Widersprüchlich: Kann man Chinas Wachstum glauben?

Chinas Neujahrsfest: Im Jahr des Affen geht es drunter und drüber.
Experte Carsten Holz: Offizielle Daten liegen bis zu einem Prozentpunkt daneben. Bessere Zahlen gibt es nicht.

Wie gut oder schlecht ist es um Chinas Wirtschaft bestellt? Laut Horoskop wird es heuer drunter und drüber gehen: Das neue Jahr, das die Chinesen in der Nacht auf Montag begrüßten, steht im Zeichen des Affen. Und das Tierchen gilt als listig, unkonventionell, wagemutig – ein Jahr für Draufgänger also.

Die Wirtschaftsdaten liefern kein klares Bild. Im Jänner wurden in China 2,35 Millionen Autos verkauft, satte 13,5 Prozent mehr als ein Jahr davor. Dazu hat zwar eine Steuersenkung beigetragen. Eine Konsumschwäche, wie sie Umfragen signalisieren, sieht aber anders aus.

Dafür sind die enormen Währungsreserven auf den niedrigsten Stand seit 2012 geschrumpft. Im Jänner betrugen sie 3,23 Billionen Dollar, knapp 100 Milliarden weniger als vor einem Monat – ein Hinweis auf kräftige Kapitalabflüsse und Eingriffe der Nationalbank, um die Währung Yuan zu stützen.

Besser als ihr Ruf

Angeblich peilt Peking 6,5 bis 7 Prozent Wachstum an. Viele trauen den Zahlenspielen aber nicht. Dass Chefstatistiker Wang Baoan kürzlich entlassen wurde, hat das Vertrauen nicht gerade gefestigt.Unfreiwillig hat auch Premier Li Keqiang das Misstrauen geschürt. Wie WikiLeaks enthüllte, erklärte er 2007, damals noch Parteisekretär einer Provinz, dem US-Botschafter lächelnd, dass er dem Bruttoinlandsprodukt selbst nur bedingt glaube. Er verlasse sich lieber auf konkrete Daten zum Stromverbrauch, Bahnfracht-Volumen und zur Kreditvergabe. Und, siehe da: Der "Keqiang-Index", den Ökonomen auf dieser Basis seither berechnen, signalisiert viel weniger Wachstum.

Dennoch: Die offiziellen BIP-Zahlen sind besser als ihr Ruf, sagt Carsten Holz, der sie seit Jahren analysiert. Zwar müsse beim Wachstum bis zu einem Prozentpunkt Schwankungsbreite angesetzt werden. Hinweise auf gefälschte Zahlen fand Holz aber nicht.

Chinas Wachstum: „Die Zahlen sind die bestmögliche Schätzung“

Kann man den offiziellen Daten vertrauen? Bessere gibt es nicht, sagt Carsten Holz. Der Deutsche lehrt als Professor an der Hongkong University of Science and Technology und analysiert die BIP-Berechnung seit vielen Jahren.

KURIER: Viele Analysten starren wie gebannt darauf, ob Chinas Bruttoinlandsprodukt um 7,0 oder doch „nur“ um 6,9 Prozent wächst. Andere unterstellen, der wahre Wert sei ohnehin nur halb so hoch. Wer hat recht?
Carsten Holz: Die Daten, die Chinas Nationales Statistik-Büro (NBS) sammelt, bergen tatsächlich viele Unsicherheiten. Einerseits bringt es große technische Probleme mit sich, so große Datenmengen in einer Wirtschaft, die sich rasch wandelt, zu erheben. Und es gibt unterschiedliche Anreize für die berichtenden Stellen, bei den Zahlen zu über- oder zu untertreiben. Am besten betrachtet man die NBS-Zahlen als die bestmögliche Schätzung. Die tatsächlichen Werte könnten um 0,5 bis 1 Prozentpunkt höher oder tiefer liegen. Aber genau weiß das niemand.

Viele halten die Zahlen für „geglättet“ oder auf Regierungsziele hingetrimmt. Ist das so?
Es könnte die Versuchung geben, die Zahlen im Zeitverlauf etwas zu glätten: Also die Zahlen höher anzusetzen, wenn das Wachstum schwach ist und umgekehrt. Ausschließen kann man das nicht, Hinweise haben sich bisher aber wenn, dann nur bei den berichtenden Stellen gefunden. Das heißt, dass das NBS womöglich korrigierte Daten sammelt, ohne es zu wissen. Der Glättungseffekt sollte aber gering sein – sicher nicht so, dass nur der halbe Wert stimmt. Regierungsvorgaben spielen eine sehr marginale Rolle, wenn überhaupt.

Wie lässt sich dann die Diskrepanz offizieller Daten zu alternativen Quellen – wie dem Li-Keqiang-Index – erklären?

Würde man einen ähnlichen Index für Deutschland berechnen, würde er wohl genauso gut oder schlecht zum Bruttoinlandsprodukt passen wie in China. Der Index misst was ganz anderes.

Sie haben auch anhand der statistischen Verteilung der einzelnen Ziffern nachgeprüft, ob gemogelt wird. Warum ist die Nachkomma-Stelle bei Chinas Wachstumsrate relativ oft null?

Weil gerundet wird. In den USA gibt es dasselbe Muster. Jede Statistikbehörde weiß, wie problematisch die gesammelten Daten sind. Deshalb ist die Versuchung groß, ein errechnetes Wachstum von 2,949 oder 3,051 Prozent entgegen der Regel auf 3,0 Prozent zu runden.

Ist Chinas BIP-Statistik auf den Strukturwandel vorbereitet? Werden Dienstleistungen, kleinere private Unternehmen und der Konsum adäquat erfasst?

Nein. Das NBS ist sich aber des Problems, den Dienstleistungssektor akkurat zu erfassen, sehr bewusst und hat ein umfassendes Verfahren entwickelt, das auf Daten von Regierungsstellen und Stichproben-Umfragen beruht.

Die Stimmung bei Chinas Konsumenten verschlechtert sich seit Mitte 2015 stark – zeitgleich mit dem Börseneinbruch. Wie passt dazu der kräftige Anstieg der Autoverkäufe?

Ich bin mit den Konsumenten-Umfragedaten nicht im Detail vertraut. Die Börseneinbrüche haben aber meiner Wahrnehmung nach keinen bedeutenden Effekt auf den Konsum gehabt.

Müssen Sie als Professor in Hongkong eigentlich Rücksicht auf politische Empfindlichkeiten nehmen?

Nein. Es gibt keinen direkten Einfluss der Regierung oder Universitätsverwaltung darauf, was ich erforsche oder schreibe. Es könnte lediglich sein, dass der Dekan gewisse Fakultätsmitglieder bevorzugt behandelt – aber ich bin mir ganz, ganz sicher, das hat absolut nichts damit zu tun, was ich so schreibe ...

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