Verbund-Chef Strugl: "Das ist eine Operation am offenen Herzen"
Michael Strugl über den "volkswirtschaftlichen Nonsens" des PV-Anlagen-Wildwuchses bei fehlender Speicherkapazität. Was er vom Verbraucher und von der Politik fordert.
KURIER: Müssen sich Konsumenten in Zukunft „netzdienlich“ verhalten, damit Ökostrom besser eingesetzt werden kann – also elektrische Geräte einschalten, wenn die Sonne scheint?
Michael Strugl: Genauso wird es sein, weil auch das System der Stromproduktion komplexer geworden ist: weg von großen, stabilen, zentralen Einrichtungen, hin zu vielen kleinen Erzeugern, die auch gleichzeitig Verbraucher sind. Das System zu balancieren wird die größte Herausforderung in der Transformation.
Wie bringt man die Verbraucher dazu?
Mit Anreizen: Wenn viel Strom im Netz ist, wird er billig sein. Wer Fahrdienste oder Flugtickets zu Stoßzeiten bestellt, zahlt auch mehr.
Was ist gefährlicher: zu viel oder zu wenig Strom?
Beides ist gleich gefährlich. Wichtig ist, dass in jeder Sekunde genauso viel verbraucht wie erzeugt wird. Wenn das aus der Balance gerät, kommt es zu einer kaskadenartigen Abschaltung bis hin zum Blackout. 2021 gab es den letzten großen Störfall in Europa, ausgehend von einem kroatischen Umspannwerk, wo es aufgrund einer menschlichen Fehleinschätzung zu diesen Abschaltungen gekommen ist. Das wurde aber innerhalb einer Stunde repariert. Wir setzen in so einem Fall flexible Kraftwerke, etwa Pumpspeicherkraftwerke, ein. Oder wir nehmen mithilfe großer Industriebetriebe, die ihre Produktion unterbrechen, Last aus dem Netz. Grundsätzlich sind wir darauf sehr gut vorbereitet und üben das auch.
Die Regierung plant, Strom bis zum Jahr 2030 zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen zu produzieren. 87 Prozent sind es angeblich jetzt schon laut Umweltministerin Leonore Gewessler.
Das stimmt nur auf dem Papier und wenn man alles über das Jahr hinweg zusammenrechnet. Aber nur in jeder zweiten Stunde des Jahres sind wir durch Eigenerzeugung voll gedeckt. Nimmt man Sonne, Wind, Wasserkraft plus Pumpspeicher, dann sind es rund 36 Prozent. Insbesondere in den Wintermonaten brauchen wir daher von woanders her Strom, nämlich durch Importe. Die kommen vor allem aus Deutschland und Tschechien. Strom folgt eben der Physik, nicht der Ideologie.
Erstens müssen wir die Erzeugung ausbauen, weil wir werden mehr Strom verbrauchen. Wir rechnen 2040 ungefähr mit 118 Terawattstunden statt heute 71. Das größte Problem wird sein, die Übererzeugung des Sommers in die kalten Monate zu verlagern. Dafür müssen wir – neben dem Netzausbau – unglaubliche Speicherkapazitäten aufbauen. Ich würde Photovoltaik in Privathaushalten nur in Kombination mit Heimspeichern fördern, die derzeit noch sehr teuer sind. Die Förderung dafür ist zu niedrig.
Gibt es einen Wildwuchs an privaten PV-Anlagen?
Ja, wir haben einen gigantischen Zuwachs – 2,6 Gigawatt in einem Jahr. Zwar ist jede bei uns erzeugte Kilowattstunde erfreulich. Doch vor allem in der Mittagsspitze ist dann zu viel Strom im Netz. Damit werden Preise negativ und Anlagen müssen abgeregelt werden, um eine Überlastung der Netze zu verhindern. Somit werden Windparks abgeschaltet, oder wir lassen bei Wasserkraftwerken das Wasser über die Wehre laufen. Gleichzeitig müssen wir absurderweise Gaskraftwerke anfahren für die Netzstabilität. Das alles hat voriges Jahr 142 Millionen Euro gekostet, das ist volkswirtschaftlicher Nonsens.
Was müsste die Politik tun?
Klüger wäre ein integrierter Plan, sonst ist es Versuch und Irrtum, wie derzeit.
Es gibt ja sogar einen Run auf Balkonkraftwerke.
Damit kann man vielleicht eine Glühbirne am Küchentisch betreiben, aber nicht das System stützen.
Zur Person Michael Strugl ist Präsident der Österreichischen E-Wirtschaft und seit drei Jahren Verbund-Chef. Davor war der Oberösterreicher in der Politik, u. a. als Landeshauptmann-Stv. für die ÖVP.
Verbund Der teilstaatliche Verbund hat 2023 einen Rekordgewinn von 2,27 Milliarden Euro eingefahren. In den nächsten drei Jahren will der Konzern 5,5 Milliarden in Netzausbau, Speicherkapazitäten und den Ausbau der erneuerbaren Energien investieren.
Der Verbund hatte voriges Jahr einen Rekordgewinn. Für die Opposition ist das Regulierungsversagen, weil die hohen Energiepreise die Inflation angeheizt haben. War das falsche Energiepolitik?
Man hätte nach der vom Ukraine-Krieg ausgelösten Gaskrise europaweit den Strompreis vom Gaspreis entkoppeln müssen. Die Spanier haben einen Gaspreisdeckel geschaffen: Mehr durfte Strom aus Gasproduktion nicht kosten. Die Kosten darüber hinaus hat der Staat den Stromanbietern ersetzt.
Dafür gab es bei uns „Übergewinnsteuern“ – ein Wort, das Sie nicht mögen, oder?
Ja, weil es weder ökonomisch noch sprachlich Sinn macht. Es gibt Verlust und Gewinn. Ich kenne auch keine Untergewinne.
Es gibt noch viel zu tun. Die Stromanbieter müssen das System umbauen, während wir gleichzeitig zu jeder Stunde des Jahres verlässlich Strom zur Verfügung stellen müssen: Das ist eine Operation am offenen Herzen.
Das Gespräch fand auf der Bühne im Rahmen des von Markus Hengstschläger organisierten Symposiums „Impact Lech“ zum Thema Sicherheit statt.
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