bürger: „Die richten es sich, nur ich bin so dumm und muss alles ordentlich versteuern“.

Der kleine Steuerzahler wird zum Trittbrettfahrer?

Der probiert es natürlich auch. Wenn die Konsequenzen nicht nachhaltig sind, warum sollte er es nicht versuchen? Als Rechtfertigung dient dann das Fehlverhalten der Vorbilder. Steuerhinterziehung ist grundsätzlich ein ambivalentes Thema. Kleinere Delikte werden von vielen Bürgern durchaus als Kavaliersdelikt gesehen.

Zum Beispiel?

Die Rechnung ohne Mehrwertsteuer, die nicht angemeldete Putzfrau, Schwarzarbeit, oder auch einmal eine private Taxirechnung, die man in die Buchhaltung der Firma schwindelt. Da ist das Unrechtsbewusstsein nicht sehr stark ausgeprägt. Steuerhinterzieher gelten laut Umfragen übrigens als hart arbeitend und als intelligent.

Ständig fliegen Steuerskandale in großem Stil auf. Zuletzt belegten 2,5 Millionen Dokumente, wie Reiche und Kriminelle weltweit Steueroasen, Briefkastenfirmen und Trusts nutzen. Das untergräbt doch die allgemeine Steuermoral.Nur dann nicht, wenn es der Autorität – Regierungen, Finanzministern – gelingt, jenen, die die Gesellschaft schädigen, das Handwerk zu legen. Aber die Betonung liegt auf professionell, schießwütige Sheriffs und ein Staat als Überwachungsmonster fördern das Vertrauen in die Autorität nicht.

Man wird kaum weltweit alle Steueroasen trockenlegen können.

Es muss zuerst gelingen, die Oasen in Europa auszutrocknen. Das Argument, weltweit schaffen wir das nicht, darf kein Grund sein, alles so zu belassen wie es ist.

Helfen rigidere Kontrollen und härter Strafen?

Strafen und Kontrollen müssen sein, aber Achtung, der Effekt kann ins Gegenteil kippen. Sind Strafen zu niedrig, dann sind sie quasi ein Preis und damit wirkungslos. Dann wird der Preis gezahlt und munter weiter gegen die Steuergesetze verstoßen. Sind die Strafen zu hoch und werden als unfair empfunden, versucht der Steuersünder, sich das Geld wieder zurückzuholen, indem er sich bemüht, beim nächsten Mal noch cleverer zu agieren.

Werden Steuervergehen zu milde bestraft?

Die Strafe ist maximal das Doppelte des hinterzogenen Betrags. Der Reiche riskiert das Spiel und zahlt nur vom hinterzogenen Betrag, aber nicht von seinem Besitz. Erinnern Sie sich an den deutschen Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel, der zahlte für sechs Millionen unversteuerte Abfertigung eine Million Strafe. Das ist dem egal. Wesentlich schlimmer war der Verlust der Reputation, als die Sache öffentlich wurde. In Australien werden Steuerhinterzieher veröffentlicht, nach dem Motto: Naming, shaming, blaming.

Ist Steuerhinterziehern die Reputation nicht ziemlich egal?Das glaube ich nicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass für Uli Hoeneß die öffentliche Blamage eine wesentlich schlimmere Strafe ist als eine Geldbuße.

Sollte die Finanz in Österreich die Namen von Steuersündern veröffentlichen?

Transparenz hat eine abschreckende Wirkung und könnte Personen oder Firmen von allzu aggressiver Steuergebarung abhalten.

Zumwinkel flog über eine Steuer-CD auf. Darf der Staat gestohlene Steuerdaten kaufen?

Ich halte das nicht für ethisch bedenklich, dieses Mittel steht dem Staat zu. Man kann dem Staat keinen Beißkorb umhängen, wenn er keine anderen Möglichkeiten hat, an Steuerhinterziehung zu kommen.

Sie argumentieren immer, Steuern müssen gerecht sein. In Österreich wird heftig über die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer gestritten. Gerecht?Aus der Sicht des Vererbers nicht, der arbeitet für seine Erben. Aus der Sicht der Erben müsste man aus Fairness gegenüber der Gesellschaft etwas tun. Die einen fallen ins gemachte Nest und die anderen nicht.

Und die Besteuerung von Vermögen grundsätzlich?

Es müssen vernünftige Grenzen gesetzt werden. Die Relationen stimmen nicht mehr. Zypern droht wegen einiger Milliarden Euro die Pleite und gleichzeitig werden in Steueroasen Hunderte Milliarden geparkt.

Ist die hohe Besteuerung von Arbeit fair?

Österreich müsste die Bemessungsgrundlage der Inflation anpassen, um die sogenannte kalte Progression abzufangen. In zehn Jahren haben wir inflationsbedingt eine Erhöhung von rund 30 Prozent, das ist nicht fair.

Was sagen Sie zur erbitterten politischen Auseinandersetzung um das Bankgeheimnis. Die meisten Sparer kennen vermutlich nicht einmal den Unterschied zwischen Anonymität und Bankgeheimnis.

Für den allergrößten Teil der Bevölkerung macht es keinen Unterschied, ob das Bankgeheimnis gelockert, abgeschafft oder beibehalten wird. Für sie ändert sich nichts. Die Debatte wurde unnötig emotional aufgeheizt. Der große Feind EU will uns von außen etwas wegnehmen und bedroht unsere Freiheit, da müssen wir sofort dagegenhalten. Das Bankgeheimnis hatte für den Großteil der Bevölkerung keinen fundierten Wert, aber jetzt hat es einen hohen psychologischen Wert. Anstatt zuerst sachlich über Vor- und Nachteile zu diskutieren, wurde emotionalisiert. Die Politik kann aus dieser Schlinge nur schwer ohne Gesichtsverlust herauskommen.

"Die ganz primitive Gier"
Prof. Dr. Erich Kirchler, NIG, Institut Wirtschaftspsychologie
Zur Person: Erich Kirchler, 58
Der gebürtige Stüdtiroler und begeisterte Bergsteiger ist Vizedekan der Fakultät für Psychologie an der Universität Wien und stellvertretender Vorstand des Instituts für Wirtschaftspsychologie. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Psyche und dem Verhalten der Steuerzahler und gilt international als gefragter Experte zum Thema Steuermoral. Kirchler ist Mitglied zahlreicher internationaler Vereinigungen, er studierte Architektur, Psychologie und Humanbiologie.

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