VW: "Können nicht mehr Autos bauen als wir verkaufen können"
Der deutsche Autobauer Volkswagen hat nach mehrwöchigem Stillstand durch die Corona-Maßnahmen seine Autoproduktion wieder nach und nach hochgefahren. Wie das überhaupt geht, welche Auswirkungen das auf die neuen Modelle hat und ob es überhaupt ausreichend Auto-Nachfrage gibt, verrät VW-Markenchef Ralf Brandstätter im KURIER-Interview.
KURIER: Wie schwierig ist das Hochfahren nach dem Lockdown?
Ralf Brandstätter: Herunterfahren und der Wiederanlauf sind geübte Standardprozesse bei Volkswagen. In der Regel stoppen wir die Produktion zweimal im Jahr für mehrere Wochen, unter anderem für Wartungsarbeiten. Der Wiederanlauf der Produktion in unseren deutschen und internationalen Standorten in den letzten drei Wochen hat gezeigt, dass die Mannschaft die Komplexität dieser Aufgabe perfekt beherrscht. Aber sicherlich war dieser Anlauf etwas Besonderes.
Inwiefern?
Die Mannschaft musste sich erst an die veränderten Arbeitsabläufe und die strengen Hygienevorschriften gewöhnen. Dazu gehört unter anderem eine Maskenpflicht in jenen Arbeitsbereichen, in denen wir den Mindestabstand von anderthalb Metern trotz aller Bemühungen nicht sicherstellen können. Auch haben wir die Pausenzeiten und Schichtpläne so angepasst, dass es zu möglichst wenigen Kontakten unter der Belegschaft kommt. Darüber hinaus wurden die Anstrengungen bei der Handhygiene und den Reinigungsmaßnahmen deutlich erhöht. Insgesamt umfasst unser Katalog zum Gesundheitsschutz rund 100 Maßnahmen.
Mehr Abstand zwischen den Arbeitern bedeutet für die Produktion konkret was?
Wir haben die Arbeitsabläufe nach Möglichkeit anders sortiert. Wenn zum Beispiel zuvor von beiden Seiten ein Bauteil montiert wurde, geschieht dies nun nacheinander. Zudem haben wir Folien und feste Trennwände als Kontaktbarrieren angebracht oder am Boden Markierungen aufgetragen, um die Einhaltung der Mindestabstände zu sichern.
Dauert es nun länger, Autos zu fertigen?
Wir haben die Produktionsdauer pro Auto leicht verlängert. Dies liegt an den Maßnahmen zum Gesundheitsschutz, aber vor allem auch an den Absatzeinbrüchen in Europa. Wir können nicht mehr Fahrzeuge bauen als wir auch verkaufen können. Derzeit liegt unser Produktionsvolumen in unseren europäischen Standorten im Vergleich zum Vorkrisenniveau zwischen 35 und 50 Prozent.
Und wann konkret wollenSie wieder bei 100 Prozent sein?
Grundsätzlich können wir unsere Standorte innerhalb von vier Wochen an die Kapazitätsgrenzen steuern. Bevor wir diesen Schritt aber überhaupt in Erwägung ziehen können, müssten sich zunächst die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen signifikant verbessern. Aufgrund der Krise liegen die internationalen Automärkte, mit Ausnahme China, derzeit am Boden. Allein in Europa ist der Markt im April um rund 80 Prozent eingebrochen. Der Handel und die Zulassungsstellen haben zwar jetzt wieder geöffnet, doch noch sind die Kunden zurückhaltend.
Der 1968 in Braunschweig geborene Manager studierte nach Ausbildung bei VW zum Betriebsschlosser Wirtschaftsingenieurwesen. Nach einigen Stationen in der Beschaffung wechselte er 2005 nach Spanien als Leiter Beschaffung bei Tochter Seat. 2008 wurde er Vorstandschef für den Bereich Beschaffung, 2015 nach Platzen des Dieselskandals in den Vorstand der Marke VW berufen, ebenfalls zuständig für Beschaffung. Seit August 2018 ist er Chief Operating Officer von VW.
Führende Marke
VW ist mit Abstand die wichtigste Marke im Konzern. Von den im Vorjahr konzernweit ausgelieferten 10,73 Millionen Fahrzeugen entfielen 6,28 Mio. auf VW.
Was macht VW dagegen?
Vor allem war es uns wichtig, in den Autohäusern ein Umfeld zu schaffen, in dem sich der Kunde sicher und wohl fühlen kann. Dafür haben wir eine Reihe von Maßnahmen getroffen. So werden beispielsweise Ausstellungs- und Testfahrzeuge regelmäßig desinfiziert. Die Schlüsselübergaben erfolgen kontaktlos. Außerdem müssen jetzt unsere Kunden in Österreich in den ersten drei Monaten keine Anzahlung oder Leasingraten leisten. Zudem können sie eine kostengünstige Versicherung abschließen, die in einem Falle von eintretender Arbeitslosigkeit die Raten übernimmt.
Bedeutet die langsamere Produktion, dass bestellte Wagen länger bis zur Auslieferung benötigen?
Der zwischenzeitliche Stopp unserer Produktion hat zwangsläufig einen Einfluss auf die Lieferzeiten von Fahrzeugen. Unabhängig davon arbeiten wir mit Hochdruck daran, die aktuellen Bestelleingänge abzuarbeiten und die Fahrzeuge so schnell wie möglich auszuliefern. Alternativ können Kunden natürlich auch auf die im Handel sofort verfügbaren Fahrzeuge zurückgreifen.
Was heißt das alles für die neuen angekündigten Modelle?
In diesem Jahr stellen wir weltweit 34 neue Modellen vor. Das hat es in der Geschichte von Volkswagen so noch nie gegeben. In Europa führen wir die Produktüberarbeitungen von Tiguan und Arteon ein. Dazu kommen die Golf-Derivate GTD, GTE, GTI, TGI, R und der Variant. Auch bei der E-Mobilität legen wir nach. Neben dem Golf kommen auch der Arteon, Tiguan und Touareg mit Hybridantrieb auf den Markt. Im Sommer bringen wir den ID.3 in den Handel. Und zum Jahresende zeigen wir mit dem ID.4 unseren ersten vollelektrischen SUV. An diesem Plan halten wir weiterhin fest.
Wie sehr werden die Produktionszahlen unter dem Vorjahr liegen?
Die sechswöchige Produktionsunterbrechung hat unsere Volumenplanung massiv beeinträchtigt. Hinzu kommen die dramatischen Absatzeinbrüche auf den internationalen Automärkten. Vor diesem Hintergrund sind seriöse Prognosen kaum möglich. Im Gegensatz zu anderen Weltregionen hat sich der chinesische Markt relativ schnell wieder erholt. Sowohl der Konzern als auch die Marke Volkswagen haben dort im April so viele Autos verkauft wie im Vorjahresmonat. Dennoch gehen wir selbst hier nicht davon aus, dass wir das verlorene Absatzvolumen wieder aufholen können.
Die Branche wünscht sich eine Verschrottungsprämie. Ist diese noch zeitgemäß?
Die Krise könnte zu einer beispiellosen Rezession führen. Deshalb müssen wir jetzt die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Dafür brauchen wir einen besonderen Impuls, der in der Breite wirkt. Eine Prämie für Autokäufer könnte insofern Sinn machen, weil davon neben den Kunden auch eine ganze Wertschöpfungskette profitiert. Damit meine ich den Handel, die Zulieferer, die Logistik- und Dienstleistung-Unternehmen. Kaufen die Kunden wieder Autos, kann die Produktion wieder hochfahren und die Mitarbeiter entlang der Wertschöpfungskette die Kurzarbeit beenden. Dann stehen die Chancen gut, dass auch der Konsum insgesamt wieder Fahrt aufnimmt. Der Hebel für die Gesamtwirtschaft ist also gewaltig.
Kritisiert wird vor allem, dass auch Verbrennungsmotoren gefördert werden sollen...
Diese Kritik muss man differenziert betrachten. Aus Sicht von Volkswagen ist es unabdingbar, dass eine Förderung einen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz leisten muss. Elektroautos wären in diesem Zusammenhang sicher die beste Möglichkeit. Fakt ist aber, dass die zur Verfügung stehenden Kapazitäten zur Produktion von elektrisch betriebenen Fahrzeugen limitiert sind. Viele Hersteller, auch Volkswagen, sind so gut wie ausverkauft. Die Förderung würde also ins Leere laufen. Auf der anderen Seite haben wir hoch moderne konventionell betriebene Fahrzeuge im Angebot, die sofort einen Beitrag dazu leisten könnten, den -Ausstoß des Verkehrs deutlich zu reduzieren.
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