Was "Montillande" statt "Merkozy" der EU bringen

Was "Montillande" statt "Merkozy" der EU bringen
Frankreich und Italien setzten Deutschlands Kanzlerin in Brüssel unter Druck. Inhaltlich blieb Merkel jedoch standhaft: Kein Geld ohne strenge Auflagen.

Frankreich und Italien setzten Deutschlands Kanzlerin in Brüssel unter Druck. Inhaltlich blieb Merkel jedoch standhaft: Kein Geld ohne strenge Auflagen.

Die Schlagzeilen der deutschen Medien nach der dramatischen Gipfel-Nacht waren eindeutig: "Merkel knickt ein", "Die Nacht, in der Merkel verlor", "Italien hat zwei Mal gewonnen" (bei der Fußball-Europameisterschaft gegen Deutschland und beim Gipfel, Anm.).

Italien gewinnt, Merkel fällt um?

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die Analyse nicht ganz so schwarz-weiß ausfällt. Merkel musste zwar nachgeben, ist ihren Grundsätzen jedoch treu geblieben: Neue Hilfsgelder gibt es nur gegen strenge Kontrolle, Vergemeinschaftung der Schulden kommt vorerst nicht.

Eines war in Brüssel deutlich zu spüren: Das Machtgefüge in Europa hat sich verändert. Im Gegensatz zu früheren Gipfeln, als Merkel mit Nicolas Sarkozy die Linie vorgab, sind nun dessen Nachfolger François Hollande und Italiens Mario Monti ebenbürtige Partner, die die Kanzlerin gemeinsam auch gehörig unter Druck setzen können. "Montillande" statt "Merkozy" also.

Dramaturgie

Was "Montillande" statt "Merkozy" der EU bringen

Das zeigte sich auch bei der Gipfel-Regie: Zunächst ging es stundenlang um den Wachstumspakt in der Höhe von 120 Milliarden Euro. Das Paket ist auch ein Zugeständnis an Hollande, der mit dem Versprechen für Investitionen in den französischen Wahlkampf gezogen war. Und: Der Wachstumspakt ist das große Gegenstück zu Merkels Projekt, dem Fiskalpakt mit seinen Spar-Vorgaben.

Auf Druck von Italien und Spanien legten die Euro-Länder dann eine Nachtsession ein, um über kurzfristige Hilfsmaßnahmen zu beraten. Ursprünglich hätte dies einer der letzten Punkte der Tagesordnung am Freitag sein sollen.

Inhaltlich ist Merkel gegen die Mittelmeerländer weitgehend standhaft geblieben: Es gibt keine neuen Hilfsgelder ohne ordentliche Kontrolle. Der permanente Euro-Rettungsschirm ESM soll zwar künftig direkt Kredite an Banken vergeben dürfen (bisher nur an Staaten, die das Geld an die Banken weitergaben). Das macht es für Krisenländer leichter, ihre Banken retten zu lassen, weil die Hilfsgelder sich nicht gleich auf die Staatsschulden auswirken.

Voraussetzung dafür ist jedoch, dass zuerst eine gemeinsame Bankenaufsicht für die ganze Euro-Zone geschaffen wird. Mit weitreichenden Kompetenzen, wie Bundeskanzler Werner Faymann sagt: "Diese Aufsicht soll nicht nur analysieren, sondern auch durchgreifen." Bevor Geld fließt, wird die Bankenaufsicht mit jeder Bank Auflagen vereinbaren.

Bankenunion

Was "Montillande" statt "Merkozy" der EU bringen

Die Bankenaufsicht ist ein erster Schritt in Richtung einer Bankenunion. Über diese wollen die Euro-Länder im Herbst intensiv beraten. Geplant ist, dass es langfristig eine gemeinsame Sicherung der Spareinlagen gibt, sowie einen von den Geldinstituten gespeisten Fonds zur Abwicklung von Pleite-Banken.

Daneben soll es eine Fiskalunion geben, in der Schulden ab einer Grenze nicht mehr ohne Zustimmung der Euro-Partner gemacht werden dürfen. Langfristig könnte ein europäischer Finanzminister das koordinieren.

Umstritten ist, wie weit die Solidarität beim Thema Staatsschulden gehen soll. Schwächere Euro-Staaten wollen von der Bonität vor allem Deutschlands profitieren – durch gemeinsame Staatsanleihen, Eurobonds. Merkel hat sich in dieser Frage schon weit hinaus gelehnt: "Nicht, so lange ich lebe."

Faymann ist hingegen zuversichtlich, dass sich die Kanzlerin hier ausnahmsweise inhaltlich geschlagen wird geben müssen. Nach dem Gipfel meinte er: "Wenn wir jedes Mal so schnell Beschlüsse fassen wie dieses Mal, erlebt die deutsche Bundeskanzlerin noch Eurobonds."

D: Euro-Rettung durch Politik frustriert das Volk

Zwei Jahre Euro-Krise haben die auch in Deutschland latente Kluft zwischen Politik und Bürgern vertieft. Dass die klare Mehrheit seiner Politiker wie am Freitag sogar EU-Verträge beschließt, die zu diesem Zeitpunkt schon gebrochen scheinen, macht immer mehr Deutsche ratlos – oder wütend.

Lange zeigten die Umfragen trotz des Abschieds von der D-Mark, dem einstigen Symbol ihres neuen Selbstbewusstseins, eine wachsende Zustimmung zum Euro. Die hat in der Krise gedreht und stürzt nun auf bis zu 30 Prozent ab.

Die Deutschen wollen auch mehr direkt mitreden: Eine Handelsblatt-Umfrage dieser Woche ergab zwei Drittel für eine Volksabstimmung bei noch mehr Verzicht für Europa. 42 Prozent sehen den skeptisch, nur 35 Prozent positiv.

Das artikuliert sich auch in Leserbriefen und im Internet. Nicht nur am Stammtisch fürchten immer mehr Deutsche um ihren gegenüber den Krisenländern als hart erarbeitet empfundenen Wohlstand.

Die von der SPD erzwungene, fast bedingungslose Solidarität mit denen gilt manchen Demoskopen als ein Grund dafür, dass Rot-Grün trotz unübersehbarer Ermüdung von Merkels siebenjähriger Kanzlerschaft bundespolitisch kaum zulegt. Mit Spannung wird daher in Berlin der Umfragen-Effekt von Merkels neuestem "Umfaller" erwartet.

Ihr Europa-Kurs ist für die große Mehrheit der deutschen Elite aber weiter alternativlos. Die fürchtet nichts so wie den Bruch der Euro-Zone: Die Währungsaufwertung dadurch könnte den deutschen Export und damit ie Wirtschaft um zehn Prozent abstürzen lassen, mit fünf Millionen Arbeitslosen wie unter Rot-Grün. Das garantiert Merkel die Zustimmung von Wirtschaft und Gewerkschaften. Die Elite unter Merkels Führung konnte das den ängstlichen Bürgern bisher aber nicht plausibel erklären.

 

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