Landwirtschaftsminister Totschnig: "Radikale Lösungen funktionieren nicht"
Norbert Totschnig ist seit Mai 2022 Landwirtschaftsminister. Von 2017 bis 2022 war er Direktor des Österreichischen Bauernbundes.
KURIER: 2022 sind die Einkommen in der Landwirtschaft um fast 20 Prozent gestiegen. Haben die Bauern von den hohen Lebensmittelpreisen profitiert?
Norbert Totschnig: Letztes Jahr war ein Krisenjahr. Wir haben bei den Betriebsmitteln eine Steigerung von über einer Milliarde Euro. Die Agrarpreise sind allein aufgrund der hohen Energiepreise gestiegen. Man muss diese Statistik im Kontext über die Jahre sehen. Wir hatten Jahre der Stagnation und sinkender Einkommen. Wir haben 2022 ein Einkommens-Niveau erreicht, das bereits 2007 und 2011 erzielt worden ist. Wir sind, wenn man die Inflation herausrechnet, beim Einkommen des Jahres 2000.
Es gibt Beschwerden über die Eigenmarken des Lebensmittelhandels, weil dadurch die Produzenten unter Druck kommen. Man kann aber auch sagen, für die Konsumenten wird’s billiger.
Beim Kunden ist eine erhöhte Preissensibilität bemerkbar. Das Preiseinstiegssegment ist auf 45 Prozent angewachsen. Der Markenartikelbereich ist geschmolzen. Zum Glück ist es so, dass es im Premiumbereich bei den Bioprodukten eine sehr große Treue der Konsumentinnen und Konsumenten gibt. Es gibt einen Trend in Richtung Bio, Tierwohl und Nachhaltigkeit.
Bei Biolebensmitteln sinkt verglichen mit konventionellen Lebensmitteln der Ertrag. Lässt sich mehr Bio mit dem Ziel der Versorgungssicherheit vereinbaren?
Wir stellen ja nicht ganz auf Bio um. Derzeit produzieren in Österreich 22 Prozent der Betriebe auf 27 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche biologische Lebensmittel. Wir wollen eine nachhaltige, marktkonforme Weiterentwicklung. Es braucht eine konventionelle Landwirtschaftliche und eine biologische. 11,5 Prozent der Lebensmittel, die gekauft werden, sind biologische Lebensmittel. Wir wollen den gesamten Markt bedienen.
Die Umweltorganisationen wollen, dass statt Milch und und Fleisch mehr Erbsen und Soja erzeugt werden. Was machen wir dann mit den Weideflächen? Kann man auf Almen Erbsen anbauen?
Das ist ein wichtiges Thema. Wir haben derzeit 1,3 Millionen Hektar Grünland. Dieses Grünland kann man über den Rindermagen für die Produktion von Milch und Fleisch nutzen. Unser Zugang ist, wir produzieren hochqualitative Lebensmittel so, wie sie nachgefragt werden. Wir sind praxisbezogen und marktbezogen.
Glauben Sie, dass man mit einer Landwirtschaft wie sie von den Umweltorganisationen gefordert wird, genauso viele Menschen ernähren kann wie bisher?
Ich halte mich nicht mit einseitigen Berechnungen auf. Mit der neuen Agrarpolitik mit mehr Umweltschutz, mehr Klimaschutz und mehr Biodiversität haben wir hohe Ziele eingebaut. Das ist unser Zugang.
Die EU-Kommission hat eine Untergrenze von 25 Prozent der Flächen für biologischen Anbau vorgegeben. Machen solche planwirtschaftlichen Vorgaben Sinn?
Die EU-Kommission legte mit der Farm-to-Fork-Strategie ihr Ziele vor. Bei der Umsetzung haben wir allerdings ein gewichtiges Wort mitzureden. Enthalten ist darin auch ein Ziel für eine Reduktion von Pflanzenschutzmittel um 50 Prozent. Egal ob in Finnland oder in Süditalien. Dabei gib es völlig unterschiedliche Voraussetzungen. Außerdem muss man berücksichtigen, wo die Länder stehen. Wir haben bereits einen höheren Bioanteil, als verlangt wird. Eine solche Vorgabe wie die der EU-Kommission ist naturwissenschaftlich nicht erklärbar. Uns geht es um Hausverstand und Machbarkeit.
Agrarflächen Die landwirtschaftlich genutzte Fläche in Österreich beträgt 2,6 Millionen Hektar.
Betriebsgrößen Vor zehn Jahren wurden von einem Betrieb im Durchschnitt 42,6 Hektar bewirtschaftet. 2020 waren es 44,9 Hektar.
Produktion 10,4 Milliarden Euro ist der Wert der im Jahr 2022 produzierten Güter und Dienstleistungen der österreichischen Landwirtschaft. Davon entfielen über acht Milliarden Euro auf die Landwirtschaft und rund zwei Milliarden auf die Forstwirtschaft.
Können solche radikalen Lösungen funktionieren?
Radikale Lösungen funktionieren sicher nicht, wenn es um die Ernährung von bald neun Milliarden Menschen mit immer knapper werdenden Ressourcen geht.
Gilt das auch für den Plan der EU-Kommission, die Natur in den Zustand der 1950er-Jahre zu versetzen?
Das war ein Verordnungsentwurf der Kommission, wo viele Dinge nicht klar waren. Welche Regionen und Flächen sind gemeint? Wer soll das bezahlen? Das ist ein Beispiel dafür, dass nicht umsetzbare Vorschläge abgelehnt werden.
Beim Handelsabkommen Mercosur mit einigen südamerikanischen Staaten gibt es in der ÖVP unterschiedliche Positionen. Der Wirtschaftsflügel ist dafür, die Landwirte sind dagegen. Wie geht es weiter?
Das Mercosurabkommen ist ein Freihandelsabkommen alter Schule. Es fehlt das Nachhaltigkeitskapitel. Anhand der Studien lässt sich zeigen, dass es zu einem massiven Ansteigen der Importe, vor allem von Rindfleisch, kommen würde. Im Regierungsprogramm steht „Nein zu Mercosur“. Derzeit wird auf EU-Ebene über ein Zusatzinstrument zu den Themen Klimaschutz und Menschenrechte verhandelt. Es gibt Mitgliedsstaaten, die einen Abschluss bis zum Lateinamerikagipfel im Juli wollen. Das ist eine sehr sportliche Vorgabe.
Sie sind seit etwas mehr als einem Jahr als Landwirtschaftsminister im Amt. Was sind die wichtigsten Pläne für die Zukunft?
Wir müssen die Landwirtschaft krisensicherer machen, um die Versorgung mit Lebensmittel sicherzustellen, und die erneuerbaren Energieträger im Agrarbereich ausbauen. Dazu kommt die Anpassung an den Klimawandel, etwa durch einen klimafitten Wald.
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