Rechtsexpertin: "Kanzler darf bei ÖBAG-Aufsichtsräten mitreden"
Univ.Prof. Susanne Kalss über Besetzungen bei der Staatsholding, die Aufgabe der Politiker als Eigentümervertreter und warum bei der Schmid-Nachfolge wieder eine große Chance vertan wird.
KURIER: Die Bürger glauben, dass in die Aufsichtsräte staatsnaher Unternehmen nur Politik-Spezln kommen, siehe U-Ausschuss und Chats...
Susanne Kalss: Der Eigentümer muss sich auf loyale Vertrauenspersonen verlassen können, die natürlich fachlich geeignet und integer sein müssen. Auch ein privater Eigentümer wählt Personen aus, denen er vertraut.
Aber ein Aufsichtsrat ist doch ausschließlich dem Unternehmen verpflichtet, oder?
Das ist kein Widerspruch. Aufsichtsräte haben primär das Unternehmensinteresse zu vertreten, aber es ist legitim, dass der Eigentümer trotzdem Personen bestellt, denen er vertraut.
Was aber, wenn die Interessen divergieren, z. B. eine zu hohe Dividende?
Das hatten wir schon, etwa bei Verbund und Telekom. Einem Aufsichtsrat muss klar sein, dass er die Interessen des Eigentümers nur soweit vertreten kann, soweit sie im Interesse des Unternehmens sind. Im äußersten Fall, bei notorischen oder unüberbrückbaren Divergenzen, muss er zurücktreten.
Darf der Bundeskanzler bei den Aufsichtsräten für die Staatsholding ÖBAG mitentscheiden?
Ja. Wem gehört denn die ÖBAG? Sie gehört der Republik Österreich als einzigem Aktionär. Die Republik wird repräsentiert durch die Regierung, formal zuständig ist der Finanzminister, er ist der Eigentümer-Vertreter. Er hat daher die Aufgabe, den Aufsichtsrat geeignet zu besetzen. Dass er sich mit dem Bundeskanzler abstimmt und dieser dabei eine wesentliche Rolle spielt, ist völlig in Ordnung.
Der Bundeskanzler hat offenbar Ängste, das zu sagen.
Das ist für mich völlig unverständlich. Natürlich darf sich der formale Eigentümervertreter, also der Finanzminister, mit seinem Vertrauten und Repräsentanten der Republik, dem Kanzler, absprechen und ihn einbinden. Die ÖBAG ist unsere wichtigste Beteiligung, damit wird Wirtschaftspolitik gemacht. Das Problem bei der ÖBAG ist ein anderes.
Welches?
Es war völlig klar, dass Schmid den Vorstandsjob wollte, sich die Ausschreibung zurechtgeschnitten hat und Mitglieder des Aufsichtsrates aussuchte, die ihn dann bestellten. Das ist die verkehrte Corporate Governance, ein absolutes No Go. Es muss umgekehrt sein, die Aufsichtsräte wählen den Vorstand.
Welche Vorgangsweise wäre denn korrekt gewesen?
Schmid hätte sich schon zwei Jahre vorher herausnehmen müssen. Er hätte im Finanzministerium die ÖBAG vollständig abgeben müssen, mit Chinese Walls, und hätte auch nicht Hinterzimmer-mäßig agieren dürfen.
Karriere
Die Juristin Susanne Kalss leitet seit 2018 das an der Wirtschaftsuniversität Wien gegründete Institut für Unternehmensrecht. Zu ihren Spezial-Themen gehören auch Rechte und Pflichten von Aufsichtsräten
Aufsichtsratstag
Am 11. Aufsichtsratstag auf der WU Wien werden am 5. Juli die Lehren aus dem Krisenjahr 2020 und die neuen Herausforderungen diskutiert. Unter den Top-Vortragenden sind u. a. Alfred Gusenbauer, Georg Pölzl und Herbert Ortner. Mehr Infos: www.aufsichtsratstag.at
Was haben Sie sich bei den Chats gedacht?
Diese abgrundtiefe Verachtung gegenüber der Bevölkerung ist unfassbar und untragbar. Ich bin überrascht und finde es überhaupt nicht nachvollziehbar, dass gerade die ÖVP als Wirtschaftspartei nicht alles dafür tut, um eine fachgerechte und ordnungsgemäße Organisation in ihrer wichtigsten Beteiligungsgesellschaft zu etablieren. Das wäre durch eine einzige Erklärung des Finanzministers möglich.
Sie spielen jetzt auf den Alleinvorstand an? Das wird selbst in ÖVP-nahen Wirtschaftskreisen heftig kritisiert.
Der Alleinvorstand widerspricht einer guten Unternehmensführung, wie dies bei börsenotierten Gesellschaften selbstverständlich ist. Und wie sie sich auch der Bund in seinen Governance-Grundsätzen auferlegt. Wir sprechen hier immerhin über die wichtigste und größte Beteiligungsholding des Bundes.
Die Aufsichtsräte reden sich immer auf die Satzung, die Verfassung des Unternehmens, aus.
Es ist die Pflicht des Aufsichtsrates, dem Eigentümervertreter eine Änderung der Satzung vorzuschlagen, die dieser dann in der Hauptversammlung beschließt. Da die ÖBAG nur einen Eigentümer hat, wäre das sehr einfach.
Weniger, das ist eine Routine-Sache. Man muss nur einen Notar beiziehen.
Warum ist ein zweiter Vorstand so wichtig?
Die Mandate und Aufgaben werden mehr. Mit Verbund, BIG und Casinos sind drei große und fordernde Beteiligungen dazu gekommen. Der ÖBAG-Vorstand ist verpflichtet, in die Aufsichtsräte der Beteiligungsunternehmen zu gehen und dort eine aktive Rolle zu spielen. Zwei Vorstände können diese Kernaufgabe besser erfüllen. Sie können sich besser koordinieren und einbringen. Es geht auch um das Standing, Sie können doch nicht einem erfolgreichen Vorstand eines börsenotierten Großunternehmens einen Prokuristen gegenüber setzen. Außerdem ist es vorteilhaft, wenn sich die beiden Vorstände wechselseitig austauschen und unterstützen können.
Diese Chance wurde bei der Neuausschreibung für die Schmid-Nachfolge wieder verpasst.
Leider. Der Aufsichtsrat und der Eigentümervertreter müssen aufpassen, dass man mit dem Alleinvorstand nicht in ein Organisationsverschulden rutscht, nämlich durch das fahrlässige Unterlassen, eine angemessene Satzungsgrundlage zu schaffen. Ein Zweiervorstand ist aus unternehmerischer Sicht absolut notwendig.
Sie meinen, ein Alleinvorstand ist mit den vielen Aufsichtsratsjobs überfordert, von OMV bis zu Verbund und Casinos?
Die Qualität der Aufsichtsratsarbeit hat sich in den letzten zehn Jahren völlig verändert. Ein Aufsichtsrat ist längst kein Frühstücksdirektor mehr.
Ist es inzwischen schwieriger, Aufsichtsräte zu bekommen? Wer will schon das Image einer Marionette?
Es ist schwieriger geworden, zugleich aber auch durch die Verantwortung und die Gestaltungsmöglichkeiten attraktiver. Und der Kreis ist nicht mehr so klein, sondern offener. Denken Sie an die Besetzungen mit Frauen und jüngeren Personen.
Ist die Entlohnung im internationalen Vergleich zu bescheiden?
Ja, die Vergütung im öffentlichen Bereich muss marktkonformer werden, also de facto deutlich erhöht werden. Eine derart verantwortungsvolle, zeitintensive und inhaltlich anspruchsvolle Arbeit muss entsprechend abgegolten werden. Unternehmen sind auch bereit, für Berater entsprechend zu zahlen.
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