Vorbild Deutschland: So saniert man ein Budget

Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling, Deutschlands Wolfgang Schäuble.
Nulldefizit, sinkende Schulden: Deutschland ist Österreich gut fünf Jahre voraus. Wie macht das Berlin?

"Geld macht glücklich. Wenn man rechtzeitig drauf schaut, dass man es hat, wenn man es braucht." Behauptete zumindest ein Kult-Werbespot der 1980er. Wenn das stimmt, muss Finanzminister Wolfgang Schäuble ein sehr glücklicher Mensch sein.

Jetzt, wo Deutschland Geld braucht, kann es sich das nämlich locker leisten, ohne neue Schulden zu machen. Seit 2014 ist das Nulldefizit in Deutschland Realität, bis inklusive 2020 sind ausgeglichene Haushalte eingeplant: Einnahmen und Ausgaben halten sich die Waage. Trotz schwacher Konjunktur, trotz Flüchtlingskosten, trotz steigender Sozialausgaben.

Erst 2019 auf Null

Schäubles Kollege Hans Jörg Schelling hat hingegen ein deprimierendes Erbe angetreten. Das Nulldefizit bleibt für Österreich vorerst ein Traum. Im Budget 2015 fehlten dazu fast vier Milliarden Euro oder 1,2 Prozent der Wirtschaftsleistung. Ein echtes Nulldefizit hat sich Schelling für 2019 vorgenommen.

Vorbild Deutschland: So saniert man ein Budget
Noch augenfälliger ist der Unterschied bei der Staatsschulden-Quote: 2019 wird Deutschland fast wieder die EU-Vorgabe von 60 Prozent erreichen. Österreich Schulden liegen dann noch bei knapp 80 Prozent. Was können die Deutschen, was wir nicht können? Experten sehen einige Unterschiede:

Öffentliche Meinung

Budget sanieren hat in Deutschland keinen schalen Beigeschmack. "Ein konsequenter Konsolidierungskurs ist in der Öffentlichkeit positiv besetzt", sagt Andreas Wörgötter. Der Österreicher ist bei der OECD in Paris für die Wirtschaftsberichte zuständig und kennt beide Länder gut. Das sei die Kunst der Politik, das Notwendige verständlich zu machen. In Österreich werde das rasch als Kaputt-Sparen ("Austerität") gebrandmarkt. Schäubles Ruf als "Mister Nein" kommt nicht von ungefähr. Mit strikten Obergrenzen, auch für Länder und Gemeinden, habe Deutschland recht früh nach der Überwindung der Krise einen Ausgabendeckel eingezogen, sagt Wörgötter.

Von Sparkurs könne man da gar nicht reden, betont Niklas Potrafke, Abteilungsleiter für öffentliche Finanzen im Ifo-Institut München: "Wir hatten keine Situation, wo den Bürgern Dinge zugemutet oder gar gekürzt werden mussten." Die schwarze Null im deutschen Budget heiße ja nur, dass keine neuen Schulden dazukommen. "Es heißt nicht, dass wir Schulden tilgen. Darüber sollten wir eigentlich diskutieren."

Zinsen und Konjunktur

Gut gemeint hat es mit Deutschland das Wirtschaftsumfeld. Die Steuereinnahmen sprudeln, die Zinsen sind tief wie nie zuvor. Das lindert die Schuldenlast. Potrafke sieht darin sogar die zwei Hauptgründe für das Nulldefizit.

Anders als in Österreich sinkt in Deutschland die Arbeitslosigkeit. Wofür aber mit den umstrittenen Arbeitsmarktreformen der 2000er-Jahre die Basis gelegt wurde. Österreich habe hingegen die absehbaren Risiken der Arbeitsmarktöffnung für Osteuropäer lange Zeit kleingeredet, sagt Wörgötter: "Man beschäftigt sich erst damit, wenn der Hut brennt."

Altlasten

Was auch für die sattsam bekannten Strukturreformen gilt. "Österreich lässt sich elendslang Zeit", kritisiert der OECD-Experte. Das reicht von Doppelgleisigkeiten der Verwaltung über das ineffiziente Schulwesen bis zum Kuriosum der 25 heimischen Krankenkassen.

Bei den Altlasten aus der Bankenrettung sind die Unterschiede indes eher gering: Deutschland musste daraus 225 Mrd. Euro als Schulden verbuchen (7,4 Prozent des BIP). In Österreich waren es 29,4 Mrd. Euro (8,7 Prozent).

Was sollte Österreich tun?

Der öffentliche Sektor müsse dieselbe Leistung mit geringeren Kosten erbringen, fordert Wörgötter: "Mit zehn Prozent weniger das Gleiche leisten: Wir wissen, das geht." Die Voraussetzung für ein striktes Ergebnis-Monitoring gibt es schon mit den neuen Budgetgesetzen: "Aber leider ist da an der Bundesgrenze Schluss, weil sich jedes Land auf seine verfassungsmäßige Unabhängigkeit beruft."

Der deutsche Experte Potrafke hält sich mit Vorschlägen für Österreich zurück. Dass die Schuldenquote sinke, sei aber kein Erfolg, mahnt er: "Das ist Augenauswischerei. Wir reden da immer noch über neue Schulden."

Wie hat Deutschland sein Nulldefizit erreicht?

Da gab es zwei Hauptgründe: Dank der niedrigen Zinsen konnte sich Deutschland billiger verschulden, die Ausgaben für den Schuldendienst sind gesunken. Und es gab unerwartete Steuermehreinnahmen. Zudem ist Schäuble bei geplanten Mehrausgaben auf die Bremse getreten.

Wo haben die Menschen diesen Sparkurs gespürt?

Wir hatten keine Situation, wo den Bürgern Dinge zugemutet oder gar gekürzt werden mussten. Wir mussten auf nichts verzichten. Ich würde auch nicht von Konsolidieren, Sparen oder gar Austerität sprechen. Die „schwarze Null“ im Budget bedeutet nur, dass wir keine neuen Schulden auf den bestehenden Berg draufpacken. Vielen Menschen ist das gar nicht bewusst: Nulldefizit bedeutet nicht, dass wir Schulden tilgen – darüber sollten wir eigentlich diskutieren. Stattdessen gibt es die perverse Situation, dass manche bereits über neue Schulden nachdenken.

Österreichs Schuldenquote hat gerade den Höhepunkt überschritten, in Deutschland sinkt sie rasant. Ist das kein Erfolg?

Ja, die Schuldenquote geht zurück, aber nur weil die Wirtschaftsleistung, das BIP steigt. Und nicht, weil wir Schulden zurückzahlen. Eine sinkende Schuldenquote in Österreich ist bestenfalls ein Teilerfolg. Im Grunde ist das Augenauswischerei. Wir reden da immer noch über Neuverschuldung.

Deutschlands Schuldenquote ist relativ niedrig. Warum sollte Deutschland überhaupt seine Schulden tilgen?

Weil sie irgendwann zurückgezahlt werden müssen. Wir verschieben das auf kommende Generationen, wo immer weniger junge Menschen dann unsere Schuldenlast schultern sollen. Obendrein bremsen hohe Schulden das Wachstum und schaden dem Standort: Investoren meiden Länder, wenn sie fürchten müssen, über hohe Steuern künftig an der Schuldentilgung beteiligt zu werden.

Deutschland plant höhere Sozialausgaben für Familien oder für Pensionen. Warum?

Das ist eine politisch motivierte Debatte. Die Überlegung ist: Wenn für Flüchtlinge mehr ausgegeben wird, dann soll auch zuhause mehr ausgegeben werden. Zudem sind die Sozialagenden vor allem in der Hand der Sozialdemokraten, die das in der Regierungsarbeit als Erfolg verbuchen können.

In Österreich würde Finanzminister Schelling den Ländern gerne mehr Verantwortung für Einnahmen und Ausgaben übertragen. Gibt es diese Debatte auch in Deutschland?

Ja, weil der Länderfinanzausgleich 2019 ausläuft. Ich schlage eine Reform vor, bei der die Länder Zuschläge auf die Einkommensteuer einheben dürfen. So würden wir zumindest ein wenig steuerlichen Wettbewerb der Länder kriegen, im Moment haben wir praktisch Null. Im Moment ist all das Angelegenheit des Bundes.

Ist Deutschland mit seiner restriktiven Budgetpolitik nicht sehr einsam?

In einigen südlichen Euroländern wie Portugal, Spanien oder Italien hat sich durch den Wechsel von konservativen zu linken Regierungen sicher der Fokus verschoben. Politisch ist das positiv, wenn sich Schwerpunkte der Parteien unterscheiden, ökonomisch halte ich das für falsch. Ich sehe aber kein Problem darin, die Fahne der Stabilität notfalls alleine hochzuhalten. Zurückgezahlt werden müssen die Schulden jedenfalls.

Niklas Potrafke (35) leitet seit 2012 das Ifo-Zentrum für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie. Er unterrichtet Finanzwissenschaft an der
Ludwig-Maximilians-Universität München.

Österreichs Ziele sind zwar nicht sehr ambitioniert. Aber immerhin: Finanzminister Schelling liegt voll im Plan. Das Nulldefizit für 2019 ist machbar. „Es kann passieren, dass der Finanzminister das Ziel früher erreicht“, sagte Statistik-Austria-Chef Konrad Pesendorfer am Donnerstag. Das hänge davon ab, wie gut sich die Wirtschaft entwickle und wie hoch die Flüchtlingskosten ausfallen.

Das Defizit 2015 ist auf 1,2 Prozent der Wirtschaftsleistung gesunken. Ohne Bankenpaket wäre es sogar bei 0,5 Prozent gelegen, sagte Pesendorfer. Das wäre der niedrigste Wert seit dem EU-Beitritt und besser als Grassers „Nulldefizit“ (das sich später als 0,6-Prozent-Defizit erwies) gewesen. Fürs strukturelle Defizit dürfen Konjunktur- und Einmaleffekte abgezogen werden – die EU-Vorgabe von 0,45 Prozent des BIP erreiche Österreich dabei für 2015 „sicher“, sagte Pesendorfer.

Zu verdanken ist das vor allem den höheren Einnahmen (+3,8 Prozent): Die Lohnsteuer brachte dem Fiskus 1,3 Mrd. Euro zusätzlich („kalte Progression“). Die Steuerreform, die ab heuer greift, lässt hier für nächstes Jahr weniger erwarten. Ähnlich ist es bei der Kapitalertragsteuer, die 2016 erhöht wurde: Vorzieheffekte brachten 1,1 Mrd. Euro zusätzlich. Aus der Mehrwertsteuer flossen 800 Mio. Euro mehr.

Die Ausgaben stiegen um 0,7 Prozent. Deutlich höher fielen dabei die Sozialausgaben (+3,4 Prozent) aus, stark gefallen sind unterdessen die Zinskosten (-2,4 Prozent).

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