Von Davos bis Bilderberg: So mächtig sind die Eliten-Zirkel
Es sind meist Männer, sie bekleiden hohe Funktionen in Politik und Wirtschaft. Und sie begeistern sich für geheimniskrämerische Treffen, die auffällig oft in den Schweizer Bergen stattfinden. Sonst ist über manche dieser jahrzehntealten Foren meist wenig bekannt.
Wie mächtig, wie verschwiegen, wie prominent besetzt sind diese Machtzirkel? Das KURIER-Wirtschafts- und Politik-Team hat versucht, das mithilfe einer Fünf-Sterne-Skala einzuordnen (siehe Grafiken).
Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos
Keine Frage, das Weltwirtschaftsforum wird in der 50. Auflage besonders prominent besetzt sein. Für Firmen ist das Dabeisein teuer: Größere Konzerne legen als „Partner“ rund 111.000 Euro für die Jahresmitgliedschaft ab. Wer mehrere Besucher entsenden will, muss noch üppige Eintritte draufschlagen.
Lohnt sich das überhaupt? Davos wolle den „Zustand der Welt verbessern“, wird Gründer Klaus Schwab (82) nicht müde zu betonen. Das Forum solle eine „Werkstatt, keine Quatschbude“ sein. Jahr für Jahr wird der Kreis um NGOs und die „Zivilgesellschaft“ erweitert, um Kritikern Wind aus den Segeln zu nehmen.
Die Konzernbosse kalkulieren den Nutzen viel nüchterner. „Um jene Menschen zu treffen, die ich hier in drei Tagen sehe, müsste ich sonst drei Wochen um die Welt jetten“, sagt ein regelmäßiger Gast. Deshalb ist das Weltretterpathos meist schon vergessen, sobald die Manager ihren Helikopter oder Privatjet besteigen.
Schwab ist das Manko bewusst. Er verweist gerne auf eine globale Impf-Kampagne, die den Ausgang in Davos genommen habe. Heuer soll eine Billion Bäume gepflanzt werden. Viele dieser Initiativen sind im Folgejahr freilich längst vergessen.
Europäisches Forum Alpbach
Historisch gesehen war das Forum im tirolerischen Alpbach sogar ein Vorläufer des heute gewichtigeren Davos-Treffens. Nach dem Krieg wollten Otto Molden (1918-2002), Sohn des Presse-Verlegers Ernst Molden und der Land-der-Berge-Texterin Paula von Preradović, sowie Philosophie-Professor Simon Moser (1901-1988) wahlweise ein Intellektuellen-Forum oder eine Seminarwoche am Berg gründen.Geworden ist es beides.
Seinen aufgeschlossenen Charakter verdankt Alpbach rund 650 jungen Stipendiaten aus mehr als 90 Ländern, die an breit gefächerten Workshops teilnehmen, von Architektur bis Finanzmarktregulierung. Präsident ist Ex-EU-Kommissar Franz Fischler.
In den schwächeren Momenten ist Alpbach ein Tummelplatz für Industrievertreter, die sich Redezeit erkaufen wollen, in den besseren ein Marktplatz für originelle Denkansätze.
Mont Pèlerin Society
Mit einer klaren ideologischen Stoßrichtung ging Friedrich August von Hayek im April 1947 daran, am Mont Pèlerin (Schweizer Berge!) bei Montreux einen Denkerkreis zu installieren. Nach Vorbild der sozialistischen Fabian-Society, die schon 1884 etabliert wurde, deren Wirken aber auf Großbritannien beschränkt blieb, gründete er einen Zirkel liberaler Vordenker.
Sie wollten die nach dem Krieg dominante Wirtschaftspolitik im Gefolge John Maynard Keynes brechen. Es sollte Jahrzehnte dauern, aber Mitte der 1970er schwenkte das Pendel tatsächlich in Richtung Wirtschaftsliberalismus um. Die Ironie: Ausgerechnet die Befürworter des freien Marktes wollten keinen Wettstreit der Ideen. Mitbegründer Karl Popper setzte sich mit seinem Vorstoß, die Debatte um Andersdenkende zu bereichern, nicht durch.
Der eingeengte Richtungsstreit fand somit zwischen europäischen Liberalen statt, die dem Staat ordnende Funktion zugestanden (soziale Marktwirtschaft, deutscher Ordoliberalismus à la Ludwig Erhard), sowie den heute dominanten Marktradikalen nach Chicagoer Prägung.
Aktueller Präsident ist Ökonom und Ex-US-Staatssekretär John B. Taylor. Die MPS weist stolz auf neun Nobelpreisträger in den Reihen hin. In den Zirkel aufgenommen wird nur, wer vorgeschlagen wird und sich bei der Überprüfung als würdig erweist. Aus Österreich ist etwa Barbara Kolm, Vize-Präsidentin der Nationalbank, vertreten.
Jackson Hole
Warum die Notenbanker-Konferenz seit 1982 jedes Jahr Ende August in den US-Bergen stattfindet, lässt sich einfach erklären: Die Veranstalter wollten sicherstellen, dass der mächtige US-Notenbank-Chef Paul Volcker zum ersten Treffen erscheint. Weil sie dessen Faible für das Fliegenfischen kannten, fiel die Ortswahl auf Jackson Hole im Bundesstaat Wyoming.
Bis heute treffen sich dort jährlich gut 100 Notenbanker und Wissenschaftler aus aller Welt im pittoresken Berghotel, ausnahmsweise ganz informell ohne Anzug und Krawatte. Die Teilnehmerschar und Themen sind hochkarätig, aber auf die Welt der Geldpolitik beschränkt.
Bilderberg-Konferenz
Der exklusive Debattierklub gilt als die „Mutter aller Verschwörungstheorien“. Die Berge trägt er nur im Namen: Die erste Konferenz fand 1954 im Hotel de Bilderberg in Oosterbeek statt. Prinz Bernhard der Niederlande organisierte das erste Transatlantik-Treffen mit elf Amerikanern und 50 Westeuropäern. Die Zusammenkunft sollte unter dem Eindruck des Kalten Krieges antiamerikanischen Stimmungen und kommunistischen Einflüssen entgegenwirken.
Zuletzt fand das Bilderberg-Treffen im Juni 2019 in Montreux am Genfer See statt. Was bei Vielen die Phantasie beflügeln dürfte: Ursula von der Leyen war auch dort – vor der überraschenden Bestellung als EU-Kommissionschefin, noch als deutsche Verteidigungsministerin. Es würden typischerweise aufstrebende Vertreter von „Parteien der „klassischen politischen Mitte“ eingeladen, sagt Soziologe Björn Wendt: „Da überrascht es nicht, wenn einige steile Karrieren machen.“
Der sagenumwobene Status rührt neben der elitären Einladungspolitik vor allem von der Verschwiegenheit. Früher waren gar keine Informationen verfügbar. Seit zehn Jahren nennt eine Webseite zumindest die Teilnehmer und umreißt grob die Themen. Sehr aufschlussreich ist das nicht, 2019 ging es um alles und nichts: von EU über China und Russland bis Brexit, von „Zukunft des Kapitalismus“ bis „Bedeutung des Weltraums“.
Teilnehmer aus Österreich waren 2019 der Ex-Minister Rudolf Scholten, die Wirtschaftsuni-Rektorin Edeltraud Hanappi-Egger sowie Medien-Manager Gerhard Zeiler. Eine prominente Rolle spielt als Kassier der Deutsche-Bank-Chefaufseher Paul Achleitner.
European Round Table of Industry (ERT)
Der breiten Öffentlichkeit ist die 1983 gegründete Brüsseler Runde kaum bekannt. Der Round Table umfasst 55 Spitzenmanager als Person, nicht als Vertreter jener europäischen Großkonzerne, denen sie vorstehen (von AB Volvo bis Siemens, von BASF bis Renault).
Das Besondere dabei: Der Anstoß zur Gründung sei in den 1980ern von der EU-Kommission unter Jacques Delors ausgegangen. Diese wünschte sich Ansprechpartner auf Industrieseite, sagt Kenneth Haar vom Corporate Europe Observatory (CEO), einer NGO, die Lobbying-Aktivitäten beobachtet: „Daher rührt bis heute der privilegierte Zugang des ERT zur Kommission.“
Sichtbarster Ausdruck sei ein alljährliches Essen der 40 bis 50 Industriekapitäne mit Deutschlands Kanzlerin, Frankreichs Präsidenten und dem EU-Kommissionchef.
Auf der ERT-Agenda stehen freilich keine Alltagsthemen, sondern große strategische Linien der Europäischen Union: In den 1980ern waren das die Umsetzung des Binnenmarktes und der transeuropäischen Infrastrukturnetze, in den vergangenen Jahren Themen wie Digitaler Binnenmarkt und Deregulierung. Beides übrigens weit oben auf der Prioriätenliste der Kommission von der Leyen. Dass Europas Wettbewerbsfähigkeit sinkt, ist eine weitere große Sorge des ERT.
G-20
Am ehesten in die Nähe einer „Weltregierung“ kämen die Treffen der Staats- und Regierungschefs der 20 großen Wirtschaftsmächte, samt den aufstrebenden Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien.
Diesem Anspruch wurde die Gruppe aber nur unmittelbar nach der Finanzkrise gerecht, als kurze Zeit tatsächlich alle an einem Strang zogen. Heute sind die Blöcke zerstrittener denn je und das Format hat an Bedeutung verloren.
Besten Jahre sind vorbei
Fazit: Die Elitezirkel regieren zwar nicht die Welt, sie sichern sich aber Einfluss und Positionen. Ihre Blütezeit dürfte mit dem 20. Jahrhundert zu Ende gegangen sein. Solche Kreise sind ihrem Wesen nach antidemokratisch und begünstigen Korruption und Vetternwirtschaft. In einer Zeit, wo immer mehr Bürger den Eliten misstrauen, geraten sie unter Rechtfertigungsdruck.
Obendrein könnte man sich fragen, ob nicht die Graswurzelbewegung der jungen Klimaaktivisten in wenigen Monaten mehr erreicht hat als die Alt-Männer-Zirkel in Jahrzehnten: Sie treibt die Politik vor sich her.
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