"Viele Trittbrettfahrer": Das heikle Geschäft mit Corona-Tests
Die erste Tranche der vom Staat bezahlten und über die Apotheken gratis verteilten Corona-„Nasenbohrer“-Test-Kits ist fast vergriffen, die zweite – 4,5 Millionen Stück – für die nächsten Tage versprochen. „Wir warten genauso wie die Bevölkerung“, sagt Apothekerkammer-Chefin Ulrike Mursch-Edlmayr. Rund 38 Millionen Stück braucht es, um allen Erwachsenen ein 5er-Testset in die Hand zu drücken.
Lieferketten stocken
Wegen der explodierenden Nachfrage in ganz Europa stocken die Lieferketten aus China, wo die Tests gefertigt werden. Und es kommt zu Qualitätsmängeln, wie KURIER-Leser berichten. Viele Wohnzimmer-Tests sind unbrauchbar, weil Fläschchen leer sind oder Bedienungsanleitungen nur auf Chinesisch vorliegen oder ganz fehlen. Was läuft hier schief?
Ho-Ruck-Beschaffung
Ein Grund für Engpässe und Qualitätsmängel sei auch eine überstürzte Test-Beschaffungspolitik, monieren heimische Medizintechnik-Firmen, die selbst Corona-Schnelltests in großen Mengen anbieten. In Österreich zähle nur der Preis der Test-Kits, nicht aber die Qualität, berichtet technomed-Chef Moritz Bubik dem KURIER.
Über Graz nach München
Die steirische Firma lässt als europaweiter Vertriebspartner derzeit palettenweise Test-Kits des chinesischen Herstellers Boson Biotech über den Flughafen Graz in ein Zentrallager nach München liefern. Technomed hat einen Rahmenvertrag mit dem deutschen Gesundheitsministerium über die Lieferung von 16 Millionen Selbsttests pro Monat. Bis August wurde ein weiteres Kontingent von 10 Millionen Tests pro Monat vereinbart. „Deutschland hat lange zugewartet und testet jetzt aus allen Rohren, vor allem in Schulen und Kitas kommen die Tests zum Einsatz“, freut sich Bubik über ein boomendes Geschäft.
Deutschland prüft genau
Anders als Österreich prüft Deutschland im Rahmen einer Sonderzulassung sehr genau, welche Selbsttests im Land benutzt werden dürfen. Gecheckt wird nicht nur, ob sie technisch funktionieren, sondern auch, ob sie von Laien überhaupt angewendet werden können. Eine verständliche Bedienungsanleitung ist Pflicht. Österreich verzichtet hingegen auf eine Prüfung und vertraut im Wesentlichen den Eigenangaben der Importeure. „Das ist ein bisschen erschreckend. Ich halte das
für einen riskanten Weg“, kritisiert Bubik, der sich als Qualitätsanbieter sieht und auf eine Laienstudie verweist, die er in Deutschland vorweisen musste. Der deutsche Markt ist höchst lukrativ, es wird mit einem Bedarf von bis zu einer halben Milliarde Tests pro Monat gerechnet.
Engpässe wegen Deutschland
„Wenn Deutschland richtig loslegt, könnte es zu Engpässen kommen“, bestätigt Murat Estelik, Geschäftsführer der in Wiener Neudorf beheimateten Labordiagnostik-Firma DIALAB. Er wartet derzeit auf eine deutsche Sonderzulassung seiner Marke Diaquick, die in China gefertigt wird. Er ist nicht der Einzige. Mehr als 30 Anbieter schielen auf das Big Business in Deutschland und gehen mit Dumpingpreisen in den Markt. „Da sind viele Trittbrettfahrer auf das Thema aufgesprungen, und es ist derzeit viel Schindluder am Markt“, weiß Estelik und spricht sich ebenfalls für strengere Zulassungskriterien in Österreich aus.
Der Nachteil: Wird strenger geprüft, könnte es erst recht einen Mangel geben. Die schwierige Entscheidung der Politik lautet daher: Große Mengen zum günstigen Preis, aber mitunter geringerer Qualität – oder mehr Qualität mit erhöhtem Lieferrisiko.
Nach einer Bereinigung würden im Test-Business letztlich nur seriöse Labordiagnostik-Anbieter übrig bleiben, glaubt Estelik. DIALAB ist seit 40 Jahren in der Branche tätig und verfügt über eine kleine Diagnostika-Produktion. In Wiener Neudorf werden derzeit täglich 600.000 Covid-Selbsttests ausgeliefert. Die Tests kommen „als Schüttgut“ aus China und werden je nach Auftrag abgepackt.
12 Millionen Tests ausgeliefert
Die Firma vertreibt auch die Tests des chinesischen Herstellers Acon Biotech aus Hangzhou.„Seit Jänner haben wir bereits 12 Millionen Acon-Tests für Österreich und Tschechien ausgeliefert“, freut sich DIALAB-Geschäftsführer Murat Estelik über den Auftragsboom. Um die Bestellungen abwickeln zu können, wurden zusätzliche Lagerhallen am Flughafen Wien-Schwechat angemietet undzusätzliche Mitarbeiter eingestellt.
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