Die alte Dame und das Geld der anderen

Die alte Dame und das Geld der anderen
Demnächst erstes Urteil über Wiener Geschäftspartnerin von Milliardenbetrüger Madoff.

Der Manager einer internationalen Versicherung erinnert sich gut an den Besuch der kleingewachsenen, alten Dame: „Sehr charmant, aber penetrant beim Name-dropping. Gleich am Anfang tischte sie mir auf, wie gut sie meinen Konzernchef kenne. Ihre Produkte waren aber ohnehin uninteressant für uns, intransparent und zu riskant“. Glück gehabt.

Im Dezember sind’s fünf Jahre, dass eines der weltweit größten Schneeballsysteme aufflog. Der charismatische US-Finanzjongleur Bernard Madoff hatte jahrzehntelang in großem Stil Gelder eingesammelt, aber nicht veranlagt. Pensionsfonds, Banken, Versicherungen, Künstler und Tausende betuchte Privatanleger vertrauten Madoff. Trotz eindeutiger Hinweise fand selbst die sonst so gestrenge US-Wertpapieraufsicht SEC nichts Auffälliges. Mit der Finanzkrise fiel Madoffs „Ponzi-Schema“ (Loch auf, Loch zu) in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Geschätzter Schaden 65 Milliarden Dollar, Madoff fasste 150 Jahre Haft aus.

Seine Spuren ziehen sich um die halbe Welt bis nach Österreich, wo sie bei Sonja Kohn, der Bank Austria, der Bank Medici (gehörte zu 75 Prozent Kohn, den Rest hielt die Bank Austria) und Hunderten geprellten Anlegern enden. Trupps hochkarätiger Wirtschaftsanwälte und die Gerichte sind mit Schadenersatzforderungen beschäftigt. Diese sollen sich hier zu Lande auf 350 Millionen Euro summieren, aber auch von 800 Millionen ist die Rede. Die Wien-Connection wird auch in den USA und in London verhandelt.

Die heimische Justiz ermittelt seit vier Jahren gegen Kohn, die Bank Austria und deren ehemalige verantwortliche Manager sowie gegen die Bank Medici, der mittlerweile die Konzession entzogen wurde. Die Vorwürfe: Betrug, Untreue, Bilanzfälschung und Verstöße gegen das Investmentfondsgesetz. Für alle Beschuldigten gilt wie immer die Unschuldsvermutung.

Vereinfacht dargestellt fütterten die Bank Austria und die Bank Medici über Fondskonstruktionen wie „Primeo“, „Alpha Prime“ und „Herald“ Madoff mit Anlegergeldern. In den Emissionsprospekten war mit keinem Wort erwähnt, dass die Gelder der Investoren – ab 50.000 Euro war man mit dabei – zu Madoff flossen.

Sonja Kohn – skrupellose Handlangerin eines Milliarden-Betrügers oder selbst Opfer? Die umtriebige Geschäftsfrau soll in Europa und Asien Kapital in der Größenordnung von mehr als neun Milliarden Dollar in Richtung Madoff kanalisiert haben. Behauptet Madoff-Insolvenzverwalter Irving Picard. Er reduzierte inzwischen die gesamte Schadenssumme von 65 auf 20 Milliarden Dollar und schickte darüber eine Klage nach Wien.

In London wurden jene rund 60 Millionen Dollar eingeklagt, die Firmen in Kohns Umfeld von Madoff erhielten. Provisionen, sogenannte „Introduction Fees“, vermuten die Kläger. Zahlungen für Marktstudien und Analysen, hält Kohn dagegen. Tonnen von Papieren habe sie für Madoff ausgearbeitet. Nur Studien, die tatsächlich 60 Millionen wert sein sollen?

Das Verfahren in Großbritannien ist abgeschlossen, das Urteil wird Ende nächster Woche erwartet. Für Kohn sieht’s gar nicht schlecht aus. Das Gericht reduzierte die Forderungen auf 27 Millionen, und der Richter stellte schon fest, auch wenn es sich um Provisionen gehandelt hätte, wäre der Betrag angemessen gewesen. Denn Kohn habe im guten Glauben gehandelt.

Die Frage nach dem Verbleib der 60 Millionen wird sich vermutlich nie klären lassen. Bei ihrer (bisher einmaligen) Einvernahme vor der Wiener Staatsanwaltschaft konnte die Aufsichtsratschefin der Bank Medici, die mit ihren Mitarbeitern recht resolut umging, keine Antwort darauf geben. Der Betrag sei über mehr als 15 Jahre zusammengekommen, davon müsse man Kosten und Steuern abziehen, und schließlich habe Frau Kohn eine sehr große Familie, wird in ihrem Umfeld argumentiert. Klar, bei fünf Kindern und 25 Enkeln kann man leicht den Überblick über die persönlichen Finanzen verlieren.

Als überzeugendstes Argument führt die geniale Netzwerkerin an, sie und ihre Familie hätten selbst bei Madoff einige Millionen Euro verloren. Noch im März 2008, ein dreiviertel Jahr vor Auffliegen des Betrugsskandals, habe sie das private Investment bei Madoff verdoppelt. „Frau Kohn ist selbst Opfer. Sie hatte viel investiert, die Medici-Bank ging den Bach hinunter, und persönlich wird sie an den Pranger gestellt“, sagt Kohn-Anwalt Clemens Trauttenberg. Nicht einmal Madoff-Insolvenzverwalter Picard „erhebt den Vorwurf, dass sie Teil des Betrugssystems war“.

Diese Frage muss die Justiz klären, die es offenbar nicht eilig hat. Dem jahrelang ermittelnden Staatsanwalt Michael Radasztics wurde eine jüngere Kollegin zur Seite gestellt. Deren Mann in einer für die Bank Austria tätigen Kanzlei arbeitete. Erst als Dieter Böhmdorfer, der Anleger gegen die Bank Austria vertritt, Anzeige erstattete, soll der Gatte die Kanzlei gewechselt haben. „Wer gegen die Bank Austria ermittelt, braucht in Österreich ein hohes Maß an Zivilcourage. Das Vertrauen in die Nachhaltigkeit der Ermittlungen wird nicht gerade gefördert, wenn der eigene Gatte für die Bank arbeitet“, ätzt Böhmdorfer. Er spricht von einer „der unverschämtesten Anleger-Schädigungen, die je in Österreich passiert sind“.

Das Verfahren gegen die ehemalige Chefin der Beratungsgesellschaft BAWFM, eine Tochter der Bank Austria, wird jedenfalls eingestellt. Die Gesellschaft kassierte von den Madoff-Anlegern üppige Provisionen für Leistungen, deren Nachweis höchst umstritten ist.

Der Kontakt zwischen Kohn und der Bank Austria soll über deren langjährigen Ex-Chef Gerhard Randa gelaufen sein. Die Tochter von Einwanderern aus Osteuropa übersiedelte in den 80er-Jahren mit ihrem Mann Erwin Kohn nach New York, bald galt sie als „Austria’s woman on Wall Street“. Dort lernte sie Madoff kennen. In Österreich gründete sie gemeinsam mit der Bank Austria die Bank Medici, die als kleine, feine Privatbank wohlhabende Klientel bedienen sollte.

Ihr Netzwerk in Wien wusste sie geschickt zu spinnen. Im Aufsichtsrat der Bank Medici saßen der ehemalige VP-Wirtschaftsminister Hannes Farnleitner und Ex-SP-Finanzminister Ferdinand Lacina. Farnleitner hatte Kohn zuvor als Minister zu seiner offiziellen Beraterin erklärt. Noch im August 2008 dankte ihr der damalige Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SP), mit dem Kohn einen Prospekt schmückte, „herzlich für Ihre aktiven Bemühungen, den Finanzplatz Wien international bekannt zu machen“.

Vom Finanzplatz Wien hat sich Kohn längst verabschiedet. Sie lebt in der Schweiz und arbeitet emsig an neuen Projekten – von erneuerbarer Energie bis zur Vermittlung von Geschäftsoptionen.

Indirekt war die AVZ-Stiftung in die Fondskonstruktion „Primeo“ involviert, über die Madoff gefüttert wurde. Die „Anteilsverwaltung Zentralsparkasse“ steht der Stadt Wien nahe und ist ein Relikt aus der Vorzeit der Bank Austria. Die AVZ hielt 25 Prozent an der Bank Austria Treuhand, der über zwei Zwischengesellschaften die LB Holding gehörte. Diese war hundertprozentige Aktionärin des Primeo Fund auf Cayman Island und der Beratungsgesellschaft BAWFF. Die Provisionen flossen jedoch nur in die Bank Austria. Die FPÖ thematisierte die Wien-Connection von Madoff im Wahlkampf und fordert die AVZ auf, „die Karten auf den Tisch zu legen“.

Gegen die Bank Austria laufen Schadenersatzforderungen über 130 Millionen Euro. Fünf Verfahren hat die Bank bisher letztinstanzlich gewonnen. Man werde sich weiter in allen Gerichtsverfahren in Österreich und anderen Ländern vehement gegen die erhobenen Vorwürfe verteidigen und mit den Behörden in vollem Umfang kooperieren, heißt es aus der Bank dazu.

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