Der Unterschied beginnt schon ganz oben: Schweizer Politiker, Wirtschaftsbosse und Promis erzählen stolz, dass ihre Kinder eine Lehre machen. Und in Österreich? Die neue Regierung will wieder einmal das im Ausland intakte, aber im Inland angeknackste Image der dualen Ausbildung retten und verweist gerne auf die Schweiz.
Beim Nachbarn entscheiden sich mehr als 60 Prozent der 15-Jährigen für die Ausbildung im Betrieb, in Österreich sind es nur noch 37 Prozent. Die Arbeitslosenquote ist mit 2,5 Prozent traditionell niedrig, die Jugendarbeitslosigkeit kein Thema. Studien weisen nach, dass die arbeitsmarktnahe Ausbildung auch ein Grund ist, warum die Schweiz so reich ist. Was macht die Schweiz anders oder besser? Der KURIER fand entscheidende Unterschiede:
1. Weniger Alternativen
Die Lehrlingsquote ist deshalb viel höher, weil die Jugendlichen weniger schulische Alternativen haben. Im Unterschied zu Österreich spielen berufsbildende mittlere und höhere Schulen (HTL, HAK, Fachschulen etc.) fast keine Rolle. „Die Berufsausbildung läuft dort fast ausschließlich über die Lehre“, weiß Wolfgang Bliem, Experte beim Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw).
Jugendliche müssten sich im Wesentlichen zwischen Allgemein- und Berufsbildung entscheiden. Nicht unbedingt besser, aber ein anderes System. Die Lehre ist dadurch „verschulter“ als in Österreich. Neben der Berufsschule gibt es weitere Schulungsträger (siehe Punkt 4).
2. Ausbildung „light“
Fälschlicherweise oft als „Lehre light“ bezeichnet, gibt es in der Schweiz in derzeit 56 Berufen, darunter Pflegeassistenz, eine auf zwei Jahre verkürzte betriebliche Ausbildung. Gedacht ist diese niederschwellige Ausbildung für lernschwache Jugendliche, Migranten mit schlechten Deutsch-Kenntnissen oder Erwachsene, die einen Berufswechsel anstreben. Mit dem Eidgenössischen Berufsattest (EBA) gibt es einen anerkannten Abschluss, der eine Weiterqualifizierung ermöglicht. Die übliche Lehrzeit dauert drei Jahre und kann verlängert werden, wenn etwa Leistungssportler nebenbei trainieren. Eine Lehrzeitverlängerung ist in Österreich mit der Flexi-Lehre geplant.
Die Berufsausbildung ist mehrstufig aufgebaut und folgt klar vorgezeichneten Karrierewegen. Die höhere Fachprüfung qualifiziert ebenso wie die Meisterprüfung für Leitungspositionen oder zum selbstständigen Führen eines Geschäfts und schließt mit einem Diplom ab. Das Bildungssystem ist durchlässiger als in Österreich, was die Höherqualifizierung erleichtert.
Die „Lehre mit Matura“ ist eher die Regel als die Ausnahme. Die Vorbereitung auf die Berufsmatura kann während der Grundausbildung oder danach an diversen Schulen absolviert werden. Die Berufsmatura berechtigt zum Studium an der Fachhochschule, nach einer einjährigen Ausbildung auch an einer Universität. Einige Unis ermöglichen ein Bachelorstudium auch ohne Matura. Voraussetzungen sind Aufnahmeprüfung und Berufserfahrung. Je nach Vorbildung ist ein Eintritt in höhere Semester möglich.
4. Im Verbund statt allein
„Eine große Stärke der Schweizer Lehre ist der triale Ansatz“, sagt Bliem. Lehrinhalte, die nicht vom Betrieb oder in der Berufsschule angeboten werden können, übernehmen Drittanbieter. Für diese überbetrieblichen Kurse, etwa im Bereich Digitalisierung, gibt es eigene Ausbildungszentren. Sie gelten offiziell als dritter Lernort der betrieblich organisierten Grundbildung. In Österreich gibt es dies erst in Ansätzen, etwa mit den Bauakademien. Bliem kann sich auch HTL- oder HAK-Lehrgänge als Teil der trialen Ausbildung vorstellen, „hier darf es keine Denkverbote geben“.
Durch enge Vernetzung mit Schulungseinrichtungen tragen in der Schweiz die Betriebe nur etwa 43 Prozent der Ausbildungskosten, in Österreich sind es drei Viertel. Ein Spezifikum der Schweiz sind die Berufsbildungsfonds. Betriebe, die sich nicht an den Kosten der Berufsbildung beteiligen, müssen Solidaritätsbeiträge bezahlen. Das gibt’s in Österreich erst in Ansätzen in Vorarlberg.
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