US-Botschafter: "Wir haben ein echtes Problem bei Agrarexporten in die EU"

USA wollen ihre Lebensmittel wie Käse verstärkt in Europa absetzen.
Kongress segnet Handelsabkommen niemals ab, wenn sich EU nicht mehr öffnet.

12,1 Milliarden Dollar zeigen: Da läuft was kräftig schief. Das findet zumindest Anthony L. Gardner, US-Botschafter bei der EU. Um diesen Wert hat nämlich die Union 2015 mehr Lebensmittel und Agrargüter in die USA exportiert als umgekehrt. Ein Rekord. Ist holländischer Gouda in den Staaten vielleicht doch mehr gefragt als sein Pendant aus Wisconsin hier?

Nicht aus US-Sicht. Das riesige Loch der Handelsbilanz zeige, "dass wir ein echtes Problem mit dem Marktzugang für US-Agrarprodukte in der EU haben", so Gardner vor Journalisten in Brüssel. Sprich: Die EU schotte sich durch Handelsbarrieren ab. Anders sei nicht erklärbar, dass die US-Exporte in die EU inflationsangepasst nur ein Drittel des 1980er-Wertes ausmachen. Und das, wo nun US-Lebensmittel im Rest der Welt große Erfolge feierten.

Denselben Vorwurf hört man freilich auch in der Gegenrichtung: "Viele europäische Unternehmen haben die USA als Markt aufgegeben", sagt Iria Campos Alvarez von Eucofel, einer Vereinigung europäischer Obst- und Gemüseproduzenten, zum KURIER. Die Zölle – etwa 96 Cent für ein Kilo Zwiebeln – seien ein geringeres Problem. Dafür dauerten die US-Zulassungsverfahren zwei bis acht Jahre und seien extrem teuer. "Wir setzen unsere hohen Standards nicht aufs Spiel", sagt eine US-Verhandlerin. Das hört man genau so auf EU-Seite. Aber wo geht es um sichere Lebensmittel und Seuchenvorsorge? Oder darum, Konkurrenz fernzuhalten? Ein schmaler Grad.

Für US-Botschafter Gardner steht jedenfalls fest: Der US-Kongress wird dem Handelsabkommen TTIP mit der EU nur zustimmen, wenn die Ungleichheit bei den Agrarexporten adressiert wird.

Karge Aufträge

Für die EU sind öffentliche Ausschreibungen so ein Knackpunkt: Die USA ließen keine europäischen Unternehmen zum Zug kommen, während die EU viel offener sei. Stimmt nicht, sagt Gardner. Und spielt den Ball zurück. Demnach würden in der EU 98,4 Prozent der Aufträge national vergeben. "US-Firmen kommen sogar nur bei 0,016 Prozent der EU-Ausschreibungen zum Zug."

Der Hickhack zeigt, warum TTIP so mühsam vorankommt. Und trotzdem: Besser die USA und EU setzen neue Standards, als sie überlassen anderen das Feld, sagt Gardner: "Manche Kritiker glauben, mit TTIP entscheide sich Europa bewusst für mehr Globalisierung. Diese ist aber ein Faktum, man entkommt ihr nicht: Entweder wir versuchen, sie zu formen. Oder wir werden geformt." Bis 20. Jänner 2017 sei das Zeitfenster günstig, um den TTIP-Text zu finalisieren. sagt der US-Botschafter. Sonst ginge mit dem Wechsel im Präsidentenamt wertvolle Zeit verloren.

Am Ende müsste TTIP 37 Parlamente passieren, rechnet Gardner vor: 26 EU-Staaten, zwei deutsche Kammern, sieben belgische Regionalparlamente, das EU-Parlament und den US-Kongress. "Wenn wir wirklich die Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsstandards absenken wollten, wie uns vorgeworfen wird: Wie um alles in der Welt könnte so ein Abkommen so viele Parlamente passieren?"

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