Varoufakis und die Wahrheitspille

Proteste vor dem Parlament in Athen gegen den von den Gläubigern verlangten Sparkurs bei den öffentlichen Ausgaben.
Der griechische Ex-Finanzminister erklärt die Wirtschaft und gibt Einblicke in seine Gedankenwelt.

Nichts erreicht und doch alles richtig gemacht. Für seine Fans ist Yanis Varoufakis spätestens mit dem Rücktritt als Finanzminister zur Ikone geworden: Weil er sich nicht dem Diktat der Geldgeber beugte. Weil er für die Vision eines gerechteren Griechenland steht. Den Wahrheitsbeweis musste er nicht antreten; den Scherbenhaufen müssen andere wegräumen.

Nur: Welche Wirtschaft wäre Varoufakis denn vorgeschwebt? Dazu gibt ein Buch des Ökonomen Einblicke, das jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt – das Original erschien 2013, also noch vor dem Polit-Intermezzo. Trotzdem kann man nicht anders, als die griechische Schuldenkrise als Subtext mitzulesen.

Varoufakis und die Wahrheitspille
Buchcover Yanis Varoufakis
Etwa wenn Varoufakis die "Kreditvereinbarung" von Faustus zitiert, der für 20 Jahre Glück seine Seele verkauft. Wer denkt da nicht an Griechenlands konsumgetriebene Verschuldungsorgie vor der Krise? Nicht Varoufakis: Er beharrt auf der "stabilisierenden Rolle" von Staatsschulden. So viel Verkürzung entschuldigt auch nicht der Kunstgriff, ein einfaches Buch für die Tochter schreiben zu wollen. Der "Keim des Bösen" ist unterdessen einwandfrei identifiziert: Es sind die Banker, die sich mit "schwarzer Magie" an der Zukunft bedienen. Krankenhäuser, Schulen, Armutsbekämpfung – andere würden das für Errungenschaften eines Sozialstaates halten. Für Varoufakis sind es staatliche "Geschenke", damit die Arbeiter fit bleiben und den Reichtum der Mächtigen mehren können. Die haben aber "keine Lust", Steuern zu zahlen. Und die Armen haben zu wenig Geld dafür. Womit der Staat gar nicht anders könne, als sich zu verschulden. Eine sehr simple Sicht der Dinge.Überall findet Varoufakis Gier, Ausbeutung oder Abhängigkeit vor. Schaffensdrang, Selbstbestimmung, Innovation gibt es in dieser Welt nicht. Stattdessen befürchtet er die Herrschaft der Maschinen, die die Menschen versklavt – wie im Kinofilm Matrix. Aus dieser Scheinrealität kann nur ausbrechen, wer die rote Pille der Wahrheit schluckt. Das Buch ist "meine Version der roten Pille".

Spätestens hier erhält man ein Gefühl, wie Varoufakis Europas Finanzminister zur Weißglut treiben konnte. Dann, bitte, doch lieber die blaue Pille des Vergessens.

4,3 Billionen Euro Vermögen verwaltet das weltweit größte Finanzinstitut Blackrock. Der US-Konzern ist damit so mächtig wie kein anderes Unternehmen der Welt. BlackRock investiert, analysiert und berät Großinvestoren, Finanzministerien und Notenbanken. Der Riese hat sich zu einer typischen Schattenbank entwickelt, die sich in vielen Bereichen genauen Kontrollen unterzieht. Von der Finanzkrise 2008 profitierte sie sogar. Dem System BlackRock widmet sich Heike Buchter, Wirtschaftsjournalistin und Wall Street-Korrespondentin für Die Zeit in ihrem am Montag erscheinenden Werk.
Sie zeigt auf, wo die Geldströme hinfließen und welche Risiken eine solche Machtkonzentration für Wirtschaft, Politik und jeden einzelnen Bürger birgt. Flüssiger Stil und logischer Aufbau zeichnen das Buch aus. Großes Vorwissen über das Finanzsystem ist nicht nötig, es gibt ausführliche Erklärungen.

Heike Buchter: BlackRock. Eine heimliche Weltmacht greift nach unserem Geld. Campus Verlag, 280 Seiten, 24,99 Euro

Die Digitalisierung ist der Urknall des gesellschaftlichen Wandels“, findet Claus Reitan. Der Journalist stellt eine neue Verunsicherung fest, ein Ende der Verbindlichkeiten – und eine ziemlich unübersichtlich gewordene Welt. Sie ist es auch im Kleinen: Oder durchschaut irgend jemand noch seine eigene Lohnabrechnung, geschweige denn den Staatshaushalt? Und sind Sie auch schon einmal grandios daran gescheitert, eine elektronische Rechnung an den Bund zu bezahlen? Das habe sogar System, mutmaßt Reitan: Die „Unwissenheit der Untertanen“ sei die „Lebensversicherung der Obrigkeit“.
Reitan kritisiert Kennziffern-Wahn und „Ökonomismus“ . Er sehnt sich einen Perspektivenwechsel herbei. Dieser Wandel könnte seiner Meinung nach „von unten“ kommen, wozu er Bewegungen wie „shared economy“, soziales Unternehmertum und die Renaissance der politischen Salons zählt.

Claus Reitan: Gesellschaft im Wandel. Perspektivenwechsel für Österreich. Edition Steinbauer, 127 Seiten, 22,50 Euro

Alle wissen es, keiner handelt. Obwohl beinahe jedem die dramatischen, unmenschlichen Zustände in der Texilherstellungsbranche bekannt sind, greifen doch nur vereinzelt Kunden zu fairen, ökologischen, zwangsläufig teureren Produkten. Das ist nur ein Aspekt, den Heike Holdinghausen in ihrem Buch „Dreimal anziehen, weg damit“ aufgreift. Auch auf die Haltung von Nutztieren und verschiedene Textilrohstoffe wird ein Augenmerk gelegt.

Verpackt wird die Fülle an Information in einem Schreibstil, der sich durchaus für eine Sommerlektüre eignet, aber zeitgleich seriös und glaubhaft wirkt. Zumal auch brandaktuelle Studien in der Argumentation ihren Platz finden. Die meisten der Probleme sind zwar bekannt, trotzdem kann es nicht schaden, sich noch einmal ausführlich damit auseinanderzusetzen und die nächsten Einkäufe zu überdenken.

Heike Holdinghausen: Dreimal anziehen, weg damit. Was ist der wirkliche Preis für T-Shirts, Jeans und Co? Westend Verlag, 224 Seiten, 17,50 Euro

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