Klimakrise, Digitalisierung, Protektionismus, Kapitalismuskritik: Das Wirtschaftssystem steht momentan vor gewaltigen Herausforderungen. Der KURIER sprach darüber mit dem deutschen Spitzenökonomen und Wettbewerbsexperten Achim Wambach.
KURIER: Laut einer globalen Umfrage sehen 56 Prozent der Befragten mehr Schaden als Nutzen durch den Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form. Alarmiert Sie das?
Achim Wambach: Es ist noch kein großes ökonomisches Problem gelöst worden, indem man auf den Kapitalismus verzichtet hat. Über den Punkt „in seiner gegenwärtigen Form“ lässt sich streiten. Richtig ist: Um das Klimaproblem zu bewältigen, müssen wir Strukturen verändern und wir brauchen höhere CO2-Preise. Aber die Verknüpfung mit der Systemdebatte finde ich unglücklich. Denn ohne die Innovationskraft der Unternehmen bekommen wir den Klimawandel ganz sicher nicht in den Griff.
Sie halten diese Skepsis also für eine Momentaufnahme?
Die Verunsicherung ist da, weil die Politik noch keinen roten Faden, keine Leitplanken, zur Bewältigung der Klimakrise hat. Übrigens gilt dies auch für die Unternehmen, die nicht genau wissen, wo sie investieren sollen. Der Kapitalismus kriegt das allerdings gut hin, wenn man richtige Anreize setzt. So hat etwa im deutschen Energiemarkt Gas die Kohle verdrängt, weil die über den Marktmechanismus des Europäischen Emissionshandels zu teuer wurde. Wir in Deutschland sind geprägt durch die Jahre mit der DDR. In der dortigen Planwirtschaft war die Umweltverschmutzung übrigens weitaus höher, die Industrien waren sehr viel dreckiger.
Welche Leitplanken müsste die Politik denn schaffen?
Die Frage ist, wie kriegen wir das weltweit hin. Wir sollten mit CO2-Preisen in Europa voranschreiten. Im Energiesektor und der Industrie haben wir das bereits getan, was fehlt, sind der Verkehr und die Raumwärme.
Vorbildwirkung schön und gut, aber reiben sich nicht die USA und China die Hände, wenn sich die Europäer selbst Kosten aufbürden?
Wir sollten da nicht naiv sein. Aber wenn wir zeigen können, dass der Emissionshandel den CO2-Ausstoß bei steigender Wirtschaftsleistung zu günstigen Kosten senkt, dann wirkt das auch für China und Indien attraktiv: „Wir müssen nicht auf Wachstum verzichten, um den Klimawandel zu bekämpfen.“
Wie sorgt man für Fairness? Oft wird eine Art Grenzzoll für klimaschädlich produzierte Güter angedacht.
Wenn wir allein CO2-Preise einführen, schaden wir uns selbst, weil sich die Produktion und der CO2-Ausstoß nur nach China verlagern. CO2-Grenzausgleichszahlungen wären ein Instrument, um diesen Mechanismus zu durchbrechen. Politisch sind wir dafür als Europäer aber zu klein, zusammen mit den USA hätten wir die nötige Wirtschaftskraft.
Top20-Ökonom
Achim Wambach ist seit 2016 Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Er selbst belegt im FAZ-Ranking der einflussreichsten Ökonomen des deutschsprachigen Raums seit Jahren einen Platz in den Top 20.
Schwerpunkt Wettbewerb
Darüber hinaus ist Wambach seit Juli 2014 Mitglied und seit März 2016 Vorsitzender der unabhängigen deutschen Monopolkommission, die die Regierung berät. Er forscht vor allem zu Wettbewerbspolitik, Marktdesign und Industrieökonomik.
Ist das nicht völlig unrealistisch? Für Trump ist der CO2-Ausstoß gar kein Thema.
Das müssten die Amerikaner schon selber wollen. Man sollte die Stimmungslage in den USA aber nicht unterschätzen, in Kalifornien gibt es weiterhin einen Emissionshandel und strenge Auflagen. Schau’n wir mal, was die Präsidentenwahl in den USA im November ergibt.
Wie sehen Sie das Handelsabkommen der USA mit China: als Zwischenschritt oder als Scheinerfolg, den Trump gebraucht hat?
Es ist mehr als ein Handshake, die Märkte haben recht positiv reagiert. Im Handelskonflikt sollte sich in diesem Jahr nichts mehr verhärten, weil die Präsidentenwahlen in den USA anstehen. Aber die Hauptprobleme sind damit noch nicht ausdiskutiert.
Was ist China – Zukunftsmarkt oder Bedrohung?
Beides. Die Erwartung vor einigen Jahren war: Chinas Wirtschaft öffnet sich und ermöglicht neue Freiheiten. Sie mögen ein paar Industrien schützen, aber für ein Schwellenland ist das okay. Dieses Bild hat sich allerdings gewandelt, nicht nur in den USA. Auch die Industrie über den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und Maschinenbauer über ihren Dachverband (VDMA) haben sich chinakritisch positioniert.
Was ist anders, die Wahrnehmung oder Chinas Verhalten?
Unter Xi Jinping hat sich China sehr verändert. Die Kontrolle ist viel stärker geworden, die Staatsunternehmen wurden zu Giganten fusioniert. Dabei machen wir Europäer gute Geschäfte: China ist erst bei 25 Prozent des Pro-Kopf-Einkommens der OECD angekommen, wird also noch wachsen wollen. Wir müssen darauf hinarbeiten, dass sich der Markt öffnet. Hilfreich wäre das Investitionsabkommen, das die EU mit China verhandelt.
Schon seit ewigen Zeiten...
Seit sechs Jahren. Vielleicht begünstigen die Handelskonflikte und der EU-China-Gipfel im September in Leipzig einen Abschluss. Unabhängig davon sollten wir in der EU die Antidumping-Instrumente nachschärfen. Und wenn China seine Unternehmen schützt und keinen Wettbewerb will, warum sollten unsere Firmen in China nicht auch kooperieren? Womöglich muss man als Konsequenz wieder Exportkartelle andenken.
China hat sich seit dem WTO-Beitritt nicht geöffnet, so argumentiert auch Trump. Wird den USA zu Unrecht die alleinige Schuld an den Handelskonflikten gegeben?
Oh ja. Die Europäer verstecken sich da hinter Trump. Chinas Staatskapitalismus hat die Erwartungen nicht erfüllt. In jedem Unternehmen sitzt heute ein Vertreter der Partei. In der Wissenschaft gibt es Tabuthemen, chinesischen Kollegen werden gewisse Vorträge untersagt. Firmen beschweren sich über rigide Kontrollen. Das anzusprechen ist richtig, wir Europäer täten gut daran, uns klarer zu positionieren.
Muss jetzt Europa vor US-Autozöllen zittern, weil China vorerst eingehegt ist?
Ob Digitalsteuer oder Airbus: die Amerikaner setzen zwar ihre Interessen durch, aber viele Republikaner sind für Europa weiterhin zugänglich. Der wahre Konflikt ist mit China. Wobei: Hätte er das Gefühl, dass es seinen Wahlchancen nützt, würde Trump auch Autozölle für die EU einführen. Ökonomisch sinnvoll wäre das nicht. Die US-Wirtschaft steht auch nicht dahinter.
Ihr jüngstes Buch heißt: „Digitaler Wohlstand für alle“. Der scheint nicht bei allen anzukommen, viele haben eher Angst vor dem technologischen Wandel.
Wir erleben momentan zwei große Strukturwandel: die Digitalisierung und die Energiewende. Beides bringt Unsicherheit mit sich, das will ich gar nicht kleinreden. Wir im ZEW haben erhoben, dass rund 10 bis 12 Prozent der bestehenden Jobs komplett automatisierbar wären. Bei weiteren 20 bis 30 Prozent würde sich das Berufsbild verändern. Deutschland hat aber schon jetzt nach Singapur und Südkorea die meisten Industrieroboter pro Kopf. Unterm Strich hat das zu mehr Jobs geführt. Es gibt also Gründe, positiv gestimmt zu sein. So ein Übergang kennt aber immer Gewinner und Verlierer, deshalb ist die Politik gefordert, diesen Wandel zwar nicht zu behindern, aber zu begleiten.
Sie sagen selbst, dass die Digitalisierung zentrale Pfeiler der Sozialen Marktwirtschaft untergräbt. Wie soll die Politik darauf reagieren?
Es wurde schon einiges getan, um den Besonderheiten der Plattform-Ökonomie zu begegnen. Ein Beispiel: Facebook ist für die Nutzer kostenlos, weil es sich über den Werbemarkt finanziert. Ein Richter hatte befunden, es gebe keinen Markt, wenn abgesehen von der Erhebung von Daten kein bezahlter Austausch stattfinde. Und wo kein Markt ist, könne Facebook auch keine Marktmacht missbrauchen. Dass dem nicht so ist, wurde im Gesetz jetzt berücksichtigt. Diese Unternehmen sind nicht durch Fusionen mächtig geworden, sondern haben sich ihre Position erarbeitet. Früher waren die Wettbewerbsbehörden mehr mit Fusionen befasst, jetzt verlagert sich das auf die Missbrauchskontrolle von Marktmacht, wie die EU-Verfahren gegen Google zeigen.
Der Eindruck ist, dass das eher episodisch als systematisch passiert. Und bis die Verfahren beendet werden, sind die Geschäftsmodelle bereits ganz andere.
Da ist etwas dran. Das EU-Google-Verfahren hat sechs Jahre gedauert, jetzt geht es vor Gericht weiter. Eine Möglichkeit wäre, frühzeitig mit einstweiligen Maßnahmen einzuschreiten, bevor Strukturen geschaffen werden, die keinen Wettbewerb mehr zulassen. Oder Verhaltensregeln für Plattformen zu formulieren. Denn dass Google oder Yahoo von anderen Anbietern überrollt werden, glaubt heute niemand mehr. Eine mögliche Verhaltensregel wäre zum Beispiel ein Selbstbevorteilungsverbot: Amazon dürfte sich selbst dann auf seiner Plattform nicht anders behandeln als die anderen Händler.
Wenn Behörden definieren, wie Geschäftsmodelle aussehen: Bleibt da nicht die Innovation auf der Strecke?
Wenn die Netzwerkeffekte stark sind, entstehen Monopolisten. Da muss man über Regulierung nachdenken; wir kennen das von Bahn, Post, Telekommunikation und Energie. Wir brauchen eben nicht zwei oder mehr Stromnetze. Regeln bedeuten aber nicht, dass der Markt ausgebremst wird, im Gegenteil. Wenn Daten geteilt werden, kann das den Wettbewerb fördern. Ein gutes Beispiel ist die EU-Zahlungsdienste-Richtlinie PSD2: Wenn der Kunde das will, muss die Bank Drittanbietern den Zugang zu seinen Kontendaten ermöglichen. So entsteht ein Markt für völlig neue Dienste.
Sollten Monopolisten zur Öffnung ihrer Datenschätze gezwungen werden?
Möglich wäre das, wenn eklatanter Missbrauch vorliegt. In der anstehenden Reform des Wettbewerbsrechts in Deutschland soll klargestellt werden, dass auch Daten eine „wesentliche Einrichtung“ sein können, so wie etwa Schienennetze. Der Besitzer muss dann anderen Unternehmen den Zugang zu dieser Einrichtung einräumen.
Die richtige Balance zu finden ist aber schwierig: Manchmal würden Unternehmen gerne Daten teilen, die Wettbewerbsbehörden befürchten aber Absprachen. Weitere Bremsen sind die Datenschutzgrundverordnung und Betriebsgeheimnisse. Und oft haben Unternehmen viel Geld investiert, um an Daten zu gelangen. Diesen Anreiz muss man ihnen lassen.
Wo wir mehr Dynamik sehen werden, ist im öffentlichen Bereich: San Francisco etwa hat das Recht, Mietscooter öffentlich zu vertreiben, an die Pflicht geknüpft, die entstehenden Daten zu veröffentlichen, sodass man Mobilitätsströme verfolgen kann.
Wäre eine Zerschlagung von Riesen wie Facebook oder Google wirklich vorstellbar?
Das wäre tatsächlich ein massiver Eingriff, ist als Ultima Ratio aber nicht undenkbar. Ein eigenes Facebook für Nord- und Südeuropa wäre wohl nicht hilfreich, aber es könnte Auflagen geben, etwa dass Whatsapp und Facebook getrennte Unternehmen sein müssen.
Eines muss dabei klar sein: Zerschlagen geht einher mit dem Verzicht auf Vorteile. So weit sind wir aber noch lange nicht. Erst einmal greifen die Missbrauchsaufsicht, Regeln und Regulierung, und nur wenn man damit nicht weiterkommt, käme auch das Instrument der Zerschlagung in Frage. So wie das auch im Strommarkt bei der Trennung von Netz und Vertrieb der Fall war.
Kommentare