Sachverständige: Verteidiger fordern Waffengleichheit

APA9573222-2 - 25092012 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - Fototermin mit den Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofes am Dienstag, 25. September 2012, in Wien. Im Bild: (v.l.) Christoph Herbst, Georg Lienbacher, Michael Holoubek, Ingrid Siess-Scherz, Christoph Grabenwarter, Sieglinde Gahleitner, Brigitte Bierlein, VfGH-Präsident Gerhart Holzinger, Hans Georg Ruppe, Rudolf Müller, Eleonore Berchtold-Ostermann, Claudia Kahr, Johannes Schnizer und Helmut Hörtenhuber. APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER
Höchstrichter müssen " umstrittene Doppelrolle" von Sachverständigen im Strafverfahren prüfen.

Am Donnerstag platzte der Verhandlungssaal im ersten Stock des Wiener Verfassungsgerichtshofs (VfGH) aus allen Nähten. Kein Wunder, vor den Höchstrichtern nahmen einige Dutzend namhafter österreichischer Juristen Platz. Denn: Es stand eines der heikelsten Themen des umstrittenen Strafprozessreformgesetzes 2004, das erst im Jänner 2008 in Kraft getreten ist, auf der Tagesordnung: Die Bestellung der gerichtlich beeideten Sachverständigen.

Seit der Reform gibt es keinen Untersuchungsrichter mehr, der das Vorverfahren leitet und im Fall des Falles den gerichtlich beeideten Sachverständigen bestellt. Heute ist der Staatsanwalt der Herr des Ermittlungsverfahrens und er setzt den Gutachter zur Unterstützung seiner Ermittlungen ein. Mit Eröffnung des Hauptverfahrens (Strafprozesses) wandelt sich der Staatsanwalt vom Leiter der Ermittlungen zum Ankläger. Und das Gericht kann den bereits im Vorverfahren eingesetzten Gutachter auch in der Hauptverhandlung bestellen.

Verteidiger laufen Sturm

Dagegen laufen die Strafverteidiger seit Langem Sturm. Sie unterstellen den Sachverständigen, dass ihnen durch die „Doppelrolle“ die erforderliche Unparteilichkeit und Neutralität fehlt. Doch diese „Doppelrolle“ kann im Strafprozess laut Gesetzeslage nicht als Befangenheitsgrund geltend gemacht werden. In zwei Wirtschaftsstrafverfahren, darunter ist das Verfahren gegen den früheren Immofinanz-Chef Karl Petrikovics, der von Verteidiger Otto Dietrich vertreten wird, und in einem Hypo-Alpe-Adria-Verfahren wurden die Urteile unter anderem wegen der „Doppelrolle“ der Sachverständigen mittels sogenannter Nichtigkeitsbeschwerden beim OGH bekämpft.

Keine Waffengleichheit

Die Kritik der Strafverteidiger an diesem umstrittenen Bestellungssystem wird auch vom Obersten Gerichtshof (OGH) gestützt. Der OGH ortet in der Doppelrolle des Sachverständigen „eine Verletzung der Waffengleichheit“ im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention. Das System der Sachverständigenbestellung im Ermittlungs- und im Hauptverfahren sei daher verfassungswidrig gewesen, meint der OGH. Es sei keine Waffengleichheit gegeben, wie es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte EGMR erfordere.

Zeuge der Anklage

Die Strafverteidiger sind der Ansicht, dass der Sachverständige, der schon im Ermittlungsverfahren tätig war, dann in der Hauptverhandlung vor allem als „Belastungszeug des Staatsanwalts“ fungiert. Detail am Rande: Die Sachverständigen sind laut ihrer "Standesordnung" generell der Objektivität verpflichtet - was immer wieder gern vergessen wird.

Die Strafverteidiger fordern nun unter anderem, dass sie Privatgutachter so einsetzen können, dass im Gerichtssaal tatsächlich Waffengleichheit herrscht. Derzeit haben Privatgutachter, die Angeklagten zur Seite stehen, nur wenig Rechte, sich und ihre Expertisen in der Hauptverhandlung einzubringen.

Privatgutachter nur "Zuhörer"

Sachverständige: Verteidiger fordern Waffengleichheit
„Der Staatsanwalt schickt den Gutachter aus, um das Beweismaterial zu sichern, zu sichten und zu sortieren sowie zu zuordnen, ob etwas dran ist oder nicht“, sagt Herbert Eichenseder, der Doyen der Strafverteidiger im Gespräch mit dem KURIER. „In der Hauptverhandlung mutiert der Sachverständige zum Zeugen der Anklage. Er bestimmt, wenn er etwas gefunden hat, was brauchbar ist oder nicht.“ Nachsatz: „Mein Privatgutachter darf nur Fragen an den vom Gericht bestellten Sachverständigen stellen, aber er darf keine Fragen an die Zeugen stellen. Dadurch ist keine Waffengleichheit gegeben.“ Der Privatgutachter habe bloß die Rolle eines „Zuhörers“. Mehr habe die Novelle der Strafprozessordnung, die im Jänner 2015 in Kraft trat, in Sachen Privatgutachter nicht gebracht.

Stärkung des Privatgutachters

Laut Eichenseder, der vor dem Verfassungsgerichtshof am Donnerstag den Kärntner Investor Tilo Berlin vertrat, müssen die Rechte der Privatgutachter gestärkt werden. „Es wird ja nicht oft vorkommen, denn die meisten Gutachten werden ja eh von den Verteidigern akzeptiert“, sagt Eichenseder. „Aber dort, wo man sagt, da kann am Gutachten etwas nicht stimmen, ist man mit dem Privatgutachter derzeit im Nachteil.“ So sollte der Privatgutachter künftig, geht es nach Eichenseder, die Plausibilität des vom Staatsanwalt beauftragen Gutachten prüfen. „Ich kann das als Verteidiger nicht, weil ich das Fachwissen nicht haben“, sagt der Promi-Jurist. „Ich brauche einen Experten mit gleichen Rechten, der neben mir sitzt.“

Indes verteidigten das Justizministerium und die Bundesregierung ihre Position zur Rolle der Sachverständigen und die Strafprozessordnung. "Sowohl im Vorverfahren (Ermittlungsverfahren) können Einwände gegen den Sachverständigen erhoben werden. Zugleich können die Verteidiger "durch Beweisanträge sogar die Gutachtertätigkeit beeinflussen", wurde vorgebracht. Außerdem können in der Hauptverhandlung "die Ergänzung und die Präzisierung des Gutachtens verlangt werden; oder der Antrag eingebracht werden, dass ein weiterer Sachverständiger bestellt wird. Bund und Ministerium orten keinerlei Verfassungswidrigkeit. Auch die Generalprokuratur, die Staatsanwaltschaft am OGH, hat " keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der nunmehr angefochtenen Regelungen".

72 Prozent der Verfahren eingestellt

Christian Pilnacek, der Leiter der Strafrechtssektion im Justizministerium, legte Zahlen vor, die die Objektivität der bestellten Sachverständigen untermauern soll. Quintessenz: Nur weil ein Gutachter bestellt wird, un dadurch auch hohe Kosten anfallen, wird nicht auch automatisch angeklagt. Im Gegenteil. So sind im Jahr 2014 rund 72,21 Prozent oder 148.777 anhängige Verfahren, bei denen Sachverständige bestellt wurden, eingestellt worden. Das heißt: Die Kosten trägt der Steuerzahler.

Nur in 27,79 Prozent oder 57.054 Fällen, in denen Gutachter bestellt wurden, wurde eine Anklage erhoben. Im Verhältnis zum Jahr 2006 ist die Anklagequote, in Verfahren mit Sachverständigen, sogar deutlich geringer geworden. "Die Staatsanwaltschaften stünden kritisch zu ihren Ermittlungsergebnissen", so das Ministerium.

Im Jahr 2012 wurde in 34 Verfahren mit Gutachtern Anklage wegen Untreue erhoben, aber in 120 Fällen die Verfahren eingestellt. Im Jahr 2013 waren es dann 87 Untreue-Anklagen und 132 Einstellungen. Und 2014 wurden 92 Untreue-Fälle angeklagt, aber 150 Verfahren eingestellt.

Ball bei Verfassungrichtern

Der Ball liegt nun bei den Verfassungsrichtern. Sie müssen nun das Für und Wider abwägen. Sollten die Höchstrichter die derzeitige Vorgangensweise bei der Sachverständigen-Bestellung bzw deren "Doppelrolle" als verfassungswidrig einstufen, würden derzeit rund 1000 anhängige Strafverfahren davon betroffen sein und wahrscheinlich massiv verzögert werden. Wie die endgültige Entscheidung ausfallen wird, war aus der Fragestellung der Verfassungsrichter an die betroffenen Parteien noch nicht herauszuhören.

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