Technologie-Start-ups: Die Politik pfeift auf heimische Lösungen

Bei Videokonferenzen der Regierungsmitglieder kommt zumeist US-Software zum Einsatz.
Von wegen Regionalisierung: Bei Videokonferenzen oder im Fernunterricht wird amerikanische Software der heimischen vorgezogen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz zeigt sich derzeit besonders patriotisch: „Meine große Bitte: Kaufen Sie regionale Produkte“, forderte er Anfang der Woche die Bevölkerung auf. Geht es aber um digitale Produkte, sei es mit der Heimatliebe rasch vorbei, kritisieren Vertreter der österreichischen Start-up-Szene. So würden einzelne Ministerien, aber auch die Wirtschaftskammer, bei zentralen IT-Lösungen etwa für Videokonferenzen/telefonie oder Lernplattformen lieber US-amerikanische Software einsetzen als österreichische.

Nur Tomaten?

„Die angekündigte Regionalisierung gilt offenbar nur für Tomaten und Textilien, aber nicht für Technologie“, ärgert sich Margaret Childs, Vorstandsmitglied der Initiative Austrian Start-ups. Sie versteht nicht, warum Technologie-Start-ups zwar mit Steuergeld gefördert werden, aber ihre Lösungen dann einfach links liegen gelassen werden. „Da werden Policy-Entscheidungen getroffen, die es unmöglich machen, das Potenzial in Österreich zu nutzen.“ Ohne staatliche Unterstützung könne sich aber keine österreichische oder europäische Konkurrenz zu den großen US-IT-Konzernen etablieren.

Ungleicher Wettbewerb

Während Microsoft, Google, Facebook oder Amazon ihre Software-Lösungen in Europa ungehindert ausrollen können, bleibt europäischen und somit auch österreichischen Firmen der Marktzugang in den USA oftmals verwehrt. Die USA verfolgen bei der Digitalisierung schon allein aus Sicherheitsgründen eine klare „America-first“-Strategie.

„Wenn unsere Politik weiterhin so agiert, wird verhindert, dass ein europäisches Microsoft überhaupt entstehen kann“, gibt Felix Häusler, Gründer des heimischen Zoom- und WhatsApp-Konkurrenten Grape, zu bedenken. Er schlägt vor: „Wenn zwei gleiche Produkte am Markt sind, sollte die österreichische oder europäische Lösung bevorzugt werden.“

Technologie-Start-ups: Die Politik pfeift auf heimische Lösungen

Grape-Mitgründer Leo Razumovsky und -Chef Felix Häusler (re.)

Microsoft als Standard

Das Gegenteil ist der Fall, wie das aktuelle Beispiel Microsoft im Schulumfeld zeigt. Durch die – umstrittene – Empfehlung des Bildungsministeriums an alle Schulen, im Fernunterricht auf Microsoft Teams zu setzen, zementiert der US-Softwareriese seine Marktmacht dauerhaft ein und verhindert, dass Austro-Lösungen wie Grape wachsen können. „Die Empfehlung für Teams kostet uns sicher einige Hunderttausend Euro Umsatz“, seufzt Häusler, der im Schulumfeld mit dem heimischen Anbieter Untis kooperiert.

Auch die an Pflichtschulen bereits etablierte österreichische Schulmessenger-Lösung SchoolFox fühlt sich gegenüber US-Software benachteiligt und wandte sich mit einem Schreiben an diverse Politiker und die Wirtschaftskammer. SchoolFox sieht nicht ein, dass bei der geplanten "Distance Learning Plattform" vor allem Microsoft und Google einen Platz haben sollen statt besser geeignete österreichische Lösungen. Microsoft Teams und GSuite seien für den Schulgebrauch "viel zu komplex und umfangreich".

Start-up-Investor Berthold Baurek-Karlic von Venionaire Capital hat ein eigenes Verzeichnis „Tech Made in Europe“ erstellt.

Hier ein paar heimische Beispiele aus dem Bereich Homeoffice bzw. Homeschooling (Fernunterricht):

Grape: Eine Alternative zu   bekannten Videokonferenz- und Chat-Tools Zoom oder Slack ist die Wiener  Entwicklung Grape, die durch eine Kooperation mit dem niederösterreichischen  Schulsoftware-Anbieter Untis (z.B. digitales Klassenbuch) schon vor der Corona-Krise an vielen Schulen im Einsatz war.

eyeson: Im  Markt für Videokonferenzen etabliert hat sich auch das Grazer Start-up eyeson (ehemals VisoCon). Via Apps für iPhone und Android sowie im Web können Nutzer   mit dem Tool Gruppentelefonate durchführen.  Mehr als  1,5 Millionen registrierte Nutzer  zählt die Firma, die aktuell mit A1 kooperiert. Bis Ende Juni ist die Videokonferenz-Lösung  für neue A1-Neukunden gratis.

SchoolFox: SchoolFox von der Wiener Fox Education Service GmbH ist eine digitale Kommunikationsplattform, die umfangreiche Services für Distance Learning zur Verfügung stellt: Video-Unterricht, Gruppendiskussion, File-Sharing, Hausaufgabenübermittlung  etc.

chabaDoo: Eine digitale Lernplattform aus Österreich ist chabaDoo, die von einem 15-köpfigen Team in Herzogsdorf/OÖ entwickelt und betreut wird. Bis Ende des Schuljahres stellt das Edu-Start-up die Plattform kostenlos zur Verfügung.

Robo Wunderkind: Ebenfalls im Edu-Bereich tätig ist Robo Wunderkind. Die Roboter des Start-ups können von Kindern ab 5 Jahren intuitiv und spielerisch zusammengebaut und programmiert werden

Couseticket: Eine Alternative zu Microsoft im  Kollaborations- und eLearning-Umfeld ist die Wiener courseticket Gmbh, Spezialist für Online-Marktplätze im Bereich der Aus- und Weiterbildung. Das Unternehmen ist  Partner der Bildungsinitiative der Stadt Wien („Digital City“) und betreibt auch einen österreichischen Marktplatz für Bildung und Events. 

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Chat-Lösung von Grape

WKO gefragt

Mehr Unterstützung erwarten sich heimische Tech-Start-ups auch von der Wirtschaftskammer, die bei geförderten Webinaren für KMU ebenfalls meist US-Standardsoftware verwendet, statt auf österreichische Alternativen zu setzen. „Es scheitert offensichtlich am Vertrauen in die eigenen Unternehmen“, meint Alexander Schmid, Geschäftsführer des eLearning-Spezialisten courseticket. „Fällt die Entscheidung auf einen bekannten internationalen Lösungsanbieter, ist ein Scheitern auf den Lösungsanbieter zurückzuführen und nicht auf eine Fehlentscheidung, ein weniger renommiertes, junges Unternehmen ausgewählt zu haben“, glaubt Schmid. Oft reiche aber eine einfache Lösung für eine bestimmte Zielgruppe aus.

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Courseticket-Chef Alexander Schmid

Im zuständigen Digitalisierungsministerium hält man der Kritik Sicherheitsaspekte entgegen: „In Zeiten wie diesen ist es besonders wichtig, die Sicherheit in der Kommunikation von Unternehmen, Verwaltungsbehörden und Bürgern auf höchstmöglichem Level zu halten und nach Möglichkeit stetig weiter zu steigern." Die Entscheidung über den Einsatz eines Tools obliege dem jeweiligen Konsumenten. Also wie bei den Lebensmitteln...

Hinweis: Eine erste Liste (Open App) mit "Technology Made in Europe" finden Sie hier

(Artikel wurde am 13.5. aktualisiert)

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