Vom Deutsche-Bank-Lehrling zum Chef über 90.000 Mitarbeiter

Vom Deutsche-Bank-Lehrling zum Chef über 90.000 Mitarbeiter
Christian Sewing stand selbst hinterm Schalter. Geht der Commerzbank-Deal durch, muss er wohl zehntausende Kollegen feuern.

Bisher galt Christian Sewing als großer Skeptiker, was eine Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank betrifft. Heute, Donnerstag, will der Deutsche-Bank-Chef sich aber doch in der Aufsichtsratsratssitzung für den Zusammenschluss aussprechen.

Laut einem Insider, auf den sich Reuters beruft, sieht Sewing einen Mehrwert darin, dass die "klare Dominanz" auf dem deutschen Markt Größenvorteile und sinkende IT-Kosten nach sich ziehen könnte. Die Refinanzierung der Mega-Bank wäre zudem günstiger.

Und massive Arbeitsplatzkürzungen müsse es so oder so geben. Die Betriebsräte und Gewerkschafter im Aufsichtsrat haben bereits angekündigt, den Zusammenschluss abzulehnen. Sie fürchten, dass zehntausende Stellen verloren gehen.

Wer ist Sewing?

Für Christian Sewing selbst wäre es die Krönung einer bemerkenswerten Deutschbanker-Karriere. Ob er unter Druck der Politik oder aus eigenen Stücken umgeschwenkt ist, bleibt offen.

Tatsache ist: Fast ein Jahr nach seiner überraschenden Beförderung zum Chef der Deutschen Bank beginnt der 48-Jährige Fusionsverhandlungen mit der Commerzbank.

Vom Ausgang der Gespräche hängt für den jüngsten Boss, den die Deutsche Bank je hatte, ab, welchen Platz er für sich in der 150-jährigen Geschichte des Instituts beanspruchen kann: Als Geburtshelfer einer Bank neuer Dimension, der die letzte Chance für eine nationale Konsolidierung nutzte - oder als Totengräber der einst so stolzen heimischen Privatbanken.

Vom Deutsche-Bank-Lehrling zum Chef über 90.000 Mitarbeiter

Commerzbank-Chef Martin Zielke, Deutsche-Bank-Boss Sewing und EZB-Präsident Mario Draghi, Bankenkongress in Frankfurt, November 2018

 

Ein Leben bei den "Blauen"

Sewing ist Deutschbanker durch und durch. Fast sein ganzes Berufsleben hat der Westfale bei den „Blauen“ verbracht - nach dem Abitur 1989 absolvierte er eine Ausbildung bei der Deutschen Bank in Bielefeld und studierte anschließend berufsbegleitend ind er Bankakademie in Bielefeld und Hamburg.

Danach folgten Stationen in Frankfurt, London, Toronto, Tokio und Singapur. Dem Konzern wurde er nur einmal für ein paar Jahre untreu: Als Vorstand bei der Deutschen Genossenschafts-Hypothekenbank (DG Hyp).

Doch mit Ausbruch der Finanzkrise 2007 zog es den Vater von vier Kindern, von denen drei noch mit der Mutter in Osnabrück leben, zurück zu „seiner“ Bank. Seit April 2018 bestimmt er nun deren Geschicke.

Für Spaziergänge mit seinem Rhodesian-Ridgeback-Rüden oder Einkäufe auf dem Wochenmarkt bleibt selten Zeit. Und wenn, bleibt er so gut wie unerkannt, obwohl sein Konterfei Lesern der Wirtschaftspresse gut bekannt sein dürfte. Zweimal hätten ihn Passanten seitdem angesprochen.

Vom Deutsche-Bank-Lehrling zum Chef über 90.000 Mitarbeiter

Hin und Her beim Commerzbank-Deal: Sewing in Davos

 

Vom Lehrling zum Chef

Fürs Abschalten hilft dem  hochgewachsenen Manager das Joggen - einmal am Wochenende ist Pflicht, egal wie eng der Terminplan gestrickt ist. Seit Jugendjahren spielt Sewing Tennis, doch inzwischen findet er immer seltener Zeit für ein Match mit seinen früheren Vereinskollegen.

Dabei liebäugelte der Fußball-Fan (FC Bayern) einst auch mit dem Beruf des Sportjournalisten.  Beim jährlichen Firmenlauf, bei dem zehntausende Jogger die Straßen der Mainmetropole Frankfurt bevölkern, ist er auch dabei - zusammen mit Deutschbankern jeden Alters und jeder Gehaltsstufe.

Ein Chef zum Anfassen, der auch nach einer stundenlangen und meist turbulenten Hauptversammlung noch Selfies mit Azubis in der Frankfurter Festhalle zulässt. Oder mit Kollegen in einer Filiale irgendwo in Deutschland. Drei Jahre hat Sewing selbst, vor langer Zeit, hinter dem Schalter gestanden.

Zehntausende Jobs wackeln

Für die jungen Deutschbanker ist Sewing der lebende Beweis, dass man es schaffen kann vom Lehrling zum Chef von 90.000 Mitarbeitern. Von diesen wird er aber, sollten die Gespräche mit der Commerzbank zum Erfolg führen, Tausende, wahrscheinlich eher Zehntausende, entlassen müssen.

Dass er vor Entscheidungen dieser Dimension nicht zurückschreckt, hat er schon gezeigt. Bei der Integration der Postbank, seinem Gesellenstück, wurden und werden immer noch zahlreiche Filialen geschlossen und Tausende Jobs gestrichen.

Und dennoch gab und gibt es Leute, die an seiner Eignung für den Top-Job zweifeln. Ehemalige Mitarbeiter sehen in  Sewing nicht den visionären Vordenker, sondern den 80-Stunden-pro-Woche-Arbeiter ohne Charisma, der im Zweifel vor Aufsichtsratschef Paul Achleitner eher kuscht als ihn herausfordert.

„Er füllt den Spielraum, den er hätte als Vorstandschef, nicht aus und lässt anderen zu viel Raum“, heißt es kritisch auch von Seiten eines Großaktionärs.

Nähe zur Politik

Seit Sewing auf dem Chefsessel bei der Deutschen Bank Platz genommen hat, sind die Bande in die Politik und in die Bundesregierung deutlich enger geworden als das unter seinen Vorgängern John Cryan und Anshu Jain der Fall war.

In Berlin schätzt man es, wenn ein Top-Manager auf Deutsch parliert. Zum anderen dürfte es an Sewing selbst liegen. Denn auch wenn ihn der Druck, den Bundesfinanzminister Olaf Scholz in Sachen Commerzbank-Fusion entfaltete, genervt hat, weiß er, dass er sich den Wünschen der Regierung nicht gänzlich verweigern kann.Er selbst hält sich zu dem Top-Thema am Finanzplatz bedeckt.

Wer erspüren will, ob er denn eine Fusion mit der Commerzbank wirklich für eine so gute Idee hält, ist auf den Brief an seine Mitarbeiter angewiesen, in dem er die offiziellen Verhandlungen über einen Zusammenschluss begründete. Keine Zeile  Begeisterung.

Aber viele Zweifel, ob es klappt. Das kann Taktik sein, muss es aber nicht. Am Ende wird Sewing alleine entscheiden müssen, ob er das große Ding mit der Commerzbank wagen will oder dem Drängen von Scholz und Achleitner nicht nachgibt - mit  allen Konsequenzen.

Würde der Deal am Ende aber ein Erfolg, dann hätte der sportbegeisterte Junge aus Bünde in Ostwestfalen 30 Jahre nach der Banklehre wohl sein Meisterstück abgeliefert.

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