TTIP-Gerichtshof: "Dagegen ist der Kongress allergisch"

Anschub für den schwächelnden Welthandel: Das größte Containerschiff der Welt.
Experte: US-Abgeordnete werden einem Investoren-Schiedsgericht, wie es die EU will, niemals zustimmen.

Ring frei für Runde elf: Von 19. bis 23. Oktober verhandeln die EU und die USA über das Freihandels- und Investitionsabkommen (TTIP) weiter – dieses Mal in Miami. Unter neuen Vorzeichen, denn die USA haben am 5. Oktober ihr Abkommen mit 11 Pazifikstaaten (TPP) finalisiert.

Was bedeutet das für das Abkommen mt der EU? US-Handelsexperte Gary Clyde Hufbauer vom renommierten Thinktank Peterson-Institute in Washington im KURIER-Interview.

KURIER: Das USA-Pazifik-Abkommen, kurz TPP, ist fertig ausverhandelt. Wird der Kongress zustimmen oder sehen Sie da noch Stolperfallen?

Gary Clyde Hufbauer: Die gibt es, eine ganze Menge. Vor allem die Testabstimmung im Repräsentantenhaus - nicht im Senat - wird eng ausfallen und hart umkämpft sein. Sollte sich keine Mehrzeit dafür abzeichnen, wird Obama die TPP-Ratifikation wohl dem nächsten Präsidenten 2017 überlassen.

Wie würde dann das Ergebnis ausfallen?

Unter einem moderaten Präsidenten, egal welcher Partei, würde TPP sehr wahrscheinlich ratifiziert. Sollte sich ein extremer Kandidat wie Bernie Sanders (Demokrat) oder Donald Trump (Republikaner, Anm.) durchsetzen, würde dieser das Abkommen wohl schlechtmachen.

Aber auch Präsidentschaftsanwärterin Hillary Clinton hat sich doch kürzlich ablehnend über TPP geäußert, oder?

TTIP-Gerichtshof: "Dagegen ist der Kongress allergisch"

Das muss man im Zusammenhang sehen. Clinton hat sich 2012 in Australien sehr für TPP stark gemacht und von einem „Goldstandard-Abkommen“ gesprochen. Darauf bezog sich ihre jüngste Aussage, wonach es nicht ihre hohen Erwartungen erfülle. Sie hat sich aber in ihrer Rhetorik nicht noch mehr nach links gelehnt; oder TPP abgelehnt. Man muss auch sehen: Die 28 Demokraten, die für ein beschleunigtes Beschlussverfahren für TPP und TTIP gestimmt haben, stehten unter enormen Druck. Sie könnten nun wie Clinton argumentieren, es erfülle doch nicht ihre Erwartungen.

Die Haltung der Parteien rund um TPP ist schwer zu durchschauen: Der demokratische Präsident Obama und republikanische Abgeordneten bilden hier eine Allianz. Warum?

Seit gut 20 Jahren, seit dem Nordamerika-Abkommen NAFTA, findet der freie Handel mehr Unterstützung unter republikanischen Kongressmitliedern. Interessanterweise sind laut einer Umfrage des Pew-Instituts aber unter normalen US-Bürgern mehr Demokraten dafür als Republikaner. Die demokratischen Kongressabgeordneten sind deshalb so voreingenommen, weil die Gewerkschaften großen Einfluss ausüben und das als Loyalitätstest betrachten. Die meisten US-Bürger messen dem Thema Handel wenig Bedeutung zu.

Gewerkschafter in Europa warnen: Die USA hätten den Großteil der Arbeitsrechte nicht ratifiziert, wie sie die Internationale Arbeitsorganisation ILO definiert. Warum eigentlich nicht?

Die 12 TPP-Unterzeichnerländer bekennen sich dazu, die ILO-Deklaration einzuhalten. Aber es stimmt, dass die USA viele ILO-Konventionen nicht ratifiziert haben. Die Argumentation ist: Unsere Praxis ist ILO-konform, aber es gibt hypothetische Szenarien, die Bedenken verursachen. Ein Beispiel: Seit Präsident Reagan dürfen Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst der USA nicht streiken. Ob das im Einklang mit der ILO ist, ist nicht ganz klar. Außerdem würde eine Ratifikation eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Senat brauchen, da sind Blockaden leicht zu organisieren.

Sind die Bedenken der europäischen Gewerkschafter berechtigt, dass mit TTIP unsere Sozialstandards gesenkt würden?

Nein,überhaupt nicht. Viele Europäer sind besorgt, mit TTIP würde die US-Spielart des Kapitalismus übernommen, der verglichen mit Europa etliche scharfe Kanten aufweist. Völliger Quatsch. Genauso wenig werden die USA die europäischen Arbeits- und Gewerkschaftsrechte oder den Kündigungsschutz übernehmen. Ich denke, TTIP wird bei der Arbeitssituation extrem wenig Unterschied ausmachen.

Wie wird sich der Abschluss des großen US-Pazifikdeals TPP auf TTIP auswirken?

TTIP-Gerichtshof: "Dagegen ist der Kongress allergisch"
Trade ministers from a dozen Pacific nations in Trans-Pacific Partnership Ministers meeting post in TPP Ministers "Family Photo" in Atlanta, Georgia October 1, 2015. Trade ministers from a dozen Pacific nations meeting in Atlanta extended talks on a sweeping trade deal until Saturday in a bid to get a final agreement on the most ambitious trade pact in a generation. REUTERS/USTR Press Office/Handout FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS. THIS IMAGE HAS BEEN SUPPLIED BY A THIRD PARTY. IT IS DISTRIBUTED, EXACTLY AS RECEIVED BY REUTERS, AS A SERVICE TO CLIENTS

Aus US-Sicht legt TPP die Minimalanforderungen für TTIP fest. Deshalb glaube ich nicht, dass die TTIP-Verhandlungen in den heiklen Bereichen finalisiert sein werden, bevor TPP beschlossen ist. Anders gesagt: TTIP dürfte 2016 also nicht sehr weit vorankommen.

Dennoch sind Sie optimistisch, dass TTIP zustande kommt?

Ja, vorausgesetzt dass TPP ratifiziert wird. Falls nicht, wäre das wohl auch das Ende für TTIP. Die politischen und wirtschaftlichen Bande zwischen USA und Europa sind aber so stark, da steckt schon Schubkraft dahinter. Deshalb wird TTIP vorankommen, aber es ist ein Langzeitprojekt. Realistischerweise könnte es noch vier Jahre brauchen. Denn TTIP ist in vielen Bereichen viel ambitionierter als TPP.

Wie werden die USA auf den EU-Vorschlag reagieren, dass künftig ein neuer Gerichtshof die Investorenklagen gegen Staaten (ISDS) behandeln soll?

Die US-Unternehmen sind mit den ISDS-Vorgaben in TPP nicht sehr zufrieden. Da sind Einschränkungen geplant, die es bei früheren Abkommen nicht gab; etwa was den Umfang der Regulierung oder die Möglichkeit, Klagen einzubringen, betrifft. Das sollte eher die Kritiker glücklich stimmen. Der EU-Vorschlag ist in der Substanz, was den Anwendungsbereich für Klagen betrifft, nicht so viel anders als TPP. Aber: Die EU schlägt einen ständigen Gerichtshof vor. Ich hege dafür Sympathien, aber das wird nie den Kongress passieren, da bin ich mir sehr sicher.

Warum?

Der Kongress reagiert äußerst allergisch darauf, internationale Gerichtshöfe zu erschaffen, die auch nur im Entferntesten Einfluss auf die USA nehmen könnten. Das irritiert den Kongress zutiefst. Das wird auf eine höfliche Ablehnung hinauslaufen.

Und was dann? Wie könnte ein Kompromiss aussehen?

Die ISDS-Gegner kritisieren mögliche Interessenskonflikte. In TPP ist vorgesehen, dass die Regeln von UNCITRAL (Schiedsgericht der Vereinten Nationen, Anm.) anzuwenden sind. Diese haben sehr starke Vorkehrungen, um Interessenkonflikte auszuschließen. Das zweite Argument, dem ich mich zum Teil anschließen würde: Es gibt keine Möglichkeit, gegen Urteile zu berufen. Die USA haben in anderen Abkommen einer Berufungsmöglichkeit prinzipiell schon zugestimmt. In TPP ist das noch nicht vorgesehen, ich denke, mit TTIP wird es das geben.

Ist der Volkswagen-Skandal für TTIP ein Problem?

Automobil-Skandale kommen und gehen. Nach sechs Monaten haben es die meisten Menschen vergessen – und die Verhandlungen dauern noch sehr viel länger. Aber es wird die Skepsis über die regulatorische Konvergenz verstärken – das wird noch kompliziert, da sollte man keine großartigen Dinge erwarten. Die vielen Gegner werden immer wieder an den VW-Skandal erinnern.

Handelsabkommen sind üblicherweise ein Geben und Nehmen. Wo wird es Ihrer Meinung nach Kompromisse brauchen?

Bei vielen Themen. Sollte es in der Landwirtschaft keinen Fortschritt geben, wird TTIP die Geburt nicht erleben. Die USA werden ihre Vorstellungen bei gentechnisch veränderten Mechanismen und Hormoneinsatz aufgeben müssen, die EU muss dafür größeren Marktzugang gewähren. Auch die USA müssen den Markt für hochwertige Lebensmittel wie Käse öffnen, die derzeit noch mit hohen Zöllen belegt sind.

Welche Folgen hat das Urteil des Europäischen Gerichtshofs von Anfang Oktober, welches das Safe-Harbor-Abkommen für Datenflüsse aus der EU in die USA außer Kraft setzt?

Datenströme sind ein weiteres sensibles Thema, an dem TTIP noch scheitern könnte. Das Urteil war nicht sehr hilfreich. Das Safe-Harbor-Abkommen war fast 15 Jahre in Kraft, aber wie auch immer: Die EU-Kommission wird dafür einen rechtlichen Bypass finden. Die TPP-Pläne zum Datenaustausch gehen aber offenbar recht weit. Einen relativ freien Datenfluss und zugleich angemessenen Schutz der Privatsphäre zu finden, wird deshalb ein Balanceakt.

Wie sieht es mit dem Konfliktthema öffentliche Ausschreibungen in TTIP aus?

Das betrifft öffentliche Ausschreibungen auf Ebene der Bundesstaaten oder großer Städte wie Los Angeles. In TPP ist da nichts vorgesehen, aber Europa besteht darauf. Da müssten sich die Städte und Staaten bewegen.

Ein viertes Kompromissfeld sind Unternehmen in Staatsbesitz. TPP ist auch hier die Basis. Verlangt werden transparentere Berichte und Ausschreibungen, die lokale Lieferanten nicht begünstigen. Februar 2016 wird im Rahmen von TTIP erstmals darüber diskutiert werden. Ich wäre aber erstaunt, wenn es dann schon Ergebnisse gibt.

Dient das Pazifikabkommen TPP den USA vor allem dazu, China abzuwehren?

Die Obama-Regierung hat das Abkommen tatsächlich mit dieser politischen Färbung verkauft: Die USA sollen Regeln setzen, bevor es China tut. Dahinter steht aber der Versuch, ein Vorbild zu etablieren, dem sich andere asiatische Staaten anschließen. Korea wird das ziemlich rasch tun, vielleicht Philippinen, Thailand. Und nach fünf Jahren könnte China sein Wirtschaftssystem umstellen, sodass es näher an die TPP-Vorgaben heranrückt. Am Ende könnte irgendwann eine Freihandelszone für Asien und den Pazifikraum stehen, die TPP und diverse Abkommen mit China umfasst. Es geht also praktisch nicht darum, China einzukreisen, sondern ein Modell zu schaffen, das China im eigenem Interesse übernimmt.

Danke für das Gespräch!

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Wettstreit der Wirtschafts-Blöcke

Weil die Welthandelsorganisation WTO kein Abkommen für alle 161 Länder zustande bringt, wird verstärkt auf regionaler Ebene verhandelt.

TPP, das Trans-Pacific-Partnership der USA mit 11 Pazifikstaaten, ist schon fertig. Laut Hufbauer geht es nicht darum, China einzukreisen; die USA wollen, dass der asiatische Riese die Regeln irgendwann aus Eigeninteresse übernimmt.

China und Indien wollen unterdessen ihren Einfluss in der Region über das RCEP-Abkommen (Regional Comprehensive Economic Partnership) absichern – seit November 2012 wird verhandelt.

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