Techno-Boom: Das Futter für "Einhörner" wird knapp

Hoody (Kapuzenpulli) am Leib und Smartphone in der Hand: New-Economy-Milliardär? (Nein, Baseball-Fan)
Schon 153 IT-Start-ups sind mehr als eine Milliarde Dollar wert – Investoren werden aber wählerischer.

Sie gelten eigentlich als seltene Fabelwesen, doch allmählich wird’s kuschelig im Gehege: Als Einhörner ("unicorns") werden Start-up-Unternehmen bezeichnet, die mindestens eine Milliarde Dollar wert sind und noch nicht einmal an der Börse notieren.

Noch 2010 gab es davon nur eine Handvoll – deshalb auch die Bezeichnung. Seit 2014 vermehren sie sich allerdings wie Karnickel: Das Szeneportal Tech-Crunch zählt jetzt 153 Firmen mit 529 Milliarden Dollar Gesamtwert. Dabei sind frühere Einhörner wie Facebook, Twitter oder Zalando gar nicht mitgezählt, weil sie längst an die Börse galoppiert sind (der Boom als Grafik WSJ oder bei Datenanbieter CB Insight) .

Was genau ist es, das ein Einhorn zum Einhorn macht?

Tempo, Tempo

Gewinne sind für die Aufsteiger ein Fremdwort, dafür wird Wachstum zum Selbstzweck. An erster Stelle steht die raketenhafte Expansion in neue Märkte. Das Potenzial zählt mehr als tatsächliche Absatzzahlen.

Börse? Später!

Dafür braucht es Geld, viel Geld. Das steuern potente Risiko-Kapitalgeber bei. Für die US-Szene im Silicon Valley sind dabei etwa zwei Dutzend Namen relevant. Meist sind es Financiers, die bei früheren Investments abgesahnt haben, wie Sequoia Capital, der Founders Fund (mit Paypal- und Facebook-Investor Peter Thiel) oder Andreessen Horowitz (mit Netscape-Gründer Marc Andreessen).

In Europa bedroht

Ihr Lebensraum ist praktisch auf die USA und China begrenzt. Die alte Welt schaut genau so aus: alt. Der schwedische Musik-Streamingdienst Spotify ist ein einsamer Europäer auf Platz 14. Erst auf Rang 32 und 34 folgen die deutschen Essenslieferanten Delivery Hero und HelloFresh.

Diskretion

Weil sie nicht börsenotiert sind, sind Einhörner ihren Aktionären keine Rechenschaft schuldig. Absatzzahlen oder Verluste lassen sich bestenfalls erahnen. Das lässt Raum für Spekulationen: Sind die Überflieger die Fantasiezahlen tatsächlich wert oder baut sich hier eine Blase auf, die demnächst mit lautem Knall platzt?

Bettenkaiser ohne Bett

Den Vogel schießt eindeutig Uber ab, der weltweite Schrecken aller Taxler. Binnen zwei Jahren ist der Wert des US-Start-ups von 3,8 auf 51 Milliarden US-Dollar förmlich explodiert. Zum Vergleich: Die Industrie-Ikone General Motors ist an der Börse 55 Milliarden Dollar wert. Airbnb, eine App, die Unterkünfte zwischen Privatpersonen vermittelt (und selbst kein einziges Bett besitzt), wird jetzt mit 25 Milliarden Dollar bewertet. Das ist annähernd gleich hoch wie der Börsewert der Hotelkette Hilton Worldwide mit 731.000 Zimmern in 97 Ländern.

Absurd? Nicht aus Sicht der Investoren, die auf das nächste Facebook oder Google hoffen. Die revolutionären Geschäftsmodelle seien überhaupt nicht an der alten Wirtschaft zu messen. "Airbnb mit Hotels und Uber mit Taxis zu vergleichen ist so, als hätte man Ebay 1999 am globalen Umsatz der Flohmärkte gemessen", sagt Tim Chang von Mayfield, einem der größten Investoren, laut Wirtschaftswoche. Und ohne die immens hohen Expansions- und Marketingkosten wären die meisten Unternehmen hochprofitabel.

Achtung vor dem Knall

Skepsis ist dennoch angebracht: Die Rechnung geht für die Investoren nämlich nur dann auf, wenn sie ihre Anteile am Ende über die Börse versilbern. Jene, die sehr spät eingestiegen sind, könnten um einen Teil ihres Geldes umfallen. An den Börsen bläst Newcomern derzeit nämlich eine steife Brise entgegen. Der französische Musikdienst Deezer, der am Freitag in Paris an die Börse gehen und 400 Millionen Euro erlösen wollte, machte in letzter Minute einen Rückzieher.

Weitere Bewährungsproben stehen kurz bevor: Twitter-Gründer Jack Dorsey will mit dem Bezahlservice-Dienstleister Square angeblich 2,5 Milliarden Dollar einspielen. Experten zweifeln, dass die Rechnung aufgeht.

Auch der Berliner Lebensmittel-Lieferant HelloFresh machte am Mittwoch seine Börsenpläne offiziell. Laut Insidern geht es um bis zu 500 Millionen Euro. HelloFresh hat in neun Monaten knapp 200 Millionen Euro umgesetzt, dabei aber 58 Millionen Euro Verlust geschrieben: ein tiefrotes Einhorn.

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