Wie das Auge aus dem All den Ölpreis voraussagt

Lagertanks im US-Ölzentrum Cushing (Oklahoma)
Riesige Datenmengen, Computer-Analysen: So werfen Finanzgurus einen Blick in die Zukunft.

Ein Wissensvorsprung kann Goldes wert sein. Kein Wunder, dass sich Vermögensverwalter auf das Thema Big Data stürzen. Schließlich nimmt die Menge der verfügbaren Daten rasant zu.

"Wir glauben, dass das Volumen von 2013 bis 2020 um das 128-Fache steigen wird", sagte Sandra Grabenweger-Straka, Executive Director bei Goldman Sachs Asset Management in Frankfurt, zum KURIER. "Die Idee ist, Computeralgorithmen einzusetzen, um aus der Fülle der Daten wesentliche Kauf- oder Verkaufssignale für Aktien herauszufiltern."

Wie das Auge aus dem All den Ölpreis voraussagt
Was keine Zukunftsmusik ist, wie Beispiele zeigen:

Satellitenbilder

Das "Auge aus dem All" ermöglicht verblüffende Rückschlüsse. So berechnen Spezialisten anhand des Schattenwurfs auf den Bildern, wie sich die globalen Öllagerbestände entwickeln (siehe Grafik oben). Das bringt ihnen bis zu einer Woche Vorsprung gegenüber offiziellen Statistiken – sie können die Entwicklung des Rohölpreises besser abschätzen.

Ähnliche Anwendungen haben die Parkplätze vor Einkaufszentren oder Container in großen Häfen im Blick: Das erlaubt fast in Echtzeit Rückschlüsse auf die Umsätze von Handelsunternehmen oder die Frachtvolumina.

Medienberichte

Reichen Rohstoff finden Datenprofis in Zeitungsartikeln. So wertet Goldman Sachs 26 Millionen Beiträge pro Jahr aus – auf Englisch und Japanisch, die Sprachpalette soll aber laufend erweitert werden. Der Clou dabei: Es werden nicht einfach Stichwörter herausgefiltert, sondern Nuancen der Wortwahl ausgewertet, die kritische Tendenzen erkennen lassen.

Dazu kommen rund eine Million Analystenberichte und 288.000 Telefonkonferenz-Protokolle. "Andere Anbieter müssen diese womöglich erst übersetzen. Wir können die Entscheidungen um ein bis zwei Wochen schneller treffen", sagt die Goldman-Aktienexpertin. "Wenn wir auf widersprüchliche Signale stoßen, oder Ereignisse, die wir uns nicht erklären können, wäre das ein Grund, die Hände von einem Titel zu lassen."

Verflechtungen

Wie wirkt sich die Pleite eines Konzerns auf die Lieferanten aus? Welche Kunden könnten betroffen sein? Globale Beteiligungs- und Abhängigkeitsverhältnisse können mit Big-Data-Analysen ebenfalls ausgewertet werden.

Buchungsplattformen

Ob die Auslastung der Fluglinien stimmt, ist einfach zu kontrollieren. Es müssen nur die belegten Sitzplätze in den Online-Buchungsportalen der Airlines ausgelesen werden.

Schwindeleien

Auch für Staaten wird es schwieriger zu tricksen. Das "Billion Prices Project" am Massachusetts Institute of Technology (MIT) benützt Abermillionen Preisdaten von Hunderten Onlinehändlern, um offizielle Inflationsraten zu hinterfragen. So lässt sich belegen, dass Argentinien bei seinen Teuerungswerten seit 2008 massiv untertrieben hat.

Um Insiderwissen handelt es sich nicht: Alle Daten sind öffentlich verfügbar oder zugekauft. Dass immer mehr Asset Manager auf Computerhilfe setzen, hat gute Gründe. Exchange Traded Funds (ETF) knabbern an den Marktanteilen der Vermögensverwalter. ETFs sind Anlageprodukte, die Kursverläufe von Börsenindizes wie DAX oder S&P500 nachbilden. Weil diese Fonds nicht aktiv gemanagt werden, können sie sehr günstig anbieten. Mit Big Data sehen die traditionellen Platzhirsche der Fondsindustrie eine Chance, ihr Know-how einzusetzen – ohne dass die Personalkosten explodieren.

13.000 Aktien pro Tag

Treffen künftig somit nur noch Computer die Anlageentscheidungen? "Diese Sorge teile ich nicht", sagt die Österreicherin. "Bei uns arbeiten 170 Leute im Aktienteam, die Hälfte sind Techniker, die andere Hälfte aber erfahrene Portfolio-Manager."

Goldman verarbeitet pro Tag eine Million Datenpunkte für 13.000 Aktien aus 46 Ländern. Daraus werden 660 Kriterien gefiltert, die je nach Region zum Einsatz kommen und zu drei Hauptfaktoren gebündelt werden, welche die Kauf- oder Verkaufsentscheidungen begründen. Dabei müssten Potenzial, Risiko und Kosten einer Aktie stimmen. Häufiges An- und Verkaufen sei nicht gewollt: "Das würde nur die Spesen hochtreiben und wäre nicht im Sinne des Kunden."

Für die Erstellung der Portfolios bleiben (menschliche) Manager verantwortlich. Bei Goldman Sachs Asset Management werden inzwischen 75 Milliarden Dollar nach der quantitativen Methode gemanagt – etwa 46 Prozent des gesamten Aktiengeschäftes.

So komplex die Algorithmen sein mögen, für den Erfolg gilt ein simples Kriterium: "Am Ende ist das Einzige, das für den Kunden zählt, die Performance", sagt Grabenweger-Straka. Und da zeigen Vergleiche mit großen Aktienindizes: Das Wühlen im Datenhaufen scheint sich auszuzahlen.

Das legen viele Studien nahe. Laut McKinsey birgt Big Data das größte Potenzial für die Finanz- und Versicherungsindustrie – gefolgt von staatlichen Verwaltungen.

Bonität

In Zeiten, wo Banken jeden Kreditantrag drei Mal umdrehen, treten Newcomer wie FirstAccess, Visual DNA, Lenddo oder Neo auf den Plan. Sie analysieren große Datenmengen, um die Kreditwürdigkeit und das Risikoprofil von Kunden festzustellen – anhand von Kontobewegungen, Psycho-Fragebögen, Social-Media-Einträgen oder sogar anhand der Handynutzung. Die Kunden müssen zustimmen; es winkt die Aussicht auf Kredite, die ihnen sonst verwehrt blieben.

Wie das Auge aus dem All den Ölpreis voraussagt
Mag. Sandra Grabenweger-Straka, Executive Director Investment Management Division, Goldman Sachs Asset Management (GSAM), honorarfreies Pressebild

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