Verteidigung des Kapitalismus: "Allmacht ist nur eine Momentaufnahme"

Rainer Zitelmann hat seine PR-Firma verkauft und mit Immo-Investments in Berlin so viel verdient, dass er davon „noch 100 Jahre leben kann“. Die Zeit nutzt er jetzt zum Bücher schreiben. „Mein Vater war Pfarrer, mir liegt das Missionieren im Blut“, sagt er. In seinem neuen Buch will er mit 10 Irrtümern der Antikapitalisten aufräumen. Diese Irrtümer sind laut seinen Studien in Österreich weit verbreitet. Kapitalismus fördert Egoismus und Profitgier, führt zu steigender Ungleichheit und verführt Menschen zum Kauf von Produkten, die sie gar nicht brauchen, so die häufigsten Assoziationen zum Begriff Kapitalismus bei den in Österreich Befragten.
KURIER: Herr Zitelmann, sind Sie enttäuscht, dass in Österreich kaum jemand so ein Kapitalismus-Fan ist wie Sie?
Rainer Zitelmann: Die Menschen vergessen, woher ihr Wohlstand kommt, in ganz Westeuropa. In Österreich gibt es genauso viele Antikapitalisten wie in Deutschland, noch schlimmer sind nur die Franzosen. Generell gibt es in Westeuropa immer mehr Menschen, die den Kapitalismus für alles Schlechte auf der Welt verantwortlich machen.
Auch, weil sie sich auf der Verliererseite ohne Aufstiegschancen sehen, oder?
Es gibt nach wie vor soziale Mobilität und Aufstiegschancen. Das heißt nicht, dass es keine Probleme gibt, aber die sind meist vom Staat und nicht vom Kapitalismus gemacht.
Sie sind als Unternehmer und mit Immo-Investments reich geworden. Viele können sich ohne Erbschaft heute kein Wohnungseigentum mehr leisten. Läuft da nicht etwas schief?
Schuld ist die Politik und die Zentralbanken. Haupttreiber ist die EZB mit ihrer Nullzinspolitik, die bedeutet, dass der Preis für Geld abgeschafft ist, was die Nachfrage nach Immobilien und damit die Preise in die Höhe getrieben hat. Dazu kommen die Auflagen des Staates. In Deutschland gibt es 25.000 Bauvorschriften. Vom Kauf eines Grundes bis zur fertigen Immobilien vergehen bei uns in Berlin zum Teil 12 Jahre, davon 10 für die Bürokratie, nur zwei für den Bau. Alles vom Staat gemachte Probleme, nicht vom Kapitalismus.
Provokateur
Der Historiker und Soziologe hat eine Doktor-Arbeit zum Titel „Hitler.
Selbstverständnis eines Revolutionärs“ und die zweite zum Thema „Psychologie der Superreichen“ geschrieben. Der ehemalige Journalist (Die Welt) hat 26 Bücher veröffentlicht. Er war Unternehmer (PR-Agentur) und Immobilien-Investor
Privat
Zitelmann (*1957) lebt in Berlin und bezeichnet sich als Frühaufsteher. Oft ist er bereits um sechs Uhr morgens im Fitnessstudio
Unter Kapitalismuskritikern sind auch viele Intellektuelle. Woher kommt das?
Das war schon immer so – außer in Österreich, wo die Österreichische Schule der Nationalökonomie begründet wurde. Österreich hat die großartigsten Theoretiker des Kapitalismus hervorgebracht, so etwa Ludwig von Mises, Eugen von Böhm-Bawerk oder Joseph Schumpeter. In Deutschland hatten wir Karl Marx, den Begründer des Kommunismus oder Otto von Bismark, den Begründer des Wohlfahrtsstaates.
Das erklärt aber nicht die heutige kritische Haltung ...
Eine Quelle des Antikapitalismus ist Neid. Intellektuelle lesen viele Bücher, halten sich für gescheit. Und dann stellen sie fest, dass Schulkameraden, die in der Schule schlechter waren, heute Unternehmer sind, das bessere Auto fahren, das schönere Haus und die schönere Frau haben. Da sagen die: „Der Markt ist ungerecht.“
Neid als Quell der Kapitalismuskritik?
Natürlich gibt das keiner zu, man nennt das heute „soziale Gerechtigkeit“, was viel edler klingt. In Wirklichkeit geht es um den eigenen Minderwertigkeitskomplex, belegen auch Studien.
Was genau zeigen sie?
Zum Beispiel, dass Neider dem Lotto-Gewinner eher sein Geld gönnen als dem Top-Manager. Warum? Weil die eigene Frau einem nicht vorwirft, dass man die falschen Zahlen angekreuzt hat. Die Reichen sind immer die Sündenböcke, schauen Sie nur zu den Verschwörungstheoretikern, die Bill Gates für die Pandemie verantwortlich machen. Absurd.
Imperien von Bill Gates oder Jeff Bezos werden wegen ihrer Marktmacht kritisch gesehen. Zu recht, oder?
Jene, die sie kritisieren, sollten sich fragen, wer diese Konzerne groß gemacht hat. Wir alle. Kapitalismus ist damit demokratischer als jedes andere System. Manche Bücher müssten Sie ohne Amazon umständlich im Antiquariat suchen. Die Macht solcher Konzerne wird meist nicht von Antikartellbehörden gekippt, sondern vom Kapitalismus.

Rainer Zitelmann: "Die Reichen sind immer die Sündenböcke, schauen Sie nur zu den Verschwörungstheoretikern"
Zum Beispiel?
Xerox hatte in den USA einst einen Marktanteil von 99 Prozent, heute sind es zwei Prozent. Kodak hielt 85 Prozent vom US-Kamera-Markt, hat dann den Digitalkamera-Trend verschlafen. Die vermeintliche Allmacht dieser Konzerne ist eine Momentaufnahme. Es kommen Konkurrenten, die sie vom Thron stoßen. Selbst Jeff Bezos sagt, dass Amazon vom Markt verschwinden wird, offen ist nur wann. Die einzigen Monopole, die einzementiert sind, sind Staatsmonopole. Genau nach diesen rufen Antikapitalisten.
Und nach weniger Konsum. Passen Kapitalismus und Klimaschutz zusammen?
Nicht das ungehemmte Profitstreben des Kapitalismus hat zu den größten Umweltzerstörungen geführt, sondern der Sozialismus. In der DDR waren die Luftverschmutzung mit Schwefeldioxid oder Feinstaub pro Quadratkilometer zehn Mal größer als in Westdeutschland. Ganz zu schweigen Tschernobyl.
Wie kommen Sie jetzt auf Tschernobyl?
Die Planwirtschaft war schuld an der Katastrophe. Sie hat nicht funktioniert. In russischen Reaktoren, nicht nur in Tschernobyl, sind wichtige mechanische Teile und Baumaterialien oft zu spät oder überhaupt nicht aufgetaucht, und was ankam, war oft fehlerhaft. Stahl und Zirkonium, beides wesentlich für die die kilometerlangen Rohrleitungen und Brennelemente im Herzen des Reaktors, waren Mangelware. Das hat am Ende direkt in eine Katastrophe geführt. Das ist nicht meine Erkenntnis, sondern die der maßgeblichen Experten in Russland, die damals die Katastrophe untersucht haben.
Der Name des Buches ist Programm: Rainer Zitelmann: „Die 10 Irrtümer der Anti-Kapitalisten“ (FBV, 461 Seiten, 25,95 Euro).
Wer sich so richtig für eine Diskussion mit Anti-Kapitalisten aufmunitionieren möchte, bekommt jetzt von Rainer Zitelmann eine rund 400 Seiten starke (ohne Anhang) Steilvorlage geliefert.
Von wegen Konsumterror und Ressourcen, die uns bald ausgehen werden – von Aluminium und Blei über Erdgas bis Öl, alles gibt es noch zur Genüge, schreibt der Historiker und Soziologe. Der Club of Rome hat sich 1970 mit seinen Prognosen also gewaltig getäuscht. Auch, weil mittlerweile mehr Wirtschaftswachstum nicht mehr zwingend mehr Rohstoffverbrauch bedeute. Innovationen würden neuerdings zu Dematerialisierung führen, argumentiert Zitelmann: „In einem Smartphone von heute stecken schließlich rund 30 Geräte von gestern – Taschenrechner, Duden, Wecker, Diktiergerät, Kamera, Mikrofon, Scanner, Taschenlampe, Kalender, Radio, Anrufbeantworter, Navigationssystem.“
Bleibt freilich die Frage, unter welchen Bedingungen diese Geräte hergestellt werden. Dem Vorwurf, dass Kapitalismus an Umweltzerstörung und Klimawandel schuld ist, widmet Zitelmann ein ganzes Kapitel. Mit dem Ziel, davon zu überzeugen, dass nichts der Umwelt mehr geschadet hat als der Sozialismus. In Russland, der ehemaligen DDR, wie in China. Argumentiert wird unter anderem mit Maos „Großen Sprung nach vorne“, der direkt in eine Hungerkatastrophe mit 45 Millionen Toten und ins ökologische Desaster geführt hat. Unter anderem, wegen der vielen kleinen Hochöfen in Hinterhöfen, die viel Dreck, aber wenig brauchbaren Stahl produziert haben.
Der Autor predigt, dass der Kapitalismus vielen Wohlstand gebracht hat. Kleidung wurde durch die internationale Arbeitsteilung immer billiger. Die Umweltverschmutzung, die mit der Wegwerfmode verbunden ist, wird freilich ausgeklammert. Der Name des Buches ist schließlich Programm.
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